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SRF DOK Elektroschrott aus der Schweiz landet in Ghana

Recyceln von Elektromüll ist ein Milliardengeschäft. Arbeiter in Drittweltländern riskieren dafür ihre Gesundheit. Konsumenten denken beim Kauf des begehrten Handys oder noch besseren Computers viel zu wenig an die Folgen. Das muss sich dringend ändern, findet Dokumentarfilmerin Cosima Dannoritzer.

SRF DOK: Guten Tag Cosima Dannoritzer – ich erreiche Sie in Brasilien...

Cosima Dannoritzer:... ja, ich bin am Filmambiente Festival in Rio de Janeiro. Gerade gestern zeigten wir hier unseren Film «Giftige Geschäfte».

Und wie reagierte das Publikum?

Eigentlich wie überall: Geschockt. Es kamen viele Fragen zu meiner Arbeit aber auch: Was kann ich dagegen tun? Da merke ich jeweils schnell, dass viele Menschen tatsächlich keine Ahnung haben, dass ihr entsorgtes Gerät in der Dritten Welt landen kann.

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Cosima Dannoritzer hat als Dokumentarfilmautorin für BBC, Arte und den spanischen Sender TVE gearbeitet. Ihr Film «Kaufen für die Müllhalde» wurde in mehr als 30 Ländern gezeigt und mehrfach international ausgezeichnet. Der Film «Giftige Geschäfte» ist das Nachfolgeprojekt.

Gerade jetzt, am Wochenende wurde von der Organisation Countering WEEE Illegal Trade eine Studie veröffentlicht, sie wurde im Auftrag von Interpol, der EU und den Vereinten Nationen gemacht: Zwei Drittel der ausgemusterten Elektrogeräte wird nicht sachgemäss entsorgt. Erstaunt Sie diese Zahl?

Sie erschreckt mich immer noch, obschon ich sie kenne. Die EU hat schon vor Jahren diese Zahl veröffentlicht. Die Fakten sind schon länger klar, das Problem akzentuiert sich jedoch. Es ist so, dass zwei Drittel aller Computer, Bildschirme, Drucker, Kühlschränke, Handys nicht so entsorgt und recycelt werden, wie sie eigentlich sollten. Doch nicht alle dieser Geräte landen in der Dritten Welt – vieles versickert bereits in Europa.

Jeder Verbraucher sieht nur seinen einzelnen Computer, den er los haben will. Die Menge dieser Geräte sieht er nicht. Dabei produzieren wir global 50 Millionen Tonnen Elektroschrott pro Jahr.

Es gibt nicht nur einen Bösewicht in dieser Kette, an jeder Stelle gibt es Löcher: Es beginnt bei uns Verbrauchern, wenn wir uns ums Recycling nicht genügend kümmern. Wenn wir ein Gerät einfach auf die Strasse stellen, anstatt uns zu einer Sammelstelle oder einen Werkstoffhof zu bemühen. Dann die Sammelstelle: Da steht eine Tür offen und das Gerät kann geklaut werden. Die Sachen landen dann oft bei einem unlizenzierten Schrotthändler ohne Recycling-Equipment. Nächste Station: Recycling-Anlagen – vielleicht verkaufen diese den Schrott und kassieren doppelt – einmal fürs Recycling und einmal vom Exporteur.

Ich denke, ein Grundproblem ist dieses grosse «Augenzudrücken» – man will es nicht so richtig wahrhaben, weil ja schliesslich 'nur' Müll weggekommen ist. Aber dieser Müll ist extrem giftig. Und jeder Verbraucher sieht nur seinen einzelnen Computer, den er los haben will. Die Menge dieser Geräte sieht er nicht. Dabei produzieren wir global bis zu 50 Millionen Tonnen Elektroschrott pro Jahr.

Warum interessiert sich Europa plötzlich so für dieses Thema? Bekannt ist es ja schon länger.

Die Industrie interessiert sich, denn die Ressourcen werden knapp. Mit dem Verschleiss der Geräte findet eine gigantische Vergeudung von wertvollen Rohstoffen statt. Mit dem illegalen Verschrotten und Exportieren der alten Geräte gehen eine Menge wertvolle Rohstoffe verloren, die Europa dann teuer im Ausland wieder einkaufen muss. Das ergibt keinen Sinn.

Video
Recycling in Entwicklungsländern – ein Milliardengeschäft
Aus DOK vom 01.09.2015.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 14 Sekunden.

Und warum muss ich mich als Verbraucherin interessieren?

Zum Beispiel weil es auch um Sicherheit geht. Im Film zeige ich auf, wie gebrauchte Computer-Chips als neue verkauft werden. Grundsätzlich ist Recycling von Computer-Chips sinnvoll und wenn gebrauchte Elemente zum Beispiel in Handys eingebaut werden, ist das okay.

Problematisch wird es jedoch, wenn solche Chips – die eventuell nicht mehr voll funktionsfähig sind, weil sie auf einem illegalen Schrottplatz in der Dritten Welt vom Regen oder von einem Bunsenbrenner bei der Wiedergewinnung beschädigt worden sind – in sicherheitsrelevante Systeme eingebaut werden. In Züge, Flugzeuge, Atomkraftwerke... überall. Und es sind tatsächlich unglaubliche Mengen an gebrauchten Chips im Umlauf. Der Markt ist Billionen wert und blüht vor allem im Internet.

