Die Berner Gemeinde Belp wagt einen Versuch an der Primarschule: nur vier Tage Schule, dafür längerer Unterricht – und weniger Ferien. Der Bildungsforscher Stephan Huber von der Johannes Kepler Universität Linz erklärt, was von der Idee zu halten ist.
SRF News: Nur vier Tage zur Schule: Ist damit vor allem berufstätigen Eltern gedient oder auch den Kindern?
Stephan Huber: Es kommt darauf an. International existieren verschiedene Modelle: Die Viertagewoche für Lehrpersonen, während die Schule weiterhin an fünf Tagen geöffnet bleibt; und dann gibt es Schulen – vor allem in ländlichen Gegenden der USA –, die tatsächlich nur vier Tage in Betrieb sind, um Kosten für Personal, Heizung und Strom zu senken.
Aus Sicht der empirischen Bildungsforschung ist die Viertagewoche nicht unbedingt das Modell der Wahl.
Aus Sicht der empirischen Bildungsforschung gibt es bisher zu wenig Erkenntnisse, um argumentieren zu können, dass das Viertagewochemodell das Modell der Wahl ist. Entscheidend ist vielmehr, dass möglichst viel Unterrichtszeit verfügbar ist, die für die Kinder und Jugendlichen anregend und beziehungsorientiert gestaltet wird.
Beim Pilotprojekt in Belp gibt’s im Gegenzug zur Viertagewoche nur sechs Wochen Ferien. Ist das gut oder schlecht für die Kinder?
Bei internationalen Vergleichsstudien stellen wir fest, dass bei langen Ferien der Leistungsrückgang immer besonders hoch ist. Deswegen könnte man sagen: Weniger Ferien sind gut – nicht zuletzt aus Sicht berufstätiger Eltern. Es gibt Länder, die auf diese Leistungseinbussen reagiert haben, zum Beispiel Österreich mit seinen «Sommerschulen». Auch in der Schweiz gibt es Angebote – zwar nicht schulischer Art, aber Freizeitangebote –, damit die Betreuung, die berufstätige Eltern sich wünschen, gewährleistet ist.
Benötigen die Kinder keine Pausen, um wieder lernen zu können?
Selbstverständlich braucht es auch Pausen. Aber die entscheidendere Frage ist die, was danach kommt. Das Beste an Pausen ist immer, dass man danach Gegenteiliges zu dem macht, was man gerade gemacht hat. Wenn ich zugehört habe, sollte ich selbst sprechen. Wenn ich gesessen bin, sollte ich stehen. Das Rezept lautet also: mehr Abwechslung in der Schule, nicht längere Ferien.
Lange Präsenzzeiten sind also nicht per se schädlich?
Guter Unterricht ist nie schädlich – schlechter Unterricht hingegen schon (lacht). Wenn der Tag und der Wochenverlauf interessant und abwechslungsreich strukturiert und so gestaltet sind, dass die Kinder weder über- noch unterfordert sind, dann spielt die Frage, wie lange sie in der Schule sind, eine nicht ganz so entscheidende Rolle.
Ich würde bei einer anderen Tagesstruktur ansetzen.
Am dringlichsten wäre eine gute Verzahnung von unterrichtlichen und ausserunterrichtlichen Angeboten an Schultagen, beispielsweise im Rahmen des offenen Ganztags, um Monotonie, Ermüdung und Langeweile vorzubeugen.
In den Ferien würde ich allerdings eher über zusätzliche Freizeit- und Bildungsangebote nachdenken, statt über mehr klassischen Unterricht – die Kinder brauchen auch darüber viele Impulse!
Wie meinen Sie das?
Ich bin aufgrund der gesamten Forschungslage überzeugt, dass aus Sicht der Kinder die wichtige Frage nicht so sehr ist, ob vier oder fünf Tage Unterricht stattfindet. Entscheidender sind die Fragen: Gibt es genügend Anregung und Bildungsangebote, wo Schülerinnen und Schüler gemäss ihrer Potenziale gefördert werden und sich wohl fühlen in der Schule? Ich würde bei einer anderen Tagesstruktur ansetzen: Die Kinder sollten abwechselnd intellektuell, emotional, haptisch-motorisch lernen, Sport treiben und musisch-kulturell aktiv sein, d.h. eine ganzheitliche Förderung sollte im Zentrum stehen. Mit einer solchen Durchmischung könnte man einen anregenden und abwechslungsreichen Tagesrhythmus finden. Das Motto müsste sein: Mit gutem, abwechslungsreichem Rhythmus alle Schülerinnen und Schüler in den unterschiedlichsten Potenzialen fördern.
Das Gespräch führte Sibilla Bondolfi.