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Psychiatrische Dienste Aargau Falsche Ärztin behandelt jahrelang Psychiatrie-Patienten

Sie stellte Diagnosen und verschrieb Medikamente. Jetzt zeigt sich: Sie hat vermutlich nie Medizin studiert.

Nicht einmal der Chefarzt merkte, dass die Frau mutmasslich keine Ärztin ist. Seit Januar 2022 behandelte P. Patientinnen in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Psychiatrischen Dienste Aargau (PDAG) in Windisch.

Im Frühling 2025 trat Chefarzt Marc Walter mit der 40-Jährigen im «Sonntagsblick» auf. Der Artikel porträtiert einen Patienten, bei dem «die PDAG-Ärztin» eine narzisstische Persönlichkeitsstörung diagnostiziert habe. «Seine Therapeutin» habe dafür eine «strukturierte psychiatrische Untersuchung» durchgeführt. Auch Narzissmus-Experte Walter wird zitiert.

Frau im weissen Ärztinnenkittel, geblurrt
Legende: Die «Ärztin» und «Therapeutin» hat laut «Sonntagsblick» bei einem Patienten eine narzisstische Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Blick / Thomas Meier

Nur Monate später ist die Frau ihren Job los. Recherchen von SRF Investigativ zeigen: Die Medizinalberufekommission (Mebeko) hat im Juli den Eintrag von P. im Medizinalberuferegister (Medreg) widerrufen. Wer nicht im Medreg steht, darf in der Schweiz nicht als Ärztin praktizieren.

Daraufhin stellen die PDAG die Frau frei. Das Departement Gesundheit und Soziales des Kantons Aargau reicht Strafanzeige gegen sie ein. Für die Frau, die vier Jahre als Ärztin im Medreg eingetragen war, gilt die Unschuldsvermutung.

Was ist passiert? Im Sommer erhalten mehrere Behörden anonyme Schreiben, die P. Urkundenfälschung vorwerfen. Die Frau habe entgegen ihrer Behauptung nie in Moskau Medizin studiert – sondern Marketing. Auch SRF Investigativ liegen solche Briefe vor. Mitgeschickt wurden Kopien von Dokumenten, die die Vorwürfe untermauern sollen.

Es bestanden «Verdachtsmomente»

Die Mebeko nimmt keine Stellung zu Einzelfällen. Grundsätzlich prüfe man alle Hinweise auf Fälschungen sorgfältig. «Bestehen Verdachtsmomente, nimmt die Kommission soweit möglich bei den zuständigen ausländischen Stellen die üblichen Abklärungen vor, insbesondere zur Echtheit der von der gesuchstellenden Person eingereichten und beglaubigten Dokumente.» Eine solche Überprüfung sei auch im vorliegenden Fall erfolgt.

Natürlich bin ich Ärztin.
Autor: Frau P. Mutmasslich falsche Ärztin

Pikant: Vier Jahre zuvor hatte die Mebeko das russische Arztdiplom der Frau – keine gebürtige Russin – noch für echt befunden. Wie kann das sein? Man prüfe pro Jahr eine grosse Zahl von ausländischen Diplomen, rechtfertigt sich die Kommission. Man nehme die «grosse Verantwortung für die Patientensicherheit» ausgesprochen ernst.

«Natürlich bin ich Ärztin», sagt die Frau zu SRF Investigativ. Wegen der laufenden Strafanzeige äussert sie sich nicht weiter. Nur so viel: Sie gehe von einem «Missverständnis» der Universität aus. Sie sei dabei, dieses zu klären und Beweise für die Echtheit ihres Abschlusses in Humanmedizin zu beschaffen.

Weitere Ungereimtheiten im Fall P.

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Ungereimtheiten im Lebenslauf, auf die sie SRF Investigativ hinweist, kommentiert die Frau nicht. So soll sie etwa eine mehrjährige Osteopathie-Weiterbildung in Deutschland absolviert haben – doch die erwähnte Schule weiss auf Anfrage nichts davon. Auch ein Institut für Verhaltenstherapie in den USA schreibt SRF Investigativ, P. sei bei ihnen nicht als ehemalige Studentin verzeichnet. Dort soll P. ebenfalls eine Weiterbildung zumindest angefangen haben.

Auch die Psychiatrischen Dienste Aargau erklären sich. Man habe die Frau gestützt auf den Eintrag im Medizinalberuferegister eingestellt. Der Klinik sei ein vollständiges Bewerbungsdossier in deutscher Sprache mit beglaubigt übersetzter Diplomurkunde vorgelegen. Dieses sei in keiner Weise auffällig gewesen.

Das sagt die PDAG über die Patientinnen und Patienten

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«Die PDAG hat alle Patientinnen und Patienten (mindestens jene, die noch in Behandlung waren) informiert, dass die Ärztin nicht mehr bei der PDAG tätig sei», schreibt die Klinik. Aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen habe man «allerdings nicht ins Detail» gehen können. Möglicherweise wissen die Patientinnen und Patienten also bis heute nichts von den Vorwürfen gegen Frau P. Wann genau man sie informierte und warum nicht auch ehemalige Patienten miteinbezogen wurden, sagt die Klinik nicht.

Wie viele Patientinnen Frau P. in ihren dreieinhalb Jahren als Assistenzärztin insgesamt behandelt hat, lasse sich nicht eruieren, schreibt die Klinik. Die Sicherheit der Patientinnen und Patienten sei «zu keinem Zeitpunkt gefährdet» gewesen. Das «Vier-Augen-Prinzip» gelte bei Assistenzärztinnen insbesondere für die Diagnose-Erstellung und die Verordnung von Medikamenten. Es sei auch bei P. zur Anwendung gekommen.

Aktuelle und ehemalige Patientinnen und Patienten von Frau P. können sich bei der Abteilung Gesundheit des Departements Gesundheit und Soziales des Kantons Aargau und/oder bei den Psychiatrischen Diensten Aargau melden.

Dass niemand merkte, dass die Assistenzärztin wohl nie Medizin studiert hat, erklärt die PDAG mit anderen Schwerpunkten bei ausländischen Medizinstudien: «Allfällige Wissenslücken von ausländischen Ärztinnen und Ärzten werden deshalb nicht als sonderbar angesehen und fallen dementsprechend im Alltag auch weniger auf.»

Patienten seien nie gefährdet gewesen, da Assistenzärzte «stets unter Anleitung und enger Supervision» von erfahrenen Fachärztinnen arbeiten würden. Chefarzt Marc Walter wollte sich nicht zum Fall P. äussern.

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Regionaljournal Aargau Solothurn, 17.10.2025, 6:31 Uhr ;sir;stal;wilh

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