Der chinesische Umwelt-Aktivist Lai Yun auf einer Elektromüllhalde mit Müll aus den USA.
Legende: In der Nähe von Hong Kong Der chinesische Umwelt-Aktivist Lai Yun auf einer Elektromüllhalde mit Müll aus den USA. Yuzu Prod

Was ich im Film aus Platzgründen nicht mehr zeigen konnte: Es gibt sogar Computer-Chips aus amerikanischen Militäranlagen, die im Umlauf sind. In einem Fall entsorgte die amerikanische Armee elektronische Geräte und hatte einen Vertrag mit einem US-Recycler. Der hat die Ware abgenommen, für das Recycling kassiert – und alles nach China verkauft. Sie können sich vorstellen, die Amerikaner schlugen die Hände über dem Kopf zusammen, die Chinesen sind ja Kopiermeister. In diesem Fall wurden die Schuldigen erwischt und zu Gefängnisstrafen verurteilt.

Sie zeigen eindrücklich in Ihrem Film, wie Computer aus Europa auf Müllhalden in Ghana landen. Die Schweiz hat ja eine hohe Recyclingkultur und versucht bestimmt alles, damit kein Elektroschrott aus dem Land geht – ist die Schweiz aus dem Schneider?

Nun, dazu kann ich nur sagen, dass auf dem Schrottplatz in Accra, Ghana auch Elektrogeräte mit Schweizer Etiketten lagen. Ich kenne die Schweizer Situation nicht im Detail, aber grundsätzlich ist es so, dass gigantische Mengen Elektroschrott in die Dritte Welt gelangen und praktisch alle Länder sagen: Das waren die anderen!

Sie zeigen in Ihrem Film, wo die Handys, Computer, Kühlschränke landen. Die Bilder sind erdrückend: Kinder inmitten von giftigen Dämpfen, Menschen am Boden hockend inmitten von Bergen von Handyhüllen. Mussten Sie diese Sequenzen suchen?

Chinesischer Arbeiter sitz umhüllt vor rauchender Computerplatte
Legende: Recycling von Computer-Chips, die nachher als neu verkauft werden: Arbeiter in Guiyu, China. Basel Action Network

Nein, die kann man an vielen Orten finden und filmen. Jedes Land hat 'seinen' illegalen Schrottplatz in der Dritten Welt. Ghana bekommt den Schrott vor allem aus den USA und England, die Philippinen aus Japan, viele Länder Europas schmuggeln den Abfall auch nach Nigeria und Indien. China kriegt den Elektromüll vor allem aus den USA. Dort ist es so, dass sowieso viele Konsumgüter von China in die USA gebracht werden. Diese Schiffscontainer werden dann auf dem Rückweg mit Elektroschrott beladen. Das ist für einen unverantwortlichen Recycler billiger, als ein sachgemässes Recycling in den USA durchzuführen.

Hinter diesem Thema steht unsere Annahme, dass alles unendlich verfügbar ist. Jeder Rohstoff ewig vorhanden sein wird, wir jederzeit in ein Geschäft marschieren können um ein neues Gerät zu kaufen.

Ja, wir haben offenbar einen blinden Zukunftsglauben: Wenn Kupfer knapp wird, dann werden sie schon was anderes finden. Hinter dem Thema steht jedoch viel mehr: Die Umweltkatastrophen natürlich, aber vor allem die Ressourcen, die immer knapper werden: Das birgt politisches Konfliktpotential.

Uns Verbrauchern wird es aber nicht leicht gemacht: In unserem Haushalt stieg kürzlich der Kühlschrank aus – ein neuwertiges Gerät, erst sechs Jahre alt. Angeblich nicht reparierbar. Der Hersteller bot uns gleich per Offerte ein Neugerät an, das defekte wurde abtransportiert – und der Tiefkühlschrank gleich mit, das sei anders nicht möglich. Mich ärgerte das enorm. Da will ich Elektromüll vermeiden, aber die Hersteller verunmöglichen das.

Ich behaupte mal, in Indien hätten die das repariert. Es ist ja interessant, dass viele kleine Reparaturstuben, die hierzulande in Europa in letzter Zeit entstehen, von Indern oder Pakistani geführt werden, die sogar Handys reparieren, während eine europäische Werkstatt sagt 'geht nicht' oder 'lohnt sich nicht'. Ich wohnte mal in einer WG. Wir kauften eine Billig-Waschmaschine die prompt kaputt ging. Wir wollten reparieren, mussten jedoch feststellen, dass die Maschine aus einem Plastik-Gusselement war, man kam nicht an die Innereien ran. Eine beherzte Klempnerin hat dann mit einem Kleiderbügel zwei Stunden gestochert und das Teil wieder zum Laufen gebracht. Aber eben, die Maschine war billig. Wir haben es verlernt, beim Kauf von Geräten auf die Machart, Bauweise, Reparaturfähigkeit zu achten. Wir können das gar nicht mehr. Und gleichzeitig sterben ganze Berufsstände aus.

Also, was raten Sie uns Verbrauchern um etwas gegen Elektroschrott zu tun?

Mindestens einen Reparaturversuch unternehmen. Eine Offerte einholen, einmal im Internet nachsehen. Versucht es! Oft erlebt man eine angenehme Überraschung und die Reparatur ist nicht so teuer wie befürchtet. So werden die Müllmengen kleiner.

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