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Die Schattenseiten des Städtetourismus
Aus DOK vom 28.06.2017.
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Massentourismus Wenn die eigene Stadt zur Kulisse wird

Rom, im Quartier Aurelio: Hier durchläuft die Via Aurelia ihre ersten Kilometer vom antiken Rindermarkt Richtung Genua, Marseille bis nach Arles in der Provence. Heute rasen hier in der Innenstadt die Reisecars durch – im Sekundentakt.

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Der Müncher Philipp Zahn berichtet für SRF regelmässig aus Italien. Er lebt mit seiner Familie seit 23 Jahren in Rom, unweit des Vatikans im Westen des Stadtzentrums.

Mittwochs herrscht Hochbetrieb. Dann reiht sich Reiesecar an Reisecar. Denn mittwochs lädt der Papst im benachbarten Vatikan zur Generalaudienz: 2,3 Millionen Kreuzfahrttouristen allein 2016, die den einstündigen Weg im Reisecar vom Hafen Civitavecchia in die Ewige Stadt nicht scheuen. Dazu summieren sich Reisegruppen, Pilger und Schnäppchenreisende. Zehn Millionen Touristen überrollen Rom jedes Jahr – Spitze in Italien. Vatikan, Kolosseum, Fontana di Trevi – alles Selfie-Ziele einer kollektiven Besucherwelle in Zeiten von Social Media. Touristendestinationen wie Rom profitieren aber auch davon.

Profit – das ist in Rom ein symbiotischer Begriff. Denn vom Tourismus profitiert der bengalische Selfie-Stick-Verkäufer, sowie der Taxi-Fahrer oder der Cafè-Besitzer. Dass sowohl der «Barista» als auch der Taxi-Fahrer ganz nach Gutdünken und Herkunft des jeweiligen Kunden den Preis bestimmt, ist in Rom ein Klassiker.

Der Massentourismus ist für die Römer auch Labsal.

Die Hauptstadt-Zeitung «Il Messaggero» hat eine ganz perfide Bar sogar entlarvt. Orangensaft und Croissant kosten für Touristen hier doppelt so viel wie für Einheimische: statt 3,50 Euro zahlen Touristen 8 Euro – am Tresen und nicht am Tisch, versteht sich. Beim Cappuccino ist das ähnlich. Vom Aperò, sitzend an der Piazza Navona, ganz zu Schweigen!

Touristen fahren mit einem Doppeldeckerbus am Kolosseum in Rom vorbei
Legende: Touristen fahren mit einem Doppeldeckerbus am Kolosseum in Rom vorbei Keystone

Doch der Massentourismus ist für viele Römer auch Labsal. Die ehemalige Wohnung der Grossmutter – schnell wird sie umgebaut zum Bed&Breakfast. An allen Ecken spriessen neue Gelaterie Artigianali, Eisdielen mit Hausgemachtem, oder kleine Trattorien hervor. «Airbnb» hat alleine in Rom 9900 Gastgeber registriert, «booking.com» kommt auf 8000 Hotels und Privatunterkünfte.

Die Beherbergung ist in Rom eine der wichtigsten Wirtschaftszweige – für jedermann. Die Regierung hat deshalb beim letzten Haushaltsgesetz sogleich eine «Lex B&B» eingeführt. Die private Beherbergung wird mit einem pauschalen Satz besteuert – niedrig – aber mit der Hoffnung, dass somit alle Gastgeber wenigstens etwas von ihren Einkünften an Steuern zahlen.

Bürgermeisterin Virginia Raggi denkt jetzt zumindest über eine Verkehrskontrolle am Trevi-Brunnen nach.

So gesehen hat das Lamentieren der Römer über die zu grossen Touristenströme zwei Gesichter: Einerseits die Menschenmassen, der Verkehr, das Stadtzentrum in Hand der Geschäftemacher – andererseits verdienen so viele mit. Wer will die Touristen schon nach Hause schicken?

«DOK» am Mittwoch

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«Tourist go home!», 28. Juni 2017, 22.55 Uhr, SRF 1

Bürgermeisterin Virginia Raggi von «MoVimento 5 Stelle» denkt jetzt zumindest über eine Verkehrskontrolle am Trevi-Brunnen nach. Dort soll man nur noch kurz verweilen dürfen, für den Münzwurf über die Schulter, der Glück und ein Erinnerungsfoto bringen soll. Dann aber weiter, der Stadtpolizist fordert das: Verweildauer unter einer Minute!

Das Chaos mit System macht für viele Rom-Besucher den Reiz aus.

Wie aber will das diese Stadt schaffen – strenge Gesetze für Touristen, wenn die eigenen Bürger tun und machen, was sie wollen? Die Busfahrer streiken, die Müllmänner leeren nicht, und jeder parkt zum Einkauf zumindest in der zweiten Reihe.

Vielleicht ist es auch das, was den kurzen Rom-Besucher so reizt, dieses Chaos mit System. Jedoch, zehn Millionen Besucher können für die gut vier Millionen Römer anstrengend sein – diesen Autor eingeschlossen.

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Massentourismus in Barcelona
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