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«szene_isch_zueri» So funktioniert das Geschäft mit der Erniedrigung

Am meisten für Aufregung sorgt der grösste dieser Kanäle: «szene_isch_zueri», der Account, der das Video aus dem Tram veröffentlicht hat. Er unterscheidet sich von anderen «Szene isch»-Kanälen durch Underlines im Namen und durch eine Schrift, die an das Computerspiel «Grand Theft Auto» erinnert. Der Kanal ist Ende Oktober offline, auch in der Vergangenheit war er zwischenzeitlich nicht aufzurufen, kehrte aber immer wieder auf Instagram zurück.

Jetzt zeigen Recherchen von SRF Investigativ eine neue Dimension um «szene_isch_zueri». Denn vieles sieht so aus, als ginge es dem Kanal längst nicht mehr nur darum, seine 370'000 Follower zu unterhalten. Es geht um:

Ohne, dass sie davon wusste, landete ein Video von Elena auf dem Telegram-Kanal von «szene_isch_zueri». Dieser versorgt seine rund 70'000 Follower mit Inhalten, die für die Instagram-Richtlinien zu krass sind. Weil sie Gewalt zeigen, Drogenkonsum, Sex.

Das Video von Elena, die in Wahrheit anders heisst und anonym bleiben will, war nicht besonders explizit. Aus dem Kontext gerissen generiert es aber eben diese Wirkung. Vor allem aber entstand es im privaten Rahmen, war nie für die Öffentlichkeit gedacht und ist dennoch dorthin gelangt. «Als ich davon erfahren habe, war ich geschockt und fühlte mich erniedrigt», sagt Elena heute.  

Diverse Rechtsverletzungen

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Thierry Burnens ist Anwalt mit Spezialgebiet Digitalisierung. Zum Fall von Elena sagt er gegenüber SRF Investigativ: «Wir sind klar im Bereich der Persönlichkeitsrechtsverletzung.

Die gezeigte Person ist im Video erkennbar und wird in erniedrigender Weise dargestellt.»

Grundsätzlich gilt: Wer das Bild oder Video einer anderen Person veröffentlichen will, braucht einen Rechtfertigungsgrund, wie zum Beispiel die Einwilligung der gezeigten Person. Liegt diese nicht vor und ist eine Person erkennbar, verletzt eine Veröffentlichung das Recht am Bild der Gezeigten – und damit ein Persönlichkeitsrecht.

Thierry Burnens hat für SRF Investigativ diverse Beiträge analysiert, die auf dem Telegram-Kanal von «szene_isch_zueri» veröffentlicht worden sind. Er kommt zum Schluss, dass die meisten dieser Beiträge persönlichkeitsrechtsverletzend sind.

Auf Anfrage von SRF Investigativ hat der Kanal «szene_isch_zueri» zum Vorwurf der Persönlichkeitsrechtsverletzungen nicht reagiert.

Elena will, dass dieses Video aus dem Netz verschwindet. Weil sie nicht auf Telegram ist, schreibt sie «szene_isch_zueri» auf Instagram. Dort aber heisst es, der Instagram-Kanal habe mit Telegram nichts zu tun. Das glaubt Elena nicht, die Kanäle heissen gleich, haben dasselbe Logo und verweisen aufeinander.

Ich konnte zusehen, wie es mehr und mehr Views wurden. Mir ging es immer schlechter
Autor: Elena Betroffene

Sie versucht weiter, das Video löschen zu lassen, schreibt wieder und wieder, geholfen wird ihr nicht. «Ich konnte zusehen, wie es mehr und mehr Views wurden.» Sie sei sogar darauf angesprochen worden. «Mir ging es immer schlechter.»

Dann tut Elena zwei Dinge: Sie erstattet Anzeige. Und sie schreibt einer Kleidermarke namens Zhurigo. Denn diese hat immer wieder Werbung über «szene_isch_zueri» gmacht. Elena hofft, dass ihr die Kleidermarke einen Kontakt zu den Verantwortlichen des Telegramkanals vermittelt. Doch auch bei Zhurigo will man ihr zuerst nicht helfen.

Dann aber erwähnt sie die Anzeige – und das Video verschwindet von Telegram. Was die Kleidermarke anschliessend tut, ist für Elena ein Hinweis darauf, dass alles zusammengehören könnte: Zhurigo fordert Elena auf, die Anzeige zurückzuziehen. Und sie soll Nachrichten löschen, die sie auf der Suche nach Hilfe in ihrem Umfeld geschrieben hat.

