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Psychiater wollte doppelt kassieren
Aus Espresso vom 02.06.2014. Bild: Colourbox
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Gesundheit Bschiss: Psychiater kassiert für falsche Rechnungen

Praktisch, wenn der Arzt seine Rechnungen direkt der Krankenkasse schickt und sich der Patient um nichts kümmern muss. Das dachte auch ein «Espresso»-Hörer und unterschrieb eine so genannte «Abtretungsvereinbarung». Doch jetzt will die Kasse seine Rechnungen nicht bezahlen.

Stefan S. litt monatelang unter Schlaflosigkeit, war gereizt, antriebslos. Sein Hausarzt überweist ihn zu einem Psychiater. Der diagnostiziert eine schwere Depression. Bei der ersten Konsultation muss sich Stefan S. durch den üblichen Papierkram kämpfen, füllt zig Formulare aus. Darunter eine so genannte Abtretungsvereinbarung.

Eine Unterschrift mit bösen Folgen

«Durch diese Vereinbarung sollte künftig der Arzt die Rechnungen direkt der Kasse schicken und auch von dort sein Geld bekommen», erzählt Stefan S. dem Konsumentenmagazin «Espresso» (SRF1).

Doch zehn Monate nach Behandlungsbeginn bekommt Stefan S. ein dickes Couvert von der Ärztekasse. Darin: Etwa 20 Rechnungen seines Psychiaters. Mehr als 6000 Franken soll der Patient innerhalb von 30 Tagen zahlen.

«Im ersten Moment bin ich ob der hohen Rechnungen erschrocken», erinnert sich Stefan S. Weil die Rechnungen aber von der Ärztekasse kommen, geht er davon aus, alles habe seine Richtigkeit. Stefan S. bezahlt. Ein Fehler, wie sich kurze Zeit später herausstellen sollte.

Der Arzt hätte dem Patienten keine Rechnungen schicken dürfen

Stefan S. schickt die Rechnungen seiner Krankenkasse. Doch die winkt ab: Es bestehe eine Abtretungsvereinbarung zwischen Arzt und Patient. Deshalb habe der Patient keinen Anspruