Die Schweiz leidet unter Wohnungsnot. Eine neue Studie des Forschungsinstituts Sotomo zeigt, wie Wohnraum für zwei Millionen Menschen entstehen könnte, ohne neues Bauland zu erschliessen. Politgeograf Michael Hermann erklärt im SRF-Tagesgespräch, warum die grössten Hürden politischer Natur sind und Verdichtung nicht das Ende der Lebensqualität bedeutet.
SRF: Ihre neue Studie sagt, die Wohnungsnot lasse sich ohne neue Bauzonen entschärfen. Wie soll das gehen?
Michael Hermann: Die zentrale Aussage ist: Wir müssen am richtigen Ort bauen. Also dort, wo es bereits gute ÖV-Anschlüsse und Angebote gibt. Wenn wir nur auf 30 Prozent der bestehenden Siedlungsfläche – also in den urbanen Zentren und Agglomerationen – eine Entwicklung anstossen, können wir Wohnraum für bis zu zwei Millionen Menschen schaffen. Das schont nicht nur die Landschaft, sondern führt auch zu weniger Verkehr.
Alle grossen Städte haben noch enormes Entwicklungspotenzial.
Wo sehen Sie das grösste Potenzial? In den Städten ist es doch schon eng.
Das grösste Potenzial liegt in der Agglomeration, aber auch in den grossen Kernstädten. Man könnte denken, eine Stadt wie Bern sei fertig gebaut, aber alle grossen Städte haben noch enormes Entwicklungspotenzial an bestens erschlossenen Standorten.
Sie nennen als Beispiel die Zürcher Gemeinde Schwerzenbach. Das sei die Gemeinde mit dem grössten Potenzial in der Schweiz. Doch genau dort hat die Bevölkerung eine Verdichtung an der Urne abgelehnt. Sind Ihre Pläne angesichts der politischen Realität nicht reine Papiertiger?
Dieser Widerstand ist die zentrale Herausforderung. Unsere Pläne sind ein Anstoss. Selbst wenn nur die Hälfte oder ein Drittel davon realisiert wird, schaffen wir immer noch Platz für Hunderttausende Menschen. Aber es ist entscheidend, die Akzeptanz zu gewinnen. Die Leute haben Angst vor Veränderung und davor, verdrängt zu werden.
Verdichtung wird von vielen als Bedrohung und Qualitätseinbusse wahrgenommen. Wie sollen Menschen vom Gegenteil überzeugt werden?
Indem wir aufzeigen, dass Verdichtung nicht zu einer zubetonierten, grauen Schweiz führt. Es braucht eine Qualitätsentwicklung. Man kann dichter und höher bauen und gleichzeitig massiv in Begrünung investieren: Bäume im Strassenraum, begrünte Dächer und Fassaden. Es geht darum, attraktive, lebendige Nachbarschaften zu entwickeln, in denen man zu Fuss ins Restaurant geht und nicht für alles das Auto braucht.
Ein Dorf soll nicht plötzlich wie eine Stadt aussehen.
Heisst das, die ganze Schweiz soll verdichtet werden, auch die Dörfer auf dem Land?
Nein, und das ist ein entscheidender Punkt unserer Studie. Der ländliche Raum soll praktisch nichts von diesem Wachstum tragen. Wir wollen dort wachsen, wo es bereits einen urbanen Charakter hat. Ein Dorf soll nicht plötzlich wie eine Stadt aussehen. Aber eine städtische Umgebung kann durch eine intelligente Entwicklung noch dichter werden, als sie es heute ist.
Das Gespräch führte David Karasek.