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«Heute frage ich mich, wie ich das damals geschafft habe»
Aus DOK vom 29.01.2015.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 5 Sekunden.
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SRF DOK Von der Herausforderung, Kinder alleine gross zu ziehen

Der Traum der perfekten Familie. Die Vision, seinen Kindern eine unbeschwerte Kindheit zu ermöglichen. Welche Eltern haben sie nicht, bei der Geburt ihrer Kinder? Doch der Alltag verändert sich, Beziehungen können scheitern. Wie schwierig dies ist, verdeutlicht der «DOK»-Film «Keine Hand frei».

Zur Autorin

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Nach der Fotografenlehre studierte Ursula Brunner (*1961) an der Hochschule Luzern Design und Kunst. Seit 1998 ist sie immer wieder für SRF tätig, zuerst als Kamerafrau, später als freischaffende Regisseurin. «Keine Hand frei» ist ihr vierter Beitrag für SRF «DOK».

Ich bin ein Scheidungskind. Meine Mutter liess sich 1968 scheiden, da war ich sechs Jahre alt. Den grössten Teil meiner Kindheit kannte ich nichts anderes als einen vaterlosen Haushalt mit einer überforderten Mutter.

In der Pubertät begann es mich zu interessieren, warum sich meine Mutter scheiden liess, warum unsere Familie so ganz anders war als jene meiner Freundinnen. Ich begann, nachzufragen. Dies artete jedes Mal in einen handfesten Krach aus. Meine Mutter verkroch sich weinend und Türe knallend in ihr Schlafzimmer. Erst Jahre später begann ich zu verstehen, warum. Und erst Jahrzehnte später waren Gespräche darüber mit meiner Mutter möglich.

Schuldgefühle und Unsicherheit

Denn auch sie hatte den Traum einer intakten Familie. Sie wollte für uns Kinder nur das Beste. Dabei hat sie damals – aus meiner Sicht – vieles falsch gemacht. Unbewusst wusste sie das. Meine Fragerei verunsicherte sie. Sie fühlte sich schuldig. Einen Zustand, den sie damals nicht aushielt. Heute weiss ich, sie hat alles gegeben, mehr lag damals einfach nicht drin, und ich habe mich längst mit ihr ausgesöhnt.

«DOK» am Donnerstag

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«Keine Hand frei – Aus dem Leben alleinerziehender Mütter», Donnerstag, 29. Januar 2015, 20:05 Uhr, SRF 1

Das Leben als alleinerziehende Mutter, Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre, hatte meine Mutter geprägt und machte sie zu einer Kämpferin. Sie und auch wir Kinder fühlten uns oft gesellschaftlich an den Rand gedrängt.

Heute ist alles einfacher, oder?

Die Einelternfamilie ist ein akzeptiertes und viel gelebtes Familienmodell geworden. Dank breiter gesellschaftlicher und staatlicher Unterstützung schon fast ein «Kinderspiel». So scheint es jedenfalls auf den ersten Blick.

Als ich mit der Recherche zu diesem Film begann, führte ich viele Gespräche mit jungen, alleinerziehenden Müttern und auch mit einigen Vätern. Heute gibt es Unterstützungsangebote für alleinerziehende Elternteile. Leichter ist das Leben von Alleinerziehenden jedoch nicht geworden.

Fatima hilft Rania vor der Feier.
Legende: Fatima hilft Rania, sich für eine Feier vorzubereiten. SRF

Auch die beiden porträtierten Frauen im Film, Daniela und Fatima, geben alles, was sie in ihrer Situation können. Anders als meine Mutter treten sie gegen aussen selbstbewusst und emanzipiert auf. Alleinerziehend sein, ist heute zum Glück keine Schande mehr. Sie fühlen sich selbstbestimmt und frei und kennen die Angst, dass ihnen die Kinder weggenommen werden könnten, nicht. Dabei wird ihr Tun unbewusst genauso von einem schlechten Gewissen und Minderwertigkeitsgefühlen gelenkt, wie vor langer Zeit jenes meiner Mutter.

Wenig Zeit, um über ihre Situation nachzudenken

Der Film begleitet die beiden Mütter in ihrem Alltag. Auf der einen Seite Daniela im schicken Hosenanzug, die sich bemüht, Karriere und Muttersein unter einen Hut zu bringen. Auf der anderen Seite die Krankenschwester Fatima, die sich und ihre drei Kinder mit Nachtwachen im Altersheim über Wasser hält. Beide finden wenig Zeit, um über ihre Situation nachzudenken, oder ihren Gefühlen auf den Grund zu gehen und ihr Verhalten zu analysieren.

Margrit
Legende: Ursula Brunners Mutter Margrit SRF

Das tun wir deshalb umso mehr mit meiner 75-jährigen Mutter Margrit. Heute getraut sie sich, auszusprechen, was sie damals vor 40 Jahren nie zugegeben hätte. Sie fühlte sich minderwertig ohne Mann. Sie war gescheitert. Argwöhnisch wurde sie von der Schul- und Gemeindebehörde beobachtet, was sie als enormen Druck empfand.

Ob vor 40 Jahren oder in der heutigen Zeit: Es war und bleibt eine grosse Herausforderung, Kinder alleine gross zu ziehen. Zeit, Energie, Geld: irgendetwas fehlt immer. So ist der Konflikt vorprogrammiert, die Überforderung wohl der Normalfall. Aufgeben ist jedoch nie eine Option.

Alleinerziehend?

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Urs Gloor, Mediator, Anwalt und Bezirksrichter, beantwortete Ihre Fragen zum Thema «Alleinerziehende Mütter und Väter» im Chat.

Und die Väter?

Ursprünglich war geplant, neben den Müttern auch einen alleinerziehenden Vater zu porträtieren. Schnell habe ich jedoch gemerkt, dass dies den zeitlichen Rahmen von 50 Minuten Sendezeit sprengen würde. Den meist schwierigen Geschichten alleinerziehender Väter könnte ich nicht gerecht werden. So haben wir uns entschlossen, den Vätern und ihren Kindern eine eigene Sendung zu widmen. An diesem Projekt arbeite ich – zusammen mit der Produzentin Lina Geissmann von prêt-à-tourner – im Moment.

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