Der Arzt diagnostiziert, behandelt und verschreibt – die Krankenkasse prüft die Rechnung und bezahlt. Diese Arbeitsteilung soll aufgebrochen werden, eine Änderung im Gesetz machts möglich. Demnach dürfen die Krankenkassen ab Juli 2026 Abrechnungsdaten nutzen, um persönliche Empfehlungen auszusprechen. Erste Erfahrungen sind vielversprechend, wie zwei Beispiele zeigen.
Mehr Vorsorge für chronisch Kranke – Beispiel Diabetes
Die Krankenkasse sieht aufgrund der Medikamentenrechnungen, ob jemand an Diabetes leidet. Bei Betroffenen kommt es im Laufe der Zeit oft zu Begleiterkrankungen, die Augen oder Füsse betreffen. Neu könnte die Krankenkasse eine Diabetikerin regelmässig daran erinnern, zum Augenarzt oder zur Podologin zu gehen. So werden Probleme frühzeitig erkannt und aufwendige Eingriffe möglichst vermieden.
Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker – Beispiel Generika
Die Forschungsstelle der Krankenkasse CSS hat einen Versuch mit Zehntausenden Versicherten ausgewertet: Personen, die Originalmedikamente in Rechnung gestellt hatten, für die es verschiedene Nachahmerpräparate gab, erhielten einen Brief: mit einer Liste der günstigeren Generika und dem Vorschlag, dies mit der Ärztin oder dem Apotheker zu besprechen. Die Angeschriebenen nutzten daraufhin viel häufiger Generika. Der Anteil sei um 30 Prozent gestiegen, sagt Forschungsleiter Christian Schmid, die CSS habe so jedes Jahr gegen drei Mio. Franken einsparen können.
Auch wenn das nur ein Bruchteil der gesamten Medikamentenkosten in der Grundversicherung ist: Weniger Ausgaben heisst tiefere Kosten heisst im Endeffekt tiefere Prämien.
Informierte Versicherte treffen bessere Entscheidungen
Gesundheitsökonom Schmid erhofft sich jedoch mehr. Es gehe ihm darum, die Informationsasymmetrie zwischen Arzt und Patient auszugleichen. Die Krankenkasse hat mitunter mehr Informationen als der einzelne Arzt. Sie kennt zwar keine genauen Diagnosen oder Verschreibungen, aber sie sieht, was wo abgerechnet wurde. Sie hat die Übersicht über sämtliche Behandlungen über einen langen Zeitraum. Diese Daten sollten gezielt und als Ergänzung genutzt werden, findet er.
Die Angst vor dem gläsernen Patienten
Felix Wettstein von der Schweizerischen Patientenorganisation SPO ist nur teilweise einverstanden: Wenn es darum gehe, Doppelspurigkeiten oder Mehrfachbehandlungen zu vermeiden, sehe er in der neuen Regelung eine Chance. Gleichzeitig befürchtet er eine Aufweichung des Datenschutzes zuungunsten der Versicherten. Seine Forderung: Die Krankenkasse müsse die Zustimmung der Versicherten regelmässig einholen. Ausserdem dürften Daten der Grundversicherung nicht genutzt werden, um Zusatzversicherungen anzupreisen. Heute ist das nicht erlaubt. Aber der Patientenschützer befürchtet, dass die strikte Trennung mit der neuen Regelung aufgeweicht werden könnte.
Die Gesetzesänderung betrifft einen einzigen Gesetzesartikel. Der Spielraum, den die Krankenkassen dadurch erhalten, ist eng begrenzt. Viel dürfte letzten Endes davon abhängen, wie die Versicherer die neuen Möglichkeiten nutzen und ob die Massnahmen langfristig etwas zur Dämpfung des Kostenanstiegs beitragen.