Seit drei Monaten läuft ein Pilotprojekt, das es so zuvor in der Schweiz noch nie gegeben hat: das erste Digital-Streetwork-Angebot. Zwei Frauen und ein Mann, die für die Stiftung Kinderdorf Pestalozzi arbeiten, sollen Jugendliche dort erreichen, wo klassische Jugendarbeit an ihre Grenzen stösst: mitten in den sozialen Medien. Ihr Auftrag besteht darin, zu verhindern, dass junge Menschen in extremistische, diskriminierende oder rassistische Onlinewelten abgleiten.
Das Projekt ist auf drei Jahre ausgelegt und kostet knapp eine halbe Million Franken. Die Schweizerische Kriminalprävention (SKP) und der Bund übernehmen je die Hälfte der Kosten. Nun liegt eine erste Zwischenbilanz vor.
Aufklärung auf Social Media
Das Team würde in dieser ersten Phase vor allem Inhalte auf TikTok und Instagram produzieren, erklärt Julian. Er ist einer von insgesamt drei Digital Streetworkern. Seinen Nachnamen will er zum Schutz seiner Persönlichkeit nicht verraten.
Auf den Kanälen veröffentlichen sie kurze Videos und Posts, die Jugendliche informieren und aufklären sollen – wie Radikalisierung entsteht, welche Formen von Extremismus online sichtbar sind, wie Diskriminierung wirkt oder woran sich Fake News erkennen lassen.
Parallel dazu umfasst das Angebot auch die direkte, aufsuchende Kontaktaufnahme. Die Digital Streetworker bewegen sich in Kommentarspalten und auf Accounts, bei denen der Eindruck entsteht, dass Jugendliche Orientierung suchen oder mit extremistischen Inhalten interagieren. Sie beobachten dort nicht nur Inhalte, sondern vor allem Reaktionen: Wer liked, teilt oder kommentiert. In solchen Fällen bieten sie niederschwellige und vertrauliche Gespräche an.
Erste Gespräche im Aufbau
Die Zahl der tatsächlichen Dialoge ist gering, was laut Projektteam zum jetzigen Zeitpunkt normal ist. Jugendliche schreiben nicht sofort einer wildfremden Person. Um diese Hemmschwelle zu verringern, arbeiten die Digital Streetworker mit eigenen, personifizierten Accounts.
Zusätzlich grenzt das Team seine Arbeit bewusst ein. Organisierte Extremistinnen und Extremisten sollen beispielsweise nicht angesprochen werden. Vielmehr nutzen die Digital Streetworker deren Kanäle und Inhalte, um zu beobachten, wer darauf reagiert. Diese Jugendlichen bilden dann die eigentliche Zielgruppe.
Was, wenn eine Person Gewalt ankündigt?
«Sollte eine Person konkrete Drohungen äussern oder ankündigen, eine Terrortat oder einen Gewaltakt zu begehen, schreiben wir noch kurz weiter, um zu prüfen, ob ein Dialog möglich ist», so Julian. Gleichzeitig würden sie die Behörden informieren und den Fall an sie weitergeben.
Würden die Digital Streetworker in einem solchen Fall den Dialog fortsetzen, könnten sie riskieren, selbst strafrechtlich belangt zu werden, etwa wenn gewaltverherrlichende Inhalte weiterverbreitet werden. Auch aus diesem Grund geben sie ihre Nachnamen nicht preis.
Trotz der begrenzten Reichweite nach den ersten drei Monaten zeigt sich anhand der Reaktionen von Fachstellen, die Inhalte teilen und den Kontakt suchen, deutlich, dass die Arbeit der Digital Streetworker wahrgenommen wird. Dies macht Hoffnung, dass junge Menschen dort Unterstützung finden können, wo sie heute ihre meiste Zeit verbringen.