Ob Zugwaggon, Tram oder U-Bahn: Der bekannte Schweizer Zughersteller Stadler Rail baut viele seiner Fahrzeuge in der Ostschweiz. Dabei werden die Züge in speziellen Spritzkabinen lackiert. Die Recherche von SRF Investigativ zeigt: Seit Jahren entweichen aus diesen Kabinen zu viele VOC-Schadstoffe in die Umwelt – bis heute.
VOC sind flüchtige organische Verbindungen, etwa Lösungsmittel, die in Lackfarben vorkommen. Beim Lackiervorgang verdampfen diese, gelangen in die Luft und können der Gesundheit schaden.
Stadler Rail hat in Bussnang TG seinen Hauptsitz und betreibt dort eine Fabrik. Zwei weitere Werke stehen im Kanton St. Gallen.
Weil Stadler Rail seit Jahren in der Schweiz zu hohe VOC-Emissionen ausstösst, befindet sich der Zugbauer nun in beiden Kantonen in einem Sanierungsverfahren. Das heisst: Die Kantone haben Stadler Rail auf dem Rechtsweg dazu verpflichtet, die Emissionen innert einer Frist von fünf Jahren zu reduzieren. Etwa mit dem Bau einer Abluftreinigungsanlage, welche die VOC aus der Abluft filtert.
Zwei solcher Anlagen werde Stadler Rail nächstes Jahr bauen. Zu spät – sagen Umweltrechtsexperten. Jurist Hans Maurer kritisiert: Stadler Rail habe der Umwelt «hunderttausende Kilogramm VOC zugemutet».
SRF Investigativ hat gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz die dazugehörige Korrespondenz zwischen den kantonalen Aufsichtsbehörden und dem international tätigen Milliardenkonzern erhalten. Die Kantone haben die Emissionswerte zum Teil geschwärzt. Trotzdem ist erkennbar: Die Umweltbehörden von St. Gallen und Thurgau haben Stadler Rail über Jahre aufgefordert, den VOC-Ausstoss zu senken.
Im eigenen Nachhaltigkeitsbericht schreibt Stadler Rail, dass die VOC-Emissionen «negative Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit» haben können. Nur: Das eigene Ziel, die Emissionen bis 2030 um 15 Prozent gegenüber 2021 zu senken, ist nicht auf Kurs. Stattdessen sind sie bisher um 20 Prozent gestiegen. Gemäss Stadler Rail sei dies auf das «starke Wachstum» und die «gesteigerte Produktionsleistung» des Konzerns zurückzuführen.
In Stadler Rail Werken im Ausland betreibt der Zugbauer zum Teil schon Abluftreinigungsanlagen für VOC-Emissionen. Etwa in Ungarn filtert Stadler Rail bereits VOC aus der Abluft. In den drei Schweizer Werken fehlt eine solche Anlage bis heute. Stadler Rail entgegnet: Das dort eingesetzte Verfahren eigne sich nicht für die Schweizer Standorte. «Stadler prüft für jeden Standort individuell die sinnvollste Lösung.»
Weiter schreibt das Unternehmen: «Stadler setzt in enger Abstimmung und gemäss den Vorgaben des Kantons seit Jahren Massnahmen zur Reduktion der VOC-Emissionen um. Diese haben stets dem Stand der Technik entsprochen und waren geeignet, die Emissionen zu reduzieren und die Grenzwerte einzuhalten.»
Kanton St. Gallen – Emissionen seit über 10 Jahren zu hoch
Die Dokumente, welche SRF Investigativ vorliegen, zeigen: Bereits 2014 forderte der Kanton St. Gallen Stadler Rail auf, das Problem anzugehen. Doch die Emissionen von Stadler überschreiten noch heute – mehr als 10 Jahre später – deutlich den Grenzwert von vier Tonnen pro Jahr. Allein im Werk in St. Margrethen sind es jährlich 20 Tonnen – also fünfmal mehr als erlaubt.
Zwei Umweltrechtsexperten haben den Fall für SRF Investigativ eingeschätzt. Sie sehen nicht nur Stadler Rail in der Verantwortung, sondern vor allem auch den Kanton: Die St. Galler Behörden hätten viel zu lange zugeschaut, kritisiert Umweltrechtsanwalt Hans Maurer. Er spricht gar von einem «Vollzugsmissstand»: «Der Kanton hätte bereits 2014 eine Sanierung anordnen müssen, also den Einbau einer Abluftreinigungsanlage. Das ist offenbar nicht geschehen.»
Stattdessen eröffnete Stadler Rail im Jahr 2018 in St. Margrethen SG ein weiteres Werk – ebenfalls ohne VOC-Abluftreinigungsanlage. Dies, obwohl bekannt war, dass die Emissionen bereits über den maximal zulässigen 4 Tonnen pro Jahr liegen.
Erst 2021 leitete der Kanton ein Sanierungsverfahren ein. Viel zu spät, kritisiert Jurist Maurer. Damit seien nun jahrelang zu viele VOC in die Umwelt gelangt.
Der Kanton widerspricht: Das Amt für Umwelt bearbeite das Thema VOC mit Stadler seit 2014. Stadler habe die Emissionen mit Massnahmen reduzieren können. Trotzdem übersteige der Betrieb zu Spitzenzeiten die Emissionsgrenzwerte für VOC. Die Pflicht zur Sanierung der Anlage sei aber erst 2021 entstanden und die Frist könne voraussichtlich eingehalten werden.
