Worum geht es? Die Bedrohungslage hat sich laut Bundesrat verschärft. Er will die Verteidigungsfähigkeit stärken und geht überraschende Wege: Er prüft den Einsatz von Freiwilligen als Teil der sicherheitspolitischen Strategie, die er vorletzte Woche präsentiert hat. Diese sollen zum Beispiel Brücken, Bahnanlagen oder Kraftwerke überwachen und sichern. Gebildet würden die Truppen vor allem aus ehemaligen Armeeangehörigen. Neu ist die Idee nicht: Während des Zweiten Weltkriegs wurden sogenannte Ortswehren gegründet. In Skandinavien und Osteuropa gibt es solche Verbände noch immer. Wegen der Bedrohung durch Russland werden sie verstärkt. In der Schweiz erntet die Idee Applaus im bürgerlichen und Kritik im linken Lager (siehe Box).
Wie könnte die Freiwilligentruppe aussehen? Die Armee nennt keine konkreten Beispiele für Schutz- und Sicherungsaufgaben. Sie schreibt aber, die Freiwilligenverbände könnten Nachrichten beschaffen, Geländeteile oder Objekte überwachen und sichern. Die Kontingente sollen regional organisiert sein und bei erhöhten Spannungen zum Einsatz kommen. Für Angaben zu Truppenstärke, Bewaffnung oder Einsatzregeln sei es zu früh.
Fritz Kälin ist Militärhistoriker und stellvertretender Chefredaktor der Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift (ASMZ). Er hält Freiwilligenverbände für sinnvoll. Dass heute die meisten Soldaten bereits vor ihrem 30. Geburtstag aus dem Dienst entlassen werden, hält er für «die grösste militärökonomische Ineffizienz, welche sich das Verteidigungsdepartement der Wirtschaft zuliebe leistet». Freiwilligenformationen seien «eine der kosteneffizientesten Massnahmen», um die Verteidigungsfähigkeit zu steigern. Es brauche einen Pool mit mindestens Tausend Freiwilligen. Diese könnten die Lücke zwischen Polizei und Kampfverbänden schliessen. Denn jene Lücke könne ein hybrid operierender Gegner (siehe Box) ausnützen.
Kommt es zum Revival der Ortswehren? Die Idee der Armee weckt Erinnerungen an die Ortswehren. Diese Freiwilligenverbände wurden 1940, während des Zweiten Weltkriegs also, gegründet. Sie waren lokal organisiert und bestanden hauptsächlich aus ehemaligen Militärangehörigen. Sie sollten Brücken, Strassen oder Panzersperren unter anderem vor Sabotage schützen. Ein Jahr nach ihrer Gründung existieren fast 3000 Ortswehren mit über 125'000 Mann. 1967 wurden sie aufgelöst. Militärhistoriker Kälin findet den Vergleich zwischen den geplanten Freiwilligenverbänden und den früheren Ortswehren passend. Die Neuauflage aber würde durch zeitgemäss ausgerüstete und ausgebildete Kräfte zusammengesetzt, betont er.
Die Schweizer Ortswehren während des Zweiten Weltkriegs
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Bild 1 von 5. Ausbildung von Freiwilligen für die Ortswehr während des Zweiten Weltkriegs. Das Foto aus den Beständen des Armeestabs ist mit «1939 bis 1945» datiert. Der Aufnahmeort ist unbekannt. Bildquelle: Bundesarchiv (Signatur E5792#1988/204#623* / Georges Tièche).
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Bild 2 von 5. «Bleib treu dem Vaterlande, so bleibst dir selber treu!» Eine Postkarte aus dem Jahr 1941 zitiert Gottfried Keller und würdigt die Berner Ortswehr. Bildquelle: Sozialarchiv (Sozarch_F_5068-Ka-2282).
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Bild 3 von 5. Schiessausbildung für Freiwillige der Ortswehr. Das Bild aus den Beständen der Schweizer Armee datiert aus der Zeit von 1939 bis 1945. Der Aufnahmeort ist unbekannt. Bildquelle: Bundesarchiv (Signatur E5792#1988/204#623* / Georges Tièche).
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Bild 4 von 5. Freiwillige der Ortswehr bauen improvisierte Fahrzeugsperren. Die Armeefotografie ist nicht datiert, stammt aber aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Der Ort der Aufnahme ist nicht bekannt. Bildquelle: Bundesarchiv (Sig.: E5792#1988/204#1007* / Georges Tièche).
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Bild 5 von 5. Ein Schweizer Armeeangehöriger bei der Musterung von Freiwilligen für die Ortswehr während des Zweiten Weltkriegs. Das Foto aus den Beständen des Armeestabs ist mit «1939 bis 1945» datiert. Der Aufnahmeort ist unbekannt. Bildquelle: Bundesarchiv (Sig.: E5792#1988/204#623*/Fotograf: Georges Tièche).
Wo existieren vergleichbare Freiwilligenmilizen? Schweden und Norwegen kennen sogenannte Heimwehren. Die schwedische Heimwehr umfasst über 20'000 Freiwillige zwischen 18 und 70 Jahren. Diese kommen in Friedenszeiten bei Überschwemmungen oder Waldbränden zum Einsatz. Im Konfliktfall sollen sie Flugplätze oder Häfen bewachen. Estland und Lettland haben ebenfalls Freiwilligenverbände aufgebaut. In Estland können bereits Kinder und Jugendliche beitreten. Militärisch bedeutend sind Freiwillige in Polen. Vor fast zehn Jahren entstand die Territorialverteidigungsarmee als Ergänzung zur Berufsarmee. Laut Medienberichten absolvieren jährlich rund 35'000 Menschen die einmonatige Grundausbildung.