Tatsächlich hat Elena Erfahrung mit einem Social-Media-Netzwerk gemacht, bei dem vieles danach aussieht, als stünde nicht mehr die Unterhaltung der Community im Zentrum, sondern die Reichweite. Denn Views bedeuten Follower, bedeuten Kunden, bedeuten Geld. 

Legende: Der Kanal «szene_isch_zueri» auf Instagram. (Screenshot vom 03.09.2025). SRF

Neben «szene_isch_zueri» gehören mindestens drei weitere Instagram-Accounts zu diesem Netzwerk: «szene_isch_aargau», «swiss_reelz»und «army_szene». Sie posten teilweise identische Inhalte, sie ähneln sich im Artwork. Und sie nehmen aufeinander Bezug.

Vom Pranger profitieren Online-Shops

Alleine auf Instagram haben die Kanäle zwischen rund 60’000 und 370’000 Follower:

Zusammen mit Pendants auf Tiktok erreicht das Netzwerk ein Millionenpublikum. Von dieser Reichweite profitieren Marken, die über das Netzwerk werben. Zum Beispiel Zhurigo. Das Label vertreibt Streetwear und hat sich in der Zürcher Jugendkultur einen Namen gemacht.

Oder der Online-Süssigkeitenshop Sweet Dreams Schweiz. Er wirbt vor allem über den Kanal «army_szene». Dieser postet fast ausschliesslich Inhalte über oder aus der Schweizer Armee. Passend dazu preist Sweet Dreams Schweiz eine Aktion für Frässpäckli an, wie sie bei Rekruten oder Soldaten beliebt sind.

Zwei Firmen, ein Mann

Hinter den Marken stehen zwei Firmen mit Sitz in Zug. Für Zhurigo verantwortlich ist eine Socialnation GmbH, für Sweet Dreams Schweiz eine Eatb2b GmbH.

Auffällig: Bei beiden Firmen hat dieselbe Person das Sagen, ein Mann Ende 20 aus einer Zürcher Landgemeinde. Ihm gehört die Socialnation GmbH und die Hälfte der Eatb2b GmbH. Bei beiden Firmen ist er Geschäftsführer. Und er hält die Markenrechte an Zhurigo. 

Zentrale Figur will von allem nichts wissen

Recherchen zeigen auch: Der Mann Ende 20 spielt eine zentrale Rolle bei «szene_isch_zueri». Das sagen mehrere unabhängige Quellen gegenüber SRF.  Zudem wurde seine Handynummer im Zusammenhang mit «szene_isch_zueri» verwendet. Der Zürcher bestreitet über seinen Anwalt, hinter «szene_isch_zueri» zu stehen.

Sinngemäss lässt er ausrichten, er habe lediglich Werbung über «szene_isch_zueri» gemacht. Konkrete Fragen, etwa, was er zum Vorwurf der Persönlichkeitsverletzungen sagt, beantwortete er nicht. Ob und wie viele weitere Personen bei «szene_isch_zueri» involviert sind, ist unklar.

Expertin: «Rechtlich heikel und moralisch verwerflich» 

Tanja Herrmann ist Inhaberin einer Social-Media-Agentur und Expertin für Influencer-Marketing. Dass «szene_isch_zueri» Reichweite macht, indem das Netzwerk Leute blossstellt, ist für sie «rechtlich heikel und moralisch verwerflich.»

Hier hat jemand aus Voyeurismus ein Geschäftsmodell gemacht
Autor: Tanja Herrmann Expertin Influencer-Marketing

Es bedeute aber auch: «Hier hat jemand aus Voyeurismus ein Geschäftsmodell gemacht.» Auf diesen Vorwurf haben weder der Kanal «szene_isch_zueri» noch der Mann, der Recherchen zufolge eine zentrale Rolle spielt, Stellung genommen. 

Doch das ist nicht alles. 

Expertin: «Ein effizientes, aber verwerfliches Geschäftsmodell»

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Laut Tanja Herrmann sei das Phänomen bekannt, dass Social-Media-Accounts fremdes Material veröffentlichten, um Produkte zu bewerben.

Aber: «Dass man das mit dem Leid anderer Menschen tut, ist neu für mich.» Herrmann zufolge erreicht «szene_isch_zueri» seine Reichweite mit zugesandtem Content, also mit Inhalten, die das Netzwerk nicht selber produziert und für die es keine Kosten hat.

