Helsana-Report 2025 - Griff zum Medikament ist Alltag
Die Gesundheitskosten belaufen sich auf rund 100 Milliarden Franken. Ein Teil davon bezahl die Grundversicherung. Ins Gewicht fallen Arztbesuche, aber auch Medikamente im ambulanten Bereich. Die Krankenkassen haben 9.4 Milliarden Franken dafür ausgegeben (+3.6 Prozent). Wo liegen die Ursachen?
Mehr Patienten nehmen mehr Medikamente: Drei Viertel der Bevölkerung hat im vergangenen Jahr mindestens ein Medikament genommen, das von der Grundversicherung bezahlt wurde. Pro Person sind es 20 Verpackungen. Mehr Menschen konsumieren also mehr Medikamente. Ein Beispiel dafür sind Medikamente gegen Depressionen und ADHS. Einzelne Medikamente gegen ADHS verzeichnen im Helsana-Report Zunahmen von über 20 Prozent bis knapp 40 Prozent.
Alter als Mengentreiber: Während die ständige Wohnbevölkerung der Schweiz in 2024 um 1 Prozent anstieg, betrug der Zuwachs bei den über 65-Jährigen 2.3 Prozent. Weil Menschen immer älter werden und gesund bleiben wollen, steigt auch die Anzahl der Menschen, die Medikamente nimmt. Ein typisches Beispiel hierfür sind Medikamente für die Augenkrankheit AMD. Dank der Spritzen ins Auge kann sich die Lebensqualität der Betroffenen verbessern.
Legende:
Je nach Region variiert der Umgang mit Medikamenten in der Schweiz.
Symbolbild/Keystone/ GAETAN BALLY
Neue teure Medikamente: In der langen Frist sinken die Medikamentenpreise. Denn das Bundesamt für Gesundheit BAG überprüft die Medikamentenpreise regelmässig und drückt sie nach unten. Doch neue Medikamente sind oftmals teuer. Gemäss Mathias Früh, Leiter Gesundheitspolitik bei Helsana, haben sich die Preise neuer Präparate in den letzten 10 Jahren verdoppelt. Das gelte auch für Medikamente, die keine Innovationen beinhalten. Er spricht von sogenannten Scheininnovationen (siehe Box).
Neue Medikament: Mehr Schein als Sein?
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Der Helsana-Experte Mathias Früh kritisiert die sogenannten Scheininnovationen, also neue Medikamente ohne «echte» Innovation. Es handle sich nicht um neue Wirkstoffe, sondern um Modifikationen, etwa bei Verpackungen, Dosierungen, Darreichungsformen oder Erweiterungen bei den Anwendungsgebieten. Von 28 neu zugelassenen Wirkstoffen mit Kosten von 58.6 Millionen Franken definiert er nur vier als echte Innovationen.
Aus Sicht der Krebsliga ist diese Kritik nachvollziehbar. Dank Innovationen in der Onkologie würden zwar heute deutlich weniger Krebsbetroffene an ihrer Erkrankung sterben als noch vor 30 Jahren. «Allerdings sind neue Therapien nicht immer wirksamer als die bisherigen», sagt Stefanie de Borba von der Krebsliga. Grosse Durchbrüche in der Krebsbehandlung seien tatsächlich selten, die meisten Neuzulassungen würden Modifikationen bestehender Produkte betreffen. Für gewisse Patienten seien diese zwar sinnvoll, etwa, wenn ein Medikament weniger häufig verabreicht werden müsse oder für eine Behandlung kein stationärer Spitalaufenthalt mehr nötig ist. Allerdings würden diese Neuerungen in vielen Fällen den Preis nicht rechtfertigen, so de Borba. Darüber hinaus würden neue Therapien oft bestehende Behandlungen ergänzen, anstatt sie zu ersetzen.
Zu wenig Generika: Das Sparpotenzial durch Generika ist gemäss Helsana noch nicht ausgeschöpft. Seit Anfang 2024 gibt es zwar Anreize, die Patientinnen und Patienten dazu motivieren sollen, die günstigeren Nachahmerprodukte (Generika oder Biosimilars) statt Originalpräparate zu wählen. Wer ohne besonderen Grund ein Original wählt, obwohl ein Generikum verfügbar wäre, zahlt einen höheren Selbstbehalt. Im Zuge dieses Preisdrucks haben auch einige Hersteller von Originalen ihre Preise gesenkt. Die Massnahme führt so zu Einsparungen von schätzungsweise 76 Millionen Franken. Zusammen mit Anpassungen bei den Vertriebsmargen rechnete das Bundesamt für Gesundheit mit Kosteneinsparungen von 250 Millionen Franken.
Kosten und Nutzen
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Medikamente kosten zwar. Aber sie haben auch einen Nutzen: Sie sorgen für tiefere Sterblichkeitsraten, die Reduktion von Krankheitszeit und für verbesserte Lebensqualität. Der Branchenverband interpharma betont jeweils, dass in der politischen Diskussion der Fokus auf der Kostenseite liege, der Nutzen aber oftmals ausgeblendet werde.
«Sollen aber weiterhin alle nicht nur älter, sondern vor allem gesünder älter werden können, gilt es, viel mehr und in erster Linie den Nutzen des medizinischen Fortschritts zu beleuchten», schreibt der Verband in einem Statement auf seiner Internetseite zum Thema Medikamentenpreise. Diese Nutzendebatte wird derzeit kaum öffentlich geführt.
Anderer Umgang je nach Region: Auch im vergangenen Jahr gibt es markante regionale Unterschiede. Die Bezüge in Basel-Stadt, Genf, Neuenburg und Tessin sind überdurchschnittlich höher als etwa in Appenzell Innerrhoden, Obwalden, Uri und Zug. Begründet wird das einerseits mit der Demografie, aber auch mit kulturellen Unterschieden. «In der Zentral- und Ostschweiz ist der Medikamenteneinsatz traditionell zurückhaltender als im Landesdurchschnitt», heisst es im Helsana-Report.