Der sauberste Strom ist jener, der nicht gebraucht wird. Doch Verzicht ist in der Schweizer Energiepolitik kein Thema, obwohl die Verfassung vorsieht, dass Energie «sparsam und rationell» eingesetzt wird. Das Zauberwort lautet Suffizienz – Genügsamkeit. Eine Studie der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES) kommt zum Schluss, dass Verwaltung und Politik diese Vorgabe missachten.
Suffizienz fragt danach, wie wir mit möglichst wenig Energieeinsatz möglichst viele Bedürfnisse befriedigen können.
Es reiche nicht, an der Effizienz zu arbeiten, denn effizienter heisse nicht zwingend sparsamer, erklärt Marcel Hänggi, Leiter Nachhaltige Energienutzung bei der SES: «Man kann auch immer effizienter werden und immer mehr verbrauchen.» Als Beispiel nennt er ein effizientes E-Auto, mit dem man aber weiter fahren könne als bisher.
Er plädiert deshalb dafür, auch auf Suffizienz zu setzen, also genügsamer zu werden: «Suffizienz fragt danach, wie wir mit möglichst wenig Energieeinsatz möglichst viele Bedürfnisse befriedigen können.» Hänggi ist überzeugt: «Wir können uns das Leben so einrichten, dass es uns besser geht mit kleinerem Energieverbrauch.»
Mit weniger Energie leben – geht das?
Gemäss aktueller Energiestrategie 2050 will der Bund das Energiesystem umbauen – die Atomkraftwerke ersetzen durch Sonnen-, Wind- und Wasserkraftwerke. Dabei soll aber insgesamt mehr Strom produziert werden, um die wachsende Nachfrage nach E-Autos, Wärmepumpen und Rechenzentren zu decken.
Es hat extrem viel mit Bereitschaft und kulturellen Faktoren zu tun. Für Energiesparziele wie die Senkung auf null CO₂-Emissionen wird Suffizienz unverzichtbar sein.
Laut der Energiestiftung wäre dieser Ausbau aber gar nicht überall nötig. Wie gross das Sparpotenzial ist, wenn die Schweiz mit weniger statt mit immer mehr Energie zu leben versuchte, kann Hänggi nicht beziffern. Er schätzt das Potenzial in verschiedenen Bereichen aber als «riesig» ein und betont: «Es hat extrem viel mit Bereitschaft zu tun, aber auch mit kulturellen Faktoren.» Um die Energiesparziele wie die Senkung der CO₂-Emissionen auf null zu erreichen, werde mehr Suffizienz unverzichtbar sein.
Das BFE sieht seine Aufgabe nicht darin, den Einwohnerinnen und Einwohnern der Schweiz vorzuschreiben, was und wie viel sie konsumieren dürfen.
Das Problem: Beim Bund fühle sich niemand zuständig für Suffizienz, so Hänggi. Der Grundsatz, die Schweiz müsse «sparsam und effizient» mit Energie umgehen, stehe zwar im Energiegesetz und ähnlich in der Verfassung. In den Details der Verordnung gehe Suffizienz jedoch verloren.
Das Bundesamt für Energie hält auf Anfrage fest, es engagiere sich gemäss den gesetzlichen Grundlagen für Energieeffizienz und Erneuerbare Energie: «Suffizienz ist eine persönliche Entscheidung für einen entsprechenden Lebensstil und mit Verzicht verbunden. Das BFE sieht seine Aufgabe nicht darin, Einwohnerinnen und Einwohnern der Schweiz vorzuschreiben, was und wie viel sie konsumieren dürfen.» Und weiter: «Wir sind überzeugt, dass die Thematisierung von Suffizienz durch den Bund eher zu Widerstand statt zum entsprechenden Verhalten führt und das Potenzial entsprechend klein ist.»
Hänggi widerspricht. Richtig gelebt und reguliert, schränke Suffizienz die individuelle Freiheit nicht ein. Gerade im Verkehr könne die Suffizienz gefördert werden und so die Bewegungsfreiheit vor allem der schwächeren Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer erhöht werden. «Indem mit einer sinnvollen Verkehrs- und Raumplanung die Wege kurz sind und zu Fuss oder mit dem Velo zurückgelegt werden können. Das hat nur Vorteile für alle», sagt Hänggi.