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Manosphere in der Schweiz So ticken die Andrew-Tate-Fans in der Schweiz

Schnell reich, fit und erfolgreich werden – egal zu welchem Preis. Geleakte Daten geben Einblick in Männerwelten.

«Diese Community hat mein Leben verändert», schreibt ein junger Schweizer. «Guten Morgen, G's! Eure Ziele erreichen sich nicht von selbst. Ihr müsst sie jagen. Verfolgt sie wie der Jäger, der ihr seid», schreibt ein anderer. «So läuft das hier, Bruder. Jeden Tag Push-ups hält die Homos weg 🚀», schreibt ein Dritter.

Sie alle schreiben in einem Forum von «The Real World», der Onlineplattform des umstrittenen Influencers Andrew Tate. Die jungen Männer wollen auf der Plattform lernen, wie sie schnell reich, fit und erfolgreich werden. Und das ohne Ausbildung, Talent oder Vorwissen. Zumindest verspricht das die Werbung für die Online-Lernplattform «The Real World» – und trifft damit offenbar einen Nerv.

Hunderttausende meist junge Männer haben sich in den vergangenen Jahren auf der Plattform angemeldet – und den Betreibern Millionen beschert. Das zeigt ein Leak von 34 Millionen Nachrichten der Real-World-Plattform, von mehr als 800'000 Nutzern, welches SRF auswerten konnte. Die Daten geben einen einmaligen Einblick in eines der grössten Foren der sogenannten Manosphere, wo sich männerdominierte Online-Communitys treffen. Sie lassen tief in die Gefühlswelten und Träume von jungen Männern blicken, darunter auch von Hunderten Schweizern.

Onlineplattform als Anti-Universität

Andrew Tate ist das bekannteste Gesicht der Manosphere – und extrem umstritten. Der ehemalige Kickboxer hat sich durch seine provokante Art einen Namen gemacht. Regelmässig postete er frauenfeindliche Inhalte in den sozialen Medien und gewann dadurch eine riesige Gefolgschaft – bis seine Profile gesperrt wurden. Aktuell laufen gegen Tate in mehreren Ländern Ermittlungen, unter anderem wegen Menschenhandels und Vergewaltigung.

Andrew Tate mit Sonnenbrille gestikuliert in die Kamera
Legende: Andrew Tate – das bekannteste Gesicht der Manosphere Andrew Tate nach einer Gerichtsanhörung in Rumänien. Keystone

Seiner Popularität scheint das nicht geschadet zu haben. Die Online-Lernplattform «The Real World» positioniert sich als Anti-Universität. Denn Unis seien «ein Scam», sagt Tate in einem Werbevideo, und ein Studium sei reine Zeitverschwendung. Die wichtigsten Dinge fürs Leben würde man nicht an Unis, sondern nur bei «The Real World» lernen: Wie man schnell reich, fit und erfolgreich werde. Kostenpunkt: zwischen 49 und 99 Dollar pro Monat.

Ein Teil des Erfolgs von «The Real World» ist das offensive Marketing, das betrieben wird. So werden Nutzer der Plattform oft eingebunden, damit sie selbst kontroverse Clips von Tate auf den sozialen Medien posten und mithelfen, neue Nutzer zu rekrutieren.

Ein aktueller Nutzer aus der Region Zürich erklärt gegenüber SRF, er habe bei «The Real World» eine Gemeinschaft von Brüdern gefunden. Dafür würde es sich lohnen, die Gebühren zu bezahlen: «Es geht wirklich darum, sich da wirklich aufzubauen, vorwärtszukommen.»

Sein Leben habe sich mit dieser Community verbessert. Gleichzeitig müsse man aber auch die nötige Arbeit machen, die darin gefordert werde. «Es wird eigentlich sehr schnell mal klar: Man tritt jetzt nicht einfach ‹The Real World› bei und innerhalb von einem Jahr ist man Millionär. Das ist Wunschdenken.»

Junge Männer fühlen sich im Stich gelassen

Doch Recherchen von SRF zeigen: Ihr Versprechen vermag «The Real World» kaum zu halten. Die Auswertung der geleakten Daten, Gespräche mit aktuellen und ehemaligen Real-World-Nutzern sowie ein Selbstversuch auf der Plattform zeigen, dass viele junge Männer vor allem Geld verlieren – und dabei ihre Ausbildung, ihre Familie und ihren Freundeskreis aufs Spiel setzen.

Nachrichten, welche Schweizer Nutzer im Forum geschrieben haben, geben einen Einblick in ihre Leben, Träume und Leiden. Oft sind die Geschichten ähnlich: junge Männer, die eine Ausbildung machen, frustriert sind und sich von der Gesellschaft im Stich gelassen fühlen. Sie werden hier übersetzt und leicht kondensiert wiedergegeben.