Die expliziten Inhalte wiederum bedienten die gleichen Instinkte, wie ein Verkehrsunfall, der ebenfalls Gaffer anziehe.

«Diese Aufmerksamkeit belohnt der Algorithmus mit noch mehr Views und Engagement, wodurch sich noch mehr Geld verdienen lässt», so Herrmann, die zusammenfasst: «Aus einer Marketingsicht ist es ein sehr effizientes Geschäftsmodell. Doch man macht Geld mit dem Leid anderer Leute.»

Der junge Mann im Video kann kaum glauben, was ihm da passiert. «Das Mal lohnt sich Gleis 18 hänge, hä?!», fragt ein bestens gelaunter Moderator und streckt dem überraschten Glückspilz ein Mikrophon entgegen. Dieser ist am Hauptbahnhof Zürich in eine Werbeaktion gelaufen, darf jetzt einen der vier Schuhkartons auswählen, die sich auf dem Arm des Moderators stapeln.

Markenware? Nein, Fälschungen

Später postet «szene_isch_zueri» ein Video der Aktion auf Tiktok. Darin markiert der Kanal den Sponsor, in dessen Name er die Schuhe verschenkt hat: Deluxeside; ein Onlineshop, der Schuhe, Hosen oder Schmuck verkauft. Alles Markenware, alles massiv vergünstigt.

Denn es ist keine Markenware, es sind nach Eigenangaben «die besten Nachbildungen in höchster Qualität» auf dem Markt. Deluxeside vertreibt also Fälschungen und hat diese bis letztes Jahr auch immer wieder über «szene_isch_zueri» beworben.

Schuhe, angepriesen als Sneaker der Marke Balenciaga, kosten rund 260 Franken. Das Original gibt es für nicht weniger als 995 Franken. Und ein Gürtel der Marke Hermès, im Original 820 Franken, kostet bei Deluxeside lediglich 140 Franken. 

Ein Testkauf zeigt: Der Gürtel wird geliefert. Eine Expertin für zeitgenössische Modeaccessoires hat ihn für SRF Investigativ als Fälschung identifiziert.

Legende: So präsentiert sich Deluxeside im Netz. Screenshot www.deluxeside.com

«In der Schweiz noch nie gesehen»

Marc Wullschleger ist Rechtsanwalt für Immaterialgüterrecht und Präsident des Vereins Stop Piracy, der sich gegen Markenfälschungen einsetzt. Als «klar illegal» bezeichnet er die Aktivitäten des Shops: «Es ist relativ dreist, was dieser Shop tut.» Indem Deluxseside damit werbe, Nachahmungen zu vertreiben, gebe der Shop den Verkauf von Markenfälschungen offen zu.

Das wiederum ist in der Schweiz verboten und wird mit bis zu fünf Jahren Gefängnis oder Geldstrafe bestraft. Der «offen deklarierte Verkauf von Markenfälschungen» erstaunt Wullschleger: «So etwas haben wir in der Schweiz noch nicht gesehen.» 

Nicht nur ist es verboten, Markenfälschungen zu verkaufen, auch der Kauf ist an sich illegal. Doch nur so konnten die Journalisten den Verkaufsweg nachvollziehen.

Fälscher-Shop mit Verbindung in die Schweiz

Das Paket mit dem Gürtel wurde aus Hong Kong verschickt. Und obwohl im Impressum von Deluxeside eine albanische Firma steht, hat Deluxeside in mehreren Posts angegeben, ein Schweizer Shop zu sein.  

Zudem konnten Kundinnen und Kunden bis vor wenigen Wochen via Twint bezahlen. Twint nimmt nur Geschäftskunden aus der Schweiz an. 

Twint: Deluxeside hat anderes Händlerkonto genutzt  

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Dass Kundinnen und Kunden von Deluxeside via Twint bezahlen konnten, hat der Zahlungsdienstleister durch die Anfrage von SRF Investigativ erfahren.

Wie das Unternehmen in einer Stellungnahme festhält, habe Deluxeside ohne Wissen von Twint das Händlerkonto eines Onlineshops für Computerzubehör genutzt, um seine Zahlungen abzuwickeln.

Weiter schreibt der Zahlungsdienstleister, er habe den Shop für Computerzubehör «mit sofortiger Wirkung gesperrt». Zudem behalte man sich rechtliche Schritte gegen den Betreiber vor.   