Kanton Thurgau – dreifache Überschreitung der Grenzwerte
Auch im Kanton Thurgau läuft seit 2020 ein Sanierungsverfahren. Mehrere Lackierkabinen am Hauptsitz von Stadler Rail in Bussnang überschreiten die zulässigen Grenzwerte der Luftreinhalteverordnung – zum Teil deutlich. Das belegen die Dokumente, die SRF Investigativ vorliegen. So wurde bei einer Messung im Jahr 2020 festgestellt, dass eine Lackierkabine die Grenzwerte um mehr als das Dreifache überschritt.
Auszüge Dokumente Kanton Thurgau
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Bild 1 von 2. Bericht vom Kanton an Stadler: Grenzwerte wurden überschritten. Anlässlich der Emissionskontrolle im Jahr 2020 stellte der Kanton Thurgau bei Stadler Rail eine Überschreitung der VOC-Grenzwerte fest. Bildquelle: Dokument: Kanton Thurgau.
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Bild 2 von 2. Messresultate der Luftschadstoffmessung. Bei mehreren Lackierkabinen werden die VOC-Grenzwerte überschritten. Die Luftreinhalteverordnung erlaubt maximal 150 mg/m3 und 3000 g/h. Die von SRF gelb markierten Werte von Stadler überschreiten die Grenzwerte. Bildquelle: Dokument: Kanton Thurgau.
Bei einer Überschreitung der Grenzwerte sieht das Gesetz eine Sanierungsfrist von fünf Jahren vor. Werden die Grenzwerte jedoch so deutlich überschritten, ist eine kürzere Frist vorgesehen. Der Kanton Thurgau hätte also schneller handeln müssen, kritisiert ein weiterer Experte, Umweltrechtsanwalt Michael Bütler, der den Fall für SRF eingeschätzt hat.
Klar ungenügenden Vollzug des Umweltschutzrechts
Er beschreibt das Vorgehen der kantonalen Behörde als «klar ungenügenden Vollzug des Umweltschutzrechts». Die schleppende Durchsetzung der Behörden habe zu einer «problematischen und gleichzeitig vermeidbaren Belastung der Gesundheit und Umwelt» geführt.
Der Kanton Thurgau entgegnet: Bei früheren Messungen im Stadler-Werk seien die Grenzwerte «nur punktuell überschritten» worden. Daher habe es keine rechtliche Handhabe für eine sofortige Sanierungsverfügung gegeben. Der Kanton habe Stadler jedoch informell aufgefordert, die Emissionen zu reduzieren.
Blieb Stadler Rail aus Kostengründen untätig?
SRF Investigativ sprach im Zuge dieser Recherche mit mehreren ehemaligen Mitarbeitenden von Stadler Rail. Man habe schon länger von der VOC-Problematik gewusst, bestätigen mehrere Personen.
«Das Management von Stadler Rail wusste schon lange von den zu hohen Emissionen. Man wollte aber wegen den hohen Kosten keine Abluftreinigungsanlage einbauen. Und der Kanton hat das einfach hingenommen», sagt ein ehemaliges Kadermitglied von Stadler Rail.
Das Management von Stadler Rail wusste schon lange von den zu hohen Emissionen.
Die Kantone St. Gallen und Thurgau widersprechen: Man behandle alle Betriebe nach gleichen Kriterien. Auch Stadler Rail wehrt sich gegen den Vorwurf: «Kostengründe waren zu keinem Zeitpunkt ausschlaggebend».
Stadler erfüllt die gesetzliche Frist zur VOC-Reduktion und hält damit die geltenden Gesetze der Kantone Thurgau und St. Gallen jederzeit ein.
Laut Stadler Rail ist geplant, in St. Margrethen SG und Bussnang TG zwei teure Abluftreinigungsanlagen zu bauen. «Stadler erfüllt die gesetzliche Frist zur VOC-Reduktion und hält damit die geltenden Gesetze der Kantone Thurgau und St. Gallen jederzeit ein», hält der Konzern fest.
Stadler Rail - kein Einzelfall
Stadler ist nicht der einzige Betrieb, der zu viel VOC ausstösst. Im Kanton St. Gallen laufen gegenwärtig mehrere Sanierungsverfahren gegen andere Unternehmen, so der Kanton. Auch im Kanton Thurgau sei das Sanierungsverfahren wegen VOC-Emissionen kein Einzelfall, sagt der Verantwortliche vom Amt für Umwelt. Ob bei diesen anderen Firmen die Fristen eingehalten wurden, ist SRF nicht bekannt.
Dass Stadler Rail nicht schon früher freiwillig eine Abluftreinigungsanlage eingebaut hat, ist für Anwalt Maurer keine Überraschung: «Dass ein Unternehmen nicht mit Investitionen für den Umweltschutz reagiert, solange es nicht dazu gezwungen wird, ist sicher nicht vorbildlich. Aber das ist natürlich und weit verbreitet.»
Der Zugbauer entgegnet : «Stadler ist sich seiner gesellschaftlichen Verantwortung bewusst», man habe bereits viele Massnahmen zur Reduktion getroffen und habe die Emissionen pro lackiertem Wagenkasten um rund zwei Drittel reduzieren können.
Der Vollzug des Umweltrechts geht im Schneckentempo voran
«Der Vollzug des Umweltrechts geht im Schneckentempo voran», kritisiert Jurist Maurer. Dies sei nicht nur in St. Gallen und Thurgau der Fall, sondern auch in anderen Kantonen.
Das Beispiel von Stadler Rail zeigt: Auch wenn technische Möglichkeiten zur VOC-Reduktion vorhanden sind, etwa mit einer Abluftreinigungsanlage – bis diese gebaut werden, vergehen zum Teil viele Jahre.
Jahre, in denen zu viele Emissionen in die Luft gelangen.