Leutnant Georgina Mermod steht mitten in der St. Galler Kaserne, im Tarnanzug, die Arme vor der Brust verschränkt. Die 22-Jährige führt ein Team von Männern, ist als Quartiermeister für Logistik, Finanzen und Versorgung zuständig – und damit eine der wenigen Frauen in leitender Funktion. «Wenn man wirklich mehr Frauen in der Armee will, muss endlich mehr geschehen. Bisher tut sich schlicht zu wenig», sagt sie.
Mermod liebt ihren Dienst, die Tagesstruktur, die Kameradschaft. Und doch erlebt sie täglich, dass die Armee auf Männer ausgerichtet ist: Schutzwesten drücken an der Brust, Uniformen sind zu gross, und selbst im persönlichen Materialset liegt ein Hodenschutz. «Wir bekommen ihn einfach, weil das alle bekommen. Aber brauchen tun wir ihn nicht.»
Leutnant Georgina Mermod im Wiederholungskurs in St. Gallen
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Bild 1 von 5. Georgina Mermod kontrolliert den Früchtekorb und findet darin vergammelte Bananen. Bildquelle: Elma Softic.
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Bild 2 von 5. Auch die Kontrolle der Rechnungen und die Führung der Buchhaltung sind im Aufgabenbereich der 22-jährigen Walliserin. Bildquelle: Elma Softic.
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Bild 3 von 5. Es ist für Georgina Mermod nicht immer einfach, sich als Frau im Militär durchzusetzen. Bildquelle: Elma Softic.
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Bild 4 von 5. Immer wieder muss sie als Frau ihre Führungsqualitäten neu unter Beweis stellen. Bildquelle: Elma Softic.
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Bild 5 von 5. Georgina Mermod lässt sich aber nicht klein machen. Sie liebt ihre Funktion als Quartiermeister im Militär. Bildquelle: Elma Softc.
Oft spürt sie Widerstand. Einige Soldaten nehmen ihre Befehle nicht ernst, andere scherzen über ihre Rolle als Vorgesetzte. «Ich bin gross, das hilft mir. Aber Kolleginnen, die kleiner sind, müssen sich doppelt behaupten», sagt sie.
Die Politikwissenschaftlerin Stéphanie Monay ordnet ein: Die Armee sei historisch «von Männern für Männer gedacht». Frauen würden gesellschaftlich noch immer eher mit Fürsorge und Sanftheit verbunden, selten als gleichwertige Soldatinnen wahrgenommen. Kein Zufall, dass Frauen in der Schweizer Armee heute lediglich 1.6 Prozent ausmachen – «eine der niedrigsten Quoten Europas».
Trotzdem bleibt Georgina Mermod im Militär. Sie hat sich dazu verpflichtet, für die nächsten 20 Jahre zu dienen. Nicht, weil sie sich mit der Situation abgefunden hat – sondern weil sie glaubt, dass Veränderung nur von innen heraus möglich ist. «Wir reden immer von Gleichstellung», sagt sie, «aber solange die Strukturen alt bleiben, kommen wir nicht weiter».
Der Wille ist da, das System nicht
Der Bund will den Frauenanteil bis 2030 von den derzeitigen 1.6 auf 10 Prozent erhöhen. Zurzeit sind es nur rund 2300 Frauen, die Dienst leisten.
Um mehr Frauen zu gewinnen, organisieren gewisse Kantone Orientierungstage speziell für Frauen. Doch der Ansturm ist nicht gross: In Aarau stehen 13 junge Teilnehmerinnen eines Orientierungstags in einem Schulzimmer. Einige kommen aus der Feuerwehr oder der Pfadi, andere wollen einfach mal reinschnuppern. Eine Offizierin mit dem Rang «Hauptmann» begrüsst sie in militärischem Ton: «Ich mache hier keine Propaganda», sagt sie. «Mein Ziel ist, dass ihr euch informieren könnt, um zu entscheiden, ob ihr euch diesen Weg vorstellen könnt.»
Beim Rundgang durch die Materialausgabe dürfen die Frauen Ausrüstungsgegenstände in die Hand nehmen. Die Offizierin zeigt eine Unterhose aus der offiziellen Frauenkollektion: «Sehr unbequem, ihr könnt sie gleich wegwerfen», sagt sie mit einem kurzen Lachen. Es ist ein Scherz – und doch symptomatisch. Noch immer ist kaum etwas auf Frauen zugeschnitten.
Frauen passen sich der Armee an – nicht die Armee ihnen.
Eine Teilnehmerin am Orientierungstag meint: «Ich finde es trotzdem cool, dass Frauen mitmachen können. Aber wenn man dann hört, wie viele schlechte Erfahrungen andere gemacht haben, schreckt das schon ab.»
Monay bestätigt, dass das Militär nicht wirklich auf Frauen vorbereitet sei: Infrastruktur, Material, Sanitäranlagen – vieles sei auf Männer ausgelegt, was Frauen zu improvisierten Lösungen zwinge. «Es zeigt sich: Frauen passen sich der Armee an – nicht die Armee ihnen.»
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Bild 1 von 5. Gewisse Kantone bieten Orientierungstage ausschliesslich für Frauen an. Bildquelle: Elma Softic.
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Bild 2 von 5. In Aarau nehmen an einem August-Tag gerade einmal 13 Frauen am Infotag teil. Bildquelle: Elma Softic.
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Bild 3 von 5. Hier erhalten die jungen Frauen über QR-Codes Informationen über die Armee. Bildquelle: Elma Softic.
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Bild 4 von 5. Die Uniformen seien nicht auf Frauen zugeschnitten, so Johanna Huggler, Leiterin Orientierungstag. Bildquelle: Elma Softic.
