Ungefähr jedes vierte deutsche Wort ist kein «Erbwort», sondern aus einer anderen Sprache entlehnt. Heute fallen vor allem die neueren Fremd- oder Lehnwörter auf, hauptsächlich Anglizismen: Meeting, Influencer, queer, chillen, swipen...
Unser Wortschatz besteht aber noch aus viel mehr Wörtern aus anderen Sprachen. Dass Ballon, Paket oder Terrasse aus dem Französischen entlehnt sind, dachten Sie vielleicht. Aber hätten Sie gewusst, dass Keller, Nase oder Essig ursprünglich aus dem Lateinischen kommen? Diese Wörter sind schon so lange Teil des deutschen Wortschatzes, dass sie nicht mehr als fremd wahrgenommen werden.
Isländisch: Fremdwörter um (fast) jeden Preis vermeiden
In anderen Sprachen ist der Fremdwortanteil deutlich kleiner als im Deutschen. Ein Extrembeispiel ist das Isländische: Lehnwörter machen hier nur zwei, drei Prozent des Wortschatzes aus. Und ihr Anteil wird aktiv niedrig gehalten.
Die staatlich unterstützte Isländische Sprachkommission macht Vorschläge, wie Fremdwörter durch isländische Neuschöpfungen ersetzt werden können: Der Kampfpanzer etwa heisst auf Isländisch «skriðdreki» (wörtlich 'Kriechdrache') und statt dem englischen «queer» soll man «hinseginn» (wörtlich 'anders') verwenden.
In öffentlichen Schreiben halten sich die Isländerinnen und Isländer ziemlich strikt an die Vorgaben – die Umgangssprache und die digitale Kommunikation seien aber deutlich stärker von Lehnwörtern geprägt, erklärt die Nordistin Lena Rohrbach von den Universitäten Basel und Zürich. Da würden oft Anglizismen verwendet wie etwa «partý» statt dem isländischen Wort «samkvæmi» 'Zusammenkunft'.
Isländische «Igelmentalität»
Dass gerade Isländerinnen und Isländer ihre Sprache von fremden Einflüssen möglichst «rein» halten wollen, ist nachvollziehbar: Bis 1944 gehörte die Insel zu Dänemark – das Dänische hatte in Island einen hohen Status und beeinflusste den isländischen Wortschatz stark. Im Zuge der Nationwerdung wurde die isländische Sprache zu DEM nationalen Identifikationsmerkmal. Man «reinigte» das Isländische von den meisten dänischen und anderen Lehnwörtern und ersetzte sie mit isländischen Neuschöpfungen.
Ausserdem wird das Isländische von weniger als 400'000 Menschen gesprochen – da ist eine gewisse «Igelmentalität» und die Angst, die eigene Sprache durch die Aufnahme von Fremdwörtern zu «verlieren», verständlicher als in einer Weltsprache wie Deutsch.
Fremdwörter sind nicht der Untergang
Wie das Isländische und das Französische hat auch die deutsche Sprache eine lange Tradition der Kritik am Import von Fremdwörtern. Aber mit der Niederlage im Zweiten Weltkrieg gab es in Deutschland einen Mentalitätswandel: Statt auf ethnische und sprachliche «Reinheit» zu pochen, begrüsste man Fremdes im Allgemeinen als Bereicherung.
Natürlich regen sich auch heute viele Deutschsprachige über (gewisse) Fremdwörter auf. Aber eine Gefahr für eine grosse Weltsprache sind sie nicht. Das sieht man auch am Englischen: Lehnwörter machen etwa zwei Drittel des englischen Wortschatzes aus – trotzdem (oder gar: deswegen?) ist Englisch DIE internationale Sprache.
Ein hoher Fremdwortanteil kann sogar ein Vorteil sein: Das Lernen von Fremdsprachen, deren Wortschatz sich, mit dem der Muttersprache überschneidet, ist deutlich einfacher.