Sie habe befürchtet, wegen der Augenkrankheit AMD die Welt um sich herum aus den Augen zu verlieren, sagt eine gepflegte, ältere Dame in einem Wartezimmer einer Arztpraxis. Doch nun, dank des Medikaments, eröffne sich ihr die Welt neu.
Die Stimme der Dame ist begleitet von eingängiger Musik. Man sieht sie in der Abflughalle des Flughafens, in einem Flugzeug, in fernen Ländern, glücklich und auf Entdeckungstour. Eine kurze Geschichte mit Happy End – ein TV-Spot.
Der Auftraggeber des Spots ist Roche. Es ist nur einer von zahlreichen TV-Spots für rezeptpflichtige Medikamente, die Pharmafirmen in den USA zeigen.
Auch oft zu sehen: Spots für die neuen Abnehmspritzen und Diabetes-Medikamente. Den unabhängigen Senatoren Bernie Sanders und Angus King ist das ein Dorn im Auge. Rückendeckung erhalten Sie vom Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr.
Milliarden für Werbung
Schätzungsweise sechs Milliarden Franken haben Pharmafirmen alleine im letzten Jahr für Werbung ausgegeben. Es handle sich bei den Spots um «eine glorifizierte Beschreibung der Medikamente», sagt Michael Nawrath, der für den Finanzdienstleister Octavian die Pharmakonzerne analysiert. «Das sind sicher tolle und bessere Medikamente als der bisherige Standard», sagt er. Doch als ausgebildeter Arzt steht er diesen Spots kritisch gegenüber.
Aus Sicht der Pharmafirmen sind diese Spots die Grundlage für fundierte Gespräche zwischen Patientinnen und Patienten und Fachpersonal. «Direktwerbung ist ein wichtiges Mittel, um die amerikanische Bevölkerung für wichtige Themen der öffentlichen Gesundheit zu sensibilisieren», schreibt Roche auf Anfrage.
Nawrath sieht aber genau darin ein Problem. «Die Werbespots tragen dazu bei, dass Patientinnen und Patienten sich in Sicherheit wähnen, informiert zu sein, um mit dem Arzt auf Augenhöhe diskutieren zu können.»
Widerstand der Pharma-Lobby erwartet
Die Ärztinnen und Ärzte in den USA könnten den Patienten die Wunsch-Arzneien zwar ausreden oder zumindest nicht verschreiben. Dennoch kann man davon ausgehen, dass die Spots Wirkung zeigen. «Man kann schlussfolgern, dass die Werbung einen Einfluss auf den Umsatz hat. Denn aus Sicht der Pharmafirma wären diese Werbeausgaben sonst Ausgaben, die man unterlassen sollte», sagt Nawrath.
Interessant für Firmen sei ausserdem der Aspekt, dass sie die Kosten für die Spots als Entwicklungskosten verbuchen können. Sie werden sich über Lobby-Organisationen in den USA gegen das derzeit politisch heiss diskutierte Werbeverbot wehren. Deshalb könnten die Diskussionen noch Jahre dauern.