Ein Drittel der Schweizer Bevölkerung leidet an Schlafstörungen, doch die Politik zögert, das Thema prioritär zu behandeln. Der Neurobiologe und Schlafforscher Albrecht Vorster erklärt, warum das ein Fehler ist.
SRF: Der Nationalrat will dem Bundesrat keine Vorgaben zur Schlafprävention machen. Eine Enttäuschung für Sie?
Ja, das ist eine kleine Enttäuschung. Viele Länder haben den Schlaf noch nicht in ihren Gesundheitsstrategien, obwohl er eine der vier grossen Säulen unserer Gesundheit ist, neben Ernährung, Bewegung und dem Sozialleben. Etwa 80 Prozent aller Erkrankungen hängen von diesen vier Faktoren ab.
Sie fordern, das Thema Schlaf schnellstmöglich in die nationale Gesundheitsstrategie aufzunehmen. Warum ist das so wichtig?
Weil Schlaferkrankungen häufig ursächlich für die grossen Krankheiten unserer Gesellschaft sind. Etwa die Hälfte der Patienten, die an Bluthochdruck leiden, haben auch eine Schlafapnoe. Behandeln wir diese, senken wir den Bluthochdruck und betreiben Prävention für Schlaganfall und Herzinfarkt. Auch das Diabetesrisiko verdoppelt sich bei schlechtem Schlaf.
Wäre das nicht ein massiver Kostentreiber für das ohnehin belastete Gesundheitswesen, wenn plötzlich Hunderttausende eine Schlaftherapie machen?
Im Gegenteil, am Ende spart es Geld. Es geht darum, den Schlaf auf allen Ebenen mitzudenken.
Psychiatrischen Erkrankungen geht sehr häufig eine Schlafstörung voraus.
Wenn wir Jugendliche in der Schule über gesunden Schlaf aufklären, kostet das erst mal nichts. Aber wir sparen unglaublich viel Geld, wenn es dadurch gar nicht erst zur Manifestation einer Depression oder Angststörung kommt. Diesen psychiatrischen Erkrankungen geht sehr häufig eine Schlafstörung voraus.
Sie erwähnen die Jugendlichen. Sind sie eine besondere Risikogruppe?
Ja, sie sind die müdeste Bevölkerungsgruppe der Schweiz. Das liegt daran, dass sich ihre innere Uhr in der Pubertät biologisch um bis zu zwei Stunden nach hinten verschiebt. Sie können oft erst um ein oder zwei Uhr nachts einschlafen, müssen aber um sechs oder sieben Uhr aufstehen. Das ist zu wenig. Wir klauen ihnen quasi den Schlaf. Deshalb fordern Schlafforscher weltweit, den Schulbeginn ab der Pubertät auf 9 Uhr zu verlegen. Das ist eine biologische Notwendigkeit.
Der Bundesrat verweist auf bestehende Präventionsmassnahmen, die bereits auf die Schlafqualität abzielen. Reicht das nicht?
Nein. Es klingt so, als könnte man mit ausreichender Bewegung und guter Ernährung Schlafstörungen behandeln. Dann müssten Spitzensportler ja kerngesund sein.
Schlaf ist ein eigenständiger Risikofaktor, der eine eigenständige Betrachtung braucht.
Unsere eigene Forschung mit 4000 Schweizer Top-Athleten zeigt aber, dass auch bei ihnen Schlafstörungen sehr häufig sind. Das beweist: Schlaf ist ein eigenständiger Risikofaktor, der eine eigenständige Betrachtung braucht.
Welche wirtschaftlichen Folgen hat die Müdigkeit in der Schweiz?
Die Kosten sind enorm. Ein müder Mitarbeiter ist weniger leistungsfähig. Jeder Mitarbeiter mit einer Schlafstörung kostet ein Unternehmen rund 2000 Franken pro Jahr.
Das Gespräch führte David Karasek.