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Verschärfung im Asylsystem Rückführungsentscheide sollen neu europaweit gelten

Weist ein Land Asylsuchende ab, soll der Entscheid neu europaweit gelten – auch in der Schweiz. Mehr Menschen mit negativem Asylentscheid sollen Europa verlassen.

Wer in einem Dublin-Staat einen negativen Asylentscheid erhält, muss Europa verlassen und in die Heimat zurückkehren. Entweder freiwillig oder unter Zwang.

Nach Angaben der EU-Kommission wird aber nur etwa ein Fünftel der Rückführungsentscheide effektiv umgesetzt. Oft tauchen die Betroffenen unter und reisen in ein anderes Land weiter.

Entscheid soll europaweit gelten

Die EU-Kommission hat deshalb verschärfte Regeln vorgeschlagen: Erhalten Antragstellende von einem Mitgliedstaat einen Rückführungsentscheid, soll dieser künftig europaweit ohne erneute Überprüfung gelten.

Ausgang rechts: Asylsuchende werden von Grenzwächtern durch den Bahnhof begleitet.
Legende: Ausgang rechts: Asylsuchende sollen Europa konsequenter verlassen müssen. Die Dublin-Staaten sollen gemeinsam die Verantwortung für Rückführungen übernehmen. KEYSTONE / Ti-Press / Pablo Gianinazzi

Die Mitgliedstaaten würden so gemeinsam für die Rückführungen aller Länder im Schengen-Raum zuständig. Am Ende sollen mehr Menschen Europa verlassen.

Schweiz will freiwillige Anerkennung

Die Schweiz ist Teil des Schengen-Raums und des europäischen Asylsystems. Bundesrat Beat Jans hat an den Beratungen der zuständigen Minister in Luxemburg teilgenommen. Das Staatssekretariat für Migration SEM erklärt auf Anfrage, die Schweiz unterstütze die europaweite Anerkennung der Rückführungsbeschlüsse, wolle aber an der heute geltenden Freiwilligkeit festhalten.

«Die gegenseitige Anerkennung hat aus Sicht der Schweiz insbesondere Potenzial für den raschen Vollzug von ausländischen Wegweisungen in Staaten, in die Rückführungen ohne Weiteres durchgeführt werden können», schreibt das SEM. Sie müsse aber auf «belastbaren und verfahrensrechtlich abgesicherten Garantien» beruhen.

Schweiz müsste für Ungarn ausschaffen

Kritik kommt von Flüchtlingsorganisationen: Der europäische Dachverband European Council on Refugees and Exiles (ECRE) befürchtet Menschenrechtsverletzungen, wenn Menschen ohne Überprüfung in Länder rückgeführt würden, wo sie bedroht sind.

Zudem würden europäische Staaten mit der vorgeschlagenen Pflicht zur Anerkennung auch für den Vollzug von Rückführungen zuständig, die sie selbst gar nie ausgesprochen hätten.

Flüchtlingsorganisationen: dagegen – aber wenn schon, denn schon

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Der Dachverband der Flüchtlingsorganisationen ECRE lehnt die geplante Anpassung ab. Er argumentiert aber zugleich: Wenn es schon zu einer gegenseitigen Anerkennung der Rückführungsentscheide kommt, dann sollten auch die Asylgewährungen europaweit anerkannt werden.

«Wenn man der Ansicht ist, dass eine ausreichende Harmonisierung der Entscheidungsfindung und gegenseitiges Vertrauen vorhanden sind, um die gegenseitige Anerkennung von Rückführungsentscheidungen zu einer verbindlichen Vorschrift zu machen, gibt es keinen logischen Grund, warum man nicht in ähnlicher Weise die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Gewährung internationalen Schutzes vorantreiben sollte», so die ECRE in einer Stellungnahme.

Tatsächlich ist mit den vorgeschlagenen Regeln das Szenario denkbar, dass die Schweiz eine von Ungarn verfügte Rückführung umsetzen müsste. Das Land gewährt Asyl extrem restriktiv: Nur gerade 47 Personen haben dort im ersten Halbjahr 2025 Asyl erhalten.

Flüchtlingsorganisationen: «Asyl-Lotterie»

Generell variieren die Schutzquoten bei vergleichbaren Asylgesuchen erheblich: «2024 reichten die Anerkennungsquoten für bestimmte Gruppen von Asylbewerbern von nur 10 Prozent in Bulgarien bis zu 88 Prozent in Italien», schreibt die ECRE auf Anfrage von SRF – die Organisation spricht deshalb von einer europäischen «Asyl-Lotterie».

Professorin für Migrationsrecht: «deutliche Verschärfung»

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Werde die gegenseitige Anerkennung von Rückführungsentscheiden verpflichtend, stelle dies eine «deutliche Verschärfung im Vergleich zur aktuellen Situation» dar, sagt Sarah Progin-Theuerkauf, Professorin für Europarecht an der Universität Freiburg und auf europäisches Migrationsrecht spezialisiert.

Heute durchlaufen Asylsuchende, die sich in ein anderes Dublin-Land absetzen, ein Dublin-Verfahren oder ein neues Rückführungsverfahren. Das koste Zeit, so Progin-Theuerkauf. «Man kann sich also der Rückführung zumindest temporär durch Weiterreisen entziehen.»

Mit den verschärften Regeln werde das Untertauchen dagegen erschwert. Auch Progin-Theuerkauf sieht aber das Risiko, dass übergeordnetes Völkerrecht verletzt wird, wenn Betroffene ohne Prüfung in Länder ausgeschafft werden sollten, in denen sie nicht sicher oder menschenwürdig leben können.

Noch ist allerdings unklar, wie eine allfällige Verpflichtung in der Praxis umgesetzt würde. Zunächst müssen Widersprüche ausgeräumt werden. Etwa, dass ein Land für das Asylverfahren zuständig wäre, ein anderes für die Rückführung. Das würde Anreize schaffen, abgewiesene Asylsuchende zur Weiterreise zu ermutigen – und damit zu weniger Rückführungen führen.

Bundesrat Beat Jans und andere Minister äusserten denn auch die Sorge, dass die vorgeschlagenen Anpassungen Ausschaffungen sogar behindern könnten.

Würden neue Regeln beschlossen, müsste die Schweiz diese als Schengen-Mitglied übernehmen. Die EU-Kommission will die Anpassungen 2027 in Kraft setzen, in der Schweiz würden sie damit spätestens 2029 gelten.

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Tagesschau, 14.10.2025, 19.30 Uhr; sten

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