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Schreib- und Leseschwäche «Wichtig ist, dass jemand an dich glaubt»

Der 42-jährige Berner Bielo Vasquez hat sich nicht beirren lassen und trotz seiner Schreib- und Leseschwäche eine Ausbildung zum Jugendarbeiter absolviert. Geholfen hat ihm dabei der offene Umgang mit dem Problem und viele kleine Tricks für seine fehlenden Grundkompetenzen.

Bei Bielo Vasquez kommt viel zusammen: Er hat nicht nur Mühe mit Lesen und Schreiben, auch der Umgang mit Zahlen ist für ihn nicht einfach. Er hat Legasthenie, Diskalkulie und überdies ein Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom. «Seit der ersten Klasse habe ich das gemerkt, ich bin immer aufgefallen, musste immer zu Psychologinnen und auf die Erziehungsberatung», sagt der 42-Jährige. Auch heute noch beeinträchtigt ihn das Problem, sei es beim Schreiben von E-Mails oder beim Ausfüllen der Steuererklärung.

«Weitere Schulen sind nichts für dich»

Trotz seiner Defizite hat Vasquez das Leben «gepackt». Er ist als Jugendarbeiter in einem Jugendclub in Bern tätig. Doch dieser Werdegang sei nicht selbstverständlich. «Ich wollte immer in die soziale Arbeit. Ich wollte immer mit Menschen zusammenarbeiten. Aber es hat immer geheissen, ‹Weitere Schulen sind nichts für dich›.» Nach einer abgebrochenen Anlehre und Arbeit in einer Kindertagesstätte hat er ein Praktikum in der Jugendarbeit gemacht und nach vielen erfolglosen Versuchen einen Ausbildungsplatz für soziokulturelle Animation bekommen. «Dadurch habe ich auch Leute gefunden, die an mich geglaubt haben, was sehr wichtig ist.»

Mann vor versprayter Wand
Legende: Bielo Vasquez arbeitet heute in einem Jugendtreff. Andreas Lüthi

Während der Ausbildung hat Vasquez seine eigenen Lerntechniken gefunden. «Ich weiss, dass ich gut mit Farben arbeiten kann, unterstreichen, markieren, zeichnen, ich bin ein visueller Typ», sagt der 42-Jährige. Zudem sei er offen mit seinem Problem umgegangen und habe grosse Unterstützung erhalten. «Einmal haben wir einen 50-seitigen Text bekommen, für mich ein Ding der Unmöglichkeit. Aber dann hat mir ein Kollege den Text in einer zweistündigen Sprachnachricht vorgelesen und so habe ich ihn verstanden», erzählt er.

Sich nicht demotivieren lassen

Über ein Sechstel der erwerbsfähigen Bevölkerung hat Mühe mit den Grundkompetenzen. Das zeigt ein neuer Bericht des Bundesamtes für Statistik. Diese Menschen sind in der Tendenz schlechter ins Sozialleben und in den Arbeitsmarkt integriert. Laut Christian Maag, Geschäftsführer des Schweizer Dachverbandes Lesen und Schreiben, verschärft die fortschreitende Digitalisierung die Probleme. «Viele Informationen werden in den digitalen Raum verschoben, das wird zur zusätzlichen Hürde, nicht nur für ältere Menschen», sagt Maag.

Viele haben einen Lernkomplex und wichtig ist, dass man diesen auflösen kann.
Autor: Bielo Vasquez Jugendarbei

Maag rät Betroffenen, sich Hilfe zu holen. Es gebe ganz viele Kurse in der ganzen Schweiz, die auf individuelle Probleme eingingen. «Das ist nicht wie Schule, da kann man seine eigenen Ziele setzen und im eigenen Tempo arbeiten», sagt Maag. Die Menschen, die Mühe mit Grundkompetenzen haben, hätten meistens keine gute Schulerfahrung gehabt, sagt Jugendarbeiter Bielo Vasquez. «Viele haben einen Lernkomplex und wichtig ist, dass man diesen auflösen kann.» Er rät betroffenen Jugendlichen: «Lasst euch nicht demotivieren. Schaut genau hin, wo eure wirklichen Interessen liegen und das kann viel auslösen.» Ein guter innerer Antrieb könne einem die Kraft geben, auch mit schwierigen Voraussetzungen viel zu erreichen.

Rendez-vous, 23.10.2025, 12:30 Uhr; wilh

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