Der Krieg in der Ukraine dauert bald ein Jahr. Inzwischen sind auch viele ukrainische Kinder in der Schweiz angekommen. Kinder, die lachen, einander ärgern oder gerne Fussball spielen. Den Krieg können viele aber nicht einfach hinter sich lassen. Die «Rundschau» hat Maria und Anton besucht.
Wut und Aggressionen
«Hier bin ich in der zweiten Klasse. In der Ukraine wäre ich in der Dritten», sagt Maria. Seit Mai 2022 besucht die Achtjährige in Luzern die ukrainische Integrationsklasse der Schule Mariahilf. Sie ist zusammen mit ihrer Mutter aus der Ukraine geflohen.
Viele der Kinder in Marias Klasse haben den Krieg miterlebt. Das zeigt sich auch im Schulalltag. «Wir erleben Wut und Aggressionen. Emotionen, mit denen man normalerweise im Alltag nicht rechnet», sagt Klassenassistentin Tamara Bolzern. Immer wieder würden die Kinder auch den Unterricht verweigern. «Es gibt Proteste gegen das Hiersein. Eigentlich gibt es Proteste gegen alles.»
«Ich bin im Bunker»
Oft verstecken sich Kinder unter Tischen. Die Klassenlehrerin Marcella Tönz erinnert sich an einen Jungen: «Als wir ihn fragten, warum er sich versteckt, sagte er: ‹Ich bin im Bunker. Ich bin im Bunker.›»
Der Krieg führt auch zu Spannungen zwischen den Kindern. «Manchmal streiten wir uns. Wir hänseln uns mit unseren Heimatstädten und sagen, dass sie zerbombt wurden. Das ist sehr kränkend», sagt Maria.
Sowohl emotional als auch körperlich benötigten die ukrainischen Kinder viel Zuwendung, so die Erfahrung der Lehrerinnen. «Sie kommen und umarmen uns plötzlich – aus dem Nichts», sagt Bolzern.
Belastete Beziehungen
Über den Krieg will Maria nicht sprechen. «Ich erinnere mich dann an mein Zuhause. In meinem Kopf entstehen so viele unangenehme Erinnerungen. Und wer mag das schon.» Bis auf ihre Katze und ein paar wenige Spielsachen musste sie alles in der Ukraine zurücklassen.
Die Beziehung zwischen Maria und ihrer Mutter ist belastet. «Sie und ich haben eine Menge Konflikte», sagt Marias Mutter, Yuliia Buialska. Dies beobachtet die 31-Jährige auch in anderen ukrainischen Familien. «Die Kinder haben sich verändert. Die Eltern haben jetzt grosse Probleme mit ihren Kindern.»
Fussball – ein Stück Heimat
Auch Anton hat ein schwieriges Jahr hinter sich. Seit April 2022 lebt er in Zürich. Das Fussballspielen hilft ihm, in der Schweiz anzukommen. Bereits in der Ukraine war es seine Leidenschaft. «Es gefällt mir sehr», sagt Anton. «Ich habe hier Freunde und ich kann in einer Mannschaft spielen.»
Sein bester Freund ist Leandro. Dass Anton eine Flucht hinter sich habe, merke man kaum, sagt Leandro. «Es scheint nicht, als mache ihn das traurig». «Ich glaube, ihm gefällt es hier. Er möchte sogar hierbleiben, hat er mir gesagt.»
Mit seiner Grossmutter und seinem Bruder Daniil wohnt Anton in einer Dreizimmerwohnung der Asylorganisation Zürich – für sie ein Luxus. «In Kiew waren wir alle in einem Zimmer. Daniil und ich haben in einem Etagenbett geschlafen und Mama auf einem Einzelbett», erzählt Anton. Sie ist noch immer in der Ukraine. Denn sie ist Ärztin. «Ich vermisse meine Mutter sehr», sagt Daniil.
Noch immer lassen die Kriegserlebnisse die Brüder nicht los. «Vor allem Daniil weint nachts. Er setzt sich auf. Er schreit», sagt Tamara Duzhyk, die Grossmutter der zwei Buben. Anton hingegen sei geduldig. Er halte alles aus. «Er kann seinen Schmerz nicht ausdrücken, doch man sieht es in seinen Augen», erzählt sie. Tränen würden über sein Gesicht laufen, während er sage: ‹Mir geht es gut.›»