Nicht einmal der Chefarzt merkte, dass die Frau mutmasslich keine Ärztin ist. Seit Januar 2022 behandelte P. Patientinnen in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Psychiatrischen Dienste Aargau (PDAG) in Windisch.
Im Frühling 2025 trat Chefarzt Marc Walter mit der 40-Jährigen im «Sonntagsblick» auf. Der Artikel porträtiert einen Patienten, bei dem «die PDAG-Ärztin» eine narzisstische Persönlichkeitsstörung diagnostiziert habe. «Seine Therapeutin» habe dafür eine «strukturierte psychiatrische Untersuchung» durchgeführt. Auch Narzissmus-Experte Walter wird zitiert.
Nur Monate später ist die Frau ihren Job los. Recherchen von SRF Investigativ zeigen: Die Medizinalberufekommission (Mebeko) hat im Juli den Eintrag von P. im Medizinalberuferegister (Medreg) widerrufen. Wer nicht im Medreg steht, darf in der Schweiz nicht als Ärztin praktizieren.
Daraufhin stellen die PDAG die Frau frei. Das Departement Gesundheit und Soziales des Kantons Aargau reicht Strafanzeige gegen sie ein. Für die Frau, die vier Jahre als Ärztin im Medreg eingetragen war, gilt die Unschuldsvermutung.
Was ist passiert? Im Sommer erhalten mehrere Behörden anonyme Schreiben, die P. Urkundenfälschung vorwerfen. Die Frau habe entgegen ihrer Behauptung nie in Moskau Medizin studiert – sondern Marketing. Auch SRF Investigativ liegen solche Briefe vor. Mitgeschickt wurden Kopien von Dokumenten, die die Vorwürfe untermauern sollen.
Es bestanden «Verdachtsmomente»
Die Mebeko nimmt keine Stellung zu Einzelfällen. Grundsätzlich prüfe man alle Hinweise auf Fälschungen sorgfältig. «Bestehen Verdachtsmomente, nimmt die Kommission soweit möglich bei den zuständigen ausländischen Stellen die üblichen Abklärungen vor, insbesondere zur Echtheit der von der gesuchstellenden Person eingereichten und beglaubigten Dokumente.» Eine solche Überprüfung sei auch im vorliegenden Fall erfolgt.
Natürlich bin ich Ärztin.
Pikant: Vier Jahre zuvor hatte die Mebeko das russische Arztdiplom der Frau – keine gebürtige Russin – noch für echt befunden. Wie kann das sein? Man prüfe pro Jahr eine grosse Zahl von ausländischen Diplomen, rechtfertigt sich die Kommission. Man nehme die «grosse Verantwortung für die Patientensicherheit» ausgesprochen ernst.
«Natürlich bin ich Ärztin», sagt die Frau zu SRF Investigativ. Wegen der laufenden Strafanzeige äussert sie sich nicht weiter. Nur so viel: Sie gehe von einem «Missverständnis» der Universität aus. Sie sei dabei, dieses zu klären und Beweise für die Echtheit ihres Abschlusses in Humanmedizin zu beschaffen.
Auch die Psychiatrischen Dienste Aargau erklären sich. Man habe die Frau gestützt auf den Eintrag im Medizinalberuferegister eingestellt. Der Klinik sei ein vollständiges Bewerbungsdossier in deutscher Sprache mit beglaubigt übersetzter Diplomurkunde vorgelegen. Dieses sei in keiner Weise auffällig gewesen.
Dass niemand merkte, dass die Assistenzärztin wohl nie Medizin studiert hat, erklärt die PDAG mit anderen Schwerpunkten bei ausländischen Medizinstudien: «Allfällige Wissenslücken von ausländischen Ärztinnen und Ärzten werden deshalb nicht als sonderbar angesehen und fallen dementsprechend im Alltag auch weniger auf.»
Patienten seien nie gefährdet gewesen, da Assistenzärzte «stets unter Anleitung und enger Supervision» von erfahrenen Fachärztinnen arbeiten würden. Chefarzt Marc Walter wollte sich nicht zum Fall P. äussern.