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Nazi-Deutschland Wie eine Aargauerin ins Visier der Nazis geriet

Lili Glarner will auf Reisen gehen. Stattdessen nimmt die Gestapo sie in Berlin fest und verdächtigt sie der Spionage.

Lili Glarner führt ein gesittetes Leben. Sie wächst in einer angesehenen Arztfamilie im aargauischen Wildegg auf. Ihr Herz schlägt aber für den Kommunismus. Am 21. April 1933 trifft die Aargauerin einen Entscheid, der ihr Leben für immer verändern wird. Die Geschichte von Lili Glarner wird derzeit an einem Bühnentheater erzählt.

Theater über die Geschichte von Lili Glarner

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Hinter dem Theaterstück steht Peter-Jakob Kelting. Der frühere Leiter der «Bühne Aarau» ist per Zufall im Stadtmuseum Aarau auf die Geschichte von Lili Glarner gestossen. Ihr Schicksal fasziniert ihn.

Jahrelang recherchierte Kelting. Dabei stiess er auf 23 Briefe, die Lili Glarner an ihre Mutter geschrieben hatte. In Archiven in der Schweiz und Deutschland fand er ausserdem diverse Schriftenwechsel und Zeitungsartikel.

Das daraus entstandene Theaterstück «Aus der Zeit» dreht sich um eine Forscherin, die sich durch die Dokumente wühlt und das Publikum auf ihre Recherche über das Leben von Lili Glarner mitnimmt. Gespielt wird die Rolle von der Aargauer Schauspieler Nathalie Imboden.

Die Aufführungen im Theater Tuchlaube in Aarau sind bereits ausverkauft. Das Stück wird noch im ThiK in Baden und im Tojo in Bern gezeigt.

Lili Glarner ist 25 Jahre alt, als sie ihre Eltern mit ihren Plänen vor den Kopf stösst. Sie kündigt an, dass sie ihren niederländischen Freund heiraten wird – mit oder ohne die Einwilligung der Familie. Den entsetzten Eltern teilt Glarner gleich noch eine zweite Entscheidung mit: Sie werde mit ihrem Freund in die Sowjetunion auswandern.

Vom behüteten Zuhause ins Gefängnis

Am nächsten Tag bricht das Liebespaar nach Berlin auf, um sich die Visa zu besorgen. Doch Deutschland befindet sich 1933 in einem radikalen Umbruch. Rund drei Monate zuvor haben die Nationalsozialisten die Macht ergriffen und damit begonnen, ihr Schreckensregime aufzubauen. Während die zwei Verliebten auf ihre Visa warten, schliessen sie sich einer kommunistischen Widerstandsbewegung an. Kurze Zeit später fliegt die Gruppe auf und wird von der Gestapo festgenommen.

Person sitzt an Tisch vor Stapel von Archivboxen.
Legende: Die Geschichte von Lili Glarner wird in einem Theaterstück erzählt. Auf der Bühne steht dabei nur eine Person: Die Aargauer Schauspielerin Nathalie Imboden spielt eine Forscherin, die sich durch die Akten von Lili Glarner wühlt. ZVG

Das erste Mal, dass Margrith und Paul Glarner von ihrer Tochter hören, ist durch einen Anruf aus dem Untersuchungsgefängnis in Berlin. Lili Glarner bleibt 15 Monate inhaftiert, 12 davon in Einzelhaft. In Briefen teilt sie ihrer Mutter ihr Leid mit. So beklagt sie sich, dass sie die Sonne seit Wochen nicht gesehen habe: «Am Anfang war ich richtig betrübt, jetzt ist mir auch das gleichgültig; ich verkrieche mich mit sämtlichen Gefühlen in mein Schneckenhaus.»

Handgeschriebener Brief in deutscher Sprache.
Legende: Der Briefverkehr im Berliner Gefängnis wurde strengstens überwacht. Immer wieder deutet Lili Glarner in den Briefen an, dass ihre Äusserungen aufgrund der Zensur unvollständig bleiben müssen. ZVG

Lili Glarners Vater setzt alle Hebel in Bewegung, um die Freilassung seiner Tochter zu erwirken. Er macht Druck bei den Schweizer Behörden und tritt auch mit Männern aus dem Nazi-Umfeld in Kontakt.

Freilassung nach 15 Monaten

Der letzte Brief von Lili Glarner an ihre Mutter datiert vom 28. September 1934. Eine Woche später wird sie überraschend und ohne Begründung aus der Haft entlassen. Die Bemühungen des Vaters und ihre Schweizer Staatsbürgerschaft dürften dabei geholfen haben. Zudem nahm der damalige Freund von Glarner die Schuld auf sich und stellte seine Freundin als unwissende Mitläuferin dar.

Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz bleibt Lili Glarner im Kanton Aargau. 1938 heiratete sie ihren ehemaligen Klassenkameraden Helmut Zschockke. Auch er stammt aus einem angesehenen Elternhaus. Genau wie Glarner vertritt er kommunistischen Werte und war wegen politischer Aktivitäten ebenfalls schon im Gefängnis.

Frau sitzt auf Bank umgeben von vier Kindern.
Legende: Lili Glarner mit vier von ihren sechs Kindern. ZVG/Sammlung Stadtmuseum Aarau

Das Ehepaar Glarner-Zschokke hat fünf Töchter und einen Sohn. Ihre beruflichen Perspektiven sind wegen ihres politischen Engagements in den Jahren des Kalten Krieges beschränkt. Während Zschokke in Aarau ein nicht sehr erfolgreiches Optikergeschäft führt, kümmert sich Glarner um den Haushalt und arbeitet als Sekretärin und Übersetzerin.

Politisch engagiert sich Glarner in der Frauengruppe der SP, ihr Mann schreibt als ehrenamtlicher Redaktor für sozialdemokratische Presseorgane. Bis 1958 werden beide als politisch gefährlich eingestuft und polizeilich überwacht. 1965 stirbt Lili Glarner im Alter von 56 Jahren an Krebs.

Über ihre Zeit im Nazi-Gefängnis sprach sie mit ihren Kindern zu Lebzeiten nicht. Sie erfuhren erst davon, als ihr Vater 1978 starb. In seinem Nachlass fanden sich auch die Briefe von Lili Glarner aus dem Berliner Gefängnis.

Regionaljournal Aargau Solothurn, 16.12.2025, 17.30 Uhr ; 

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