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Bild 5 von 5. Es wird auch Militärluft geschnuppert. In einer Zweierkolonne geht es Richtung Kaserne. Bildquelle: Elma Softic.
Thema: Sexismus als Alltag
Am Orientierungstag sagt die Kursleiterin auch eines ganz klar: Die Armee habe eine Nulltoleranzpolitik gegenüber Belästigung und Diskriminierung. Alle Fälle dieser Art würden behandelt oder sollen gemeldet werden: «Wenn ihr klar sagt, was für euch nicht geht, macht ihr es euch und euren Kameraden einfacher. Manche brauchen diesen Hinweis, um zu merken, wenn sie zu weit gehen.»
Laut einer Studie des Verteidigungsdepartements (VBS) erleben 94 Prozent der Soldatinnen eine Form von sexualisierter Gewalt. Dazu zählen anzügliche Sprüche, körperliche Übergriffe oder Belästigungen durch Vorgesetzte. Jede zweite Frau berichtet von sexueller Belästigung.
Die Armee spricht von einer «Nulltoleranzpolitik». In der Realität aber bleibt das Machtgefälle gross. Politikwissenschaftlerin Monay verweist darauf, dass «sexistische und sexualisierte Gewalt in der Armee sehr präsent» sei – trotz offizieller Nulltoleranz. Die institutionelle Kultur sei nach wie vor machistisch geprägt und sehr widerstandsfähig gegenüber Integrations- und Diversity-Politiken.
Sexistische und sexualisierte Gewalt ist in der Armee sehr präsent.
Lisa (anonym), 23 Jahre alt, bereitete sich auf die Aufnahmeprüfung für die Offiziersschule vor. Sie war ehrgeizig, motiviert – bis ein Vorgesetzter begann, sie zu bedrängen.
«Er schrieb mir ständig Nachrichten, suchte meine Nähe, brachte mir seine Jacke, wenn mir kalt war», erzählt sie. «Ich dachte zuerst, er wolle mir helfen. Dann wurde es immer persönlicher.»
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Bild 1 von 3. Unangemessene Nachrichten: Jeden Tag schreibt der Adjutant Lisa Nachrichten auf Whatsapp. Zunächst denkt sie sich nichts Schlimmes dabei. Bildquelle: SRF.
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Bild 2 von 3. Dann verlangt der vorgesetzte Adjutant ein Foto von seiner Offiziersschülerin. Bildquelle: SRF.
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Bild 3 von 3. Lisa versucht, auf die Nachrichten distanziert zu reagieren. Bildquelle: SRF.
Der Mann war deutlich älter und ranghöher. Er tauchte bei Übungen auf, wo er gar nicht hätte sein sollen, erzählt Lisa: «Irgendwann hat er mich in einem Treppenhaus aufgesucht und umarmt. Ich war wie gelähmt. Danach habe ich geweint und gewusst: Ich muss das melden.»
Nulltoleranz im Alltag
Lisa tat es – und hoffte auf Konsequenzen. Doch der Vorgesetzte blieb an der Schule. Im Protokoll des Gesprächs mit dem höchsten Kommandanten der Schule heisst es, der Fall sei «nicht als sexuelle Belästigung eingestuft» worden.
«Ich fühlte mich verraten», sagt sie. «Ich hatte den Mut, etwas zu sagen – und trotzdem passiert nichts.» Heute bereut sie, keine rechtlichen Schritte eingeleitet zu haben. «Solange er dort ist, kann ich das nicht vergessen. Ich habe Angst, dass anderen Frauen das Gleiche passiert.»
Das Militär und die Gleichstellung
Die Armee verspricht Reformen: mehr Frauenförderung, bessere Ausbildung, Sensibilisierung. Doch viele Soldatinnen sagen, das reiche nicht.
«Man kann nicht gleichzeitig mehr Frauen wollen und alles so lassen, wie es ist», sagt Leutnant Georgina Mermod. «Nur weil man etwas 50 Jahre so gemacht hat, heisst das nicht, dass es die nächsten 50 Jahre so bleiben muss.» Sie glaubt, dass Veränderung vor allem von den Jüngeren kommen muss.
Auch politisch fehlt derzeit Rückenwind. Die Service-citoyen-Initiative, die einen allgemeinen Bürgerdienst für Frauen und Männer gefordert hat, wurde im November mit 84 Prozent abgelehnt. Stéphanie Monay sagt: «Das zeigt, dass die Idee einer obligatorischen Dienstpflicht für Frauen heute noch keine politische Unterstützung hat.» Zwar werde der Vorschlag zunehmend diskutiert, doch nach einer so deutlichen Ablehnung sei kaum vorstellbar, dass die Politik ihn nun aktiv vorantreibe.
Es bleibt abzuwarten, wie sich die Frage in der Schweiz entwickelt.
Langfristig jedoch hält die Politik- und Sozialwissenschaftlerin Veränderungen nicht für ausgeschlossen. In Europa kehren Länder wie Frankreich und Deutschland zur Dienstpflicht zurück, andere – wie Dänemark – weiten sie bereits auf Frauen aus. «Es bleibt abzuwarten, wie sich die Frage in der Schweiz unter diesem internationalen Trend entwickelt.»
Spiegel einer Gesellschaft
Das Militär zeigt, was auch ausserhalb der Kasernen gilt: Gleichstellung bleibt fragil, solange Macht ungleich verteilt ist.
Frauen wie Georgina Mermod und Lisa machen sichtbar, was sonst verborgen bleibt – in einer Institution, die sich wandelt, aber noch immer von alten Mustern geprägt ist. «Die Arbeiten der Militärsoziologie zeigen deutlich, wie resistent militärische Kulturen gegenüber Vielfalt sind», sagt Wissenschaftlerin Monay. Veränderung dauere – und beginne selten von oben.