Viele Nutzer verbringen Hunderte von Stunden auf der Plattform. Dort posten sie, wenn sie mit einem Geschäft Erfolg hatten. Oft sind es kleinere Beträge, aber nicht nur. Ein Schweiz-Kroate schreibt, er habe durch Kryptogeschäfte seine Eltern in Pension schicken können. Viele schreiben auch von den Opfern, die sie bringen müssen. Einer schreibt: «Ich zwinge das Universum dazu, mich zu jenem Mann zu machen, der ich sein will.»

Abgebrochene Lehrstellen und verlorenes Erspartes

Aus den Nachrichten lässt sich herauslesen, was Nutzer für den Traum vom schnellen Geld in Kauf nehmen: Viele brechen mit ihrem Freundeskreis, weil sie sich nur mit «Gleichwertigen» umgeben wollen. Sie brechen den Kontakt zu ihren Familien ab, brechen teilweise Studium oder Lehrstelle ab, um mit Techniken, die sie in «The Real World»-Videokursen gelernt haben, online Geld zu verdienen. Sie lancieren etwa Webshops und praktizieren sogenanntes Dropshipping, welches oft aus dem Verkauf von Billigware aus China direkt übers Netz besteht. Oder sie investieren in Kryptowährungen, spekulieren an der Börse – verlieren so teilweise auch ihr Erspartes. Auf kritische Fragen von SRF haben Andrew Tate und «The Real World» nicht geantwortet.

Auffällig ist der enorme Druck, den Nutzer sich selbst aufbürden. Sie ermuntern sich gegenseitig, ständig zu arbeiten und werten jene ab, die das nicht schaffen oder psychisch krank werden. Einer schreibt: «Ich bin so unproduktiv, weil ich krank bin. Ich schäme mich für mich selbst.»

Zuweilen posten Nutzer Checklisten mit ihren täglichen Zielen:

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  • Aufstehen um 5 Uhr, Laufen, 100 Push-ups, eiskalte Dusche
  • Meditation, Beten, Lesen
  • Nahrungsergänzungsmittel nehmen
  • Ins Gym gehen 
  • Kein Alkohol, keine Zigaretten, keine Drogen 
  • Kein Zucker 
  • Keine Musik, keine Unterhaltung, keine Games
  • Kein Porno, kein Sex, keine Masturbation
  • Keine sozialen Medien

In «The Real World» drehen sich die meisten Inhalte um die jungen Männer selbst. Frauen sind gleichzeitig abwesend und omnipräsent: Sie werden in der Bewerbung der Plattform kaum angesprochen und in User-Beiträgen teils als Ablenkung von Zielen dargestellt. Gleichzeitig schwingt mit: Wenn du als Mann diese Ratschläge befolgst und Erfolg hast, werden dich Frauen von selbst begehren. Immer wieder drückt dabei ein hypermaskulines Weltbild durch. Auch wenn auf der Plattform Hassnachrichten ausdrücklich verboten sind, tauchen sie auf. Besonders die Ablehnung von Feminismus eint die Community. So gibt ein Nutzer dem Feminismus die Hauptschuld für sein Leiden: «Der Feminismus breitet sich im Westen wie Krebs aus.»

Ich zwinge das Universum dazu, mich zu jenem Mann zu machen, der ich sein will.
Autor: Real-World-User

Viele der User, mit denen SRF gesprochen hat, halten Andrew Tates Verhalten für reines Marketing und «absichtlich übertrieben». Sie würden sich gerade von den frauenfeindlichen Aussagen distanzieren. Und doch sind viele der Meinung, dass der Feminismus zu weit gegangen sei und heute tendenziell die Männer unterdrückt würden.

Ein ehemaliger langjähriger Nutzer erzählt gegenüber SRF, warum er inzwischen nicht mehr dabei ist: «Ich bin über Instagram auf Tate und die Plattform gestossen. Inzwischen bin ich da wieder raus.» Für ihn sei es zu sehr ein «einziger Schwanzvergleich» geworden. «Viele in ‹The Real World› lassen sich mitreissen und verlieren sich in einer Traumwelt. Es fehlt ihnen der Reality-Check.»

SRF-Podcastserie «Alpha Boys»

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rot-schwarzes Logo mit Schrift 'alpha boys' vor einem schwarzen Männerumriss.
Legende: «Alpha Boys» ist eine SRF-Podcastserie von News Plus Hintergründe. Montage eines Photos von Andrew Tate und Logos

Der vierteilige SRF-Podcast «Alpha Boys» zeigt, wie junge Männer in den Sog der Manosphere geraten, wo Influencer wie Andrew Tate Millionen User erreichen. Die Serie führt tief in digitale Communitys, in denen Selbstoptimierung und vermeintliche Stärke in Frauenhass und Gewaltaufrufe kippen.

«Alpha Boys» erscheint unter srf.ch/audio, im Podcast-Feed von News Plus Hintergründe sowie auf den gängigen Podcastplattformen.

SRF 4 News, 26.11.2025, 2:04 Uhr; sten

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