In der Vorgeschichte von Deluxeside spielt die US-Justiz eine tragende Rolle. Deluxeside ist der Nachfolger eines Shops namens Deluxrep. Nach Klagen der Modemarken Chanel und Adidas hat das US District Court for the Southern District of Florida Verletzungen von Markenschutzrechten festgestellt – und Deluxerep zu 30'000 Dollar Schadenersatz an Chanel und gar zu 1 Million Dollar an Adidas verurteilt. 

Geht man in der Geschichte des Fälscher-Shops noch weiter zurück, landet man bei einem heute 24-Jährigen aus dem Kanton Zug. Dieser war Chef einer Firma, die im November 2020 im Impressum des Fälscher-Shops stand. Am Telefon sagt der Mann, er habe für Deluxeside zwar Marketing-Aufgaben wahrgenommen, sich aber zurückgezogen, als er erfahren habe, dass der Vertrieb von Markenfälschungen verboten sei.

Später bestreitet er schriftlich alle Vorwürfe – auch eine Verbindung zu «szene_isch_zueri». In die Eatb2b GmbH sei er nicht mehr involviert – also in jener Firma, die den Süssigkeitenshop Sweet Dreams Schweiz betreibt. Nur aufgrund einer «internen Reorganisation» stehe er noch im Handelsregister. Dort steht sein Name neben demjenigen des Zürchers Ende 20, dem die Eatb2b GmbH zum Grossteil gehört, und der diesen Recherchen zufolge eine zentrale Rolle bei «szene_isch_zueri» spielt.

Nicht alle können sich wehren

SRF Investigativ hat über Wochen hinweg versucht, mit ihm zu sprechen. Zwar stellte der Mann ein Interview in Aussicht, verlangte aber, dass weder er noch seine Gesellschaften namentlich genannt werden. Das Verbot, Firmen zu nennen, hätte den Kern der Recherche angegriffen. Auf die Bedingungen ging SRF deshalb nicht ein. 

Einen detaillierten Fragenkatalog beantwortete der Mann nicht. Über seinen Anwalt liess er sinngemäss ausrichten, er stehe nicht hinter «szene_isch_zueri» und habe über die «szene_isch_zueri»-Kanäle lediglich Werbung gemacht. Ebenfalls sei er nicht verantwortlich für «szene_isch_aargau», «army_szene» und «swiss_reelz».

Auch habe er weder für Deluxeside noch für Deluxerep Werbung gemacht. Indes bestätigt er den Fall von Elena. Sie habe sich wegen eines Videos auf «szene_isch_zueri» bei Zhurigo gemeldet. Zhurigo habe aus Goodwill versucht, einen Kontakt zwischen ihr und «szene_isch_zueri» zu vermitteln. Zhurigo habe keinen Druck auf Elena gemacht, sie solle die Anzeige zurückziehen.

Untersuchung wegen Markenfälschungen

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Die Staatsanwaltschaft Zug hat gegen zwei Personen ermittelt, die im Zusammenhang mit Deluxeside in Erscheinung getreten sind, dies unter anderem wegen Verdachts auf schwere Verstösse gegen das Markenschutzgesetz.

Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren aber ein, da sich «kein Tatverdacht erhärtet hat, der eine Anklage gerechtfertigt hätte».

Gegen welche Personen sich die Ermittlungen richtete und ob sie im Zusammenhang mit Deluxeside oder allenfalls einem anderen Shop standen, gab die Staatsanwaltschaft auf Anfrage nicht Preis.

Das Video von Elena wurde gegen ihren Willen veröffentlicht. Trotzdem hat die zuständige Staatsanwaltschaft keine Strafuntersuchung eröffnet. Das Video erfülle den Tatbestand der Ehrverletzung nicht. Es tangiere aber «gleichwohl die Persönlichkeitsrechte der Geschädigten».

Viele können sich nicht wehren.
Autor: Elena Betroffene

Elena hat sich gewehrt. Doch «szene_isch_zueri» veröffentlicht immer wieder Inhalte von Menschen in Ausnahmezuständen, die das nicht können. «Ich glaube, viele wissen nicht einmal, dass Videos von ihnen auf diesem Kanal sind. Wie wollen die sich wehren?», fragt Elena und sagt, was sie vom digitalen Pranger hält: «Ich finde das unter aller Sau.»

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