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Reaktion auf Bedrohungslage Armee denkt über Freiwilligentruppe nach – es wäre ein Revival

Als Reaktion auf die verschärfte Bedrohungslage prüft die Armee den Einsatz von Freiwilligen – und knüpft damit an die Vergangenheit an.

Worum geht es? Die Bedrohungslage hat sich laut Bundesrat verschärft. Er will die Verteidigungsfähigkeit stärken und geht überraschende Wege: Er prüft den Einsatz von Freiwilligen als Teil der sicherheitspolitischen Strategie, die er vorletzte Woche präsentiert hat. Diese sollen zum Beispiel Brücken, Bahnanlagen oder Kraftwerke überwachen und sichern. Gebildet würden die Truppen vor allem aus ehemaligen Armeeangehörigen. Neu ist die Idee nicht: Während des Zweiten Weltkriegs wurden sogenannte Ortswehren gegründet. In Skandinavien und Osteuropa gibt es solche Verbände noch immer. Wegen der Bedrohung durch Russland werden sie verstärkt. In der Schweiz erntet die Idee Applaus im bürgerlichen und Kritik im linken Lager (siehe Box).

Kritik von links – Support aus bürgerlichem Lager

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Im September hat der Nationalrat einer Forderung von SVP-Nationalrat Rémy Wyssmann zugestimmt Dieser will es Soldaten möglich machen, nach Erfüllung ihrer Dienstpflicht freiwillig Dienst zu leisten.

Dementsprechend begrüsst Wyssmann die Pläne des Bundesrats. Er ist überzeugt, dass es genug motivierte ehemalige Armeeangehörige gebe: «Diese sind bereits geschult und in Schützenklubs», sagt Wyssmann. Solche Kräfte könne man kurzfristig aufbieten. «Vielleicht braucht es ab und zu einen Auffrischungskurs an einem Wochenende – ohne grosse Kosten und ohne grosse Bürokratie.»

SP-Politikerinnen skeptisch

SP-Ständerätin und Sicherheitspolitikerin Franziska Roth hat im Grundsatz nichts gegen freiwilligen Militärdienst. Wenn Armeeangehörige nach Ende ihrer Dienstpflicht in den Verbänden bleiben könnten, könne dies Sinn ergeben. Ganze Freiwilligenverbände für Schutz- und Sicherungsaufgaben lehnt Roth aber ab, weil dies Aufgabe der Polizei sei: «Die Armee darf nicht als Lückenbüsser auftreten. Und wenn es gar nicht anders geht, dann müssen Zeitsoldaten zum Einsatz kommen, die entsprechend ausgebildet und bezahlt sind.»

Gar nichts wissen von Freiwilligenverbänden will SP-Sicherheitspolitikerin Priska Seiler-Graf: «Es gibt kein Problem mit dem Armeebestand», sagte die Sicherheitspolitikerin im August zu SRF. Wenn man Freiwillige zulassen wolle, dann müsse man gezielt nach dem Bedarf rekrutieren – und nicht einfach in die Breite.

Wie könnte die Freiwilligentruppe aussehen? Die Armee nennt keine konkreten Beispiele für Schutz- und Sicherungsaufgaben. Sie schreibt aber, die Freiwilligenverbände könnten Nachrichten beschaffen, Geländeteile oder Objekte überwachen und sichern. Die Kontingente sollen regional organisiert sein und bei erhöhten Spannungen zum Einsatz kommen. Für Angaben zu Truppenstärke, Bewaffnung oder Einsatzregeln sei es zu früh.

Zwei Soldaten auf Patrouille entlang eines Stacheldrahtzauns.
Legende: Patrouillieren, überwachen, sichern: Solche Aufgaben könnten künftig auch Freiwillige übernehmen. Keystone / Urs Flüeler

Fritz Kälin ist Militärhistoriker und stellvertretender Chefredaktor der Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift (ASMZ). Er hält Freiwilligenverbände für sinnvoll. Dass heute die meisten Soldaten bereits vor ihrem 30. Geburtstag aus dem Dienst entlassen werden, hält er für «die grösste militärökonomische Ineffizienz, welche sich das Verteidigungsdepartement der Wirtschaft zuliebe leistet». Freiwilligenformationen seien «eine der kosteneffizientesten Massnahmen», um die Verteidigungsfähigkeit zu steigern. Es brauche einen Pool mit mindestens Tausend Freiwilligen. Diese könnten die Lücke zwischen Polizei und Kampfverbänden schliessen. Denn jene Lücke könne ein hybrid operierender Gegner (siehe Box) ausnützen. 

Was ist hybride Kriegsführung?

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Hybride Angriffe bedienen sich einer Kombination verschiedener Mittel, um einen Staat zu destabilisieren oder ihm seinen Willen aufzuzwingen. Zum Instrumentarium gehören Sabotage, Cyberangriffe, Desinformation, wirtschaftlicher Druck oder verdeckte militärische Operationen.

Hybride Angriffe finden bewusst in einer völkerrechtlichen Grauzone zwischen Frieden und Krieg statt. Die Feststellung, ab wann man von einem bewaffneten Angriff sprechen kann, wird zunehmend schwierig.

Laut dem Bundesrat hat hybride Konfliktführung zugenommen. Auch gegen die Schweiz werden Spionage, Cyberangriffe und Beeinflussungsaktivitäten eingesetzt.

Kommt es zum Revival der Ortswehren? Die Idee der Armee weckt Erinnerungen an die Ortswehren. Diese Freiwilligenverbände wurden 1940, während des Zweiten Weltkriegs also, gegründet. Sie waren lokal organisiert und bestanden hauptsächlich aus ehemaligen Militärangehörigen. Sie sollten Brücken, Strassen oder Panzersperren unter anderem vor Sabotage schützen. Ein Jahr nach ihrer Gründung existieren fast 3000 Ortswehren mit über 125'000 Mann. 1967 wurden sie aufgelöst. Militärhistoriker Kälin findet den Vergleich zwischen den geplanten Freiwilligenverbänden und den früheren Ortswehren passend. Die Neuauflage aber würde durch zeitgemäss ausgerüstete und ausgebildete Kräfte zusammengesetzt, betont er.

Die Schweizer Ortswehren während des Zweiten Weltkriegs

Wo existieren vergleichbare Freiwilligenmilizen? Schweden und Norwegen kennen sogenannte Heimwehren. Die schwedische Heimwehr umfasst über 20'000 Freiwillige zwischen 18 und 70 Jahren. Diese kommen in Friedenszeiten bei Überschwemmungen oder Waldbränden zum Einsatz. Im Konfliktfall sollen sie Flugplätze oder Häfen bewachen. Estland und Lettland haben ebenfalls Freiwilligenverbände aufgebaut. In Estland können bereits Kinder und Jugendliche beitreten. Militärisch bedeutend sind Freiwillige in Polen. Vor fast zehn Jahren entstand die Territorial­verteidi­gungs­armee als Ergänzung zur Berufsarmee. Laut Medienberichten absolvieren jährlich rund 35'000 Menschen die einmonatige Grundausbildung.

Heute Morgen, 23.12.2025, 6 Uhr; fulu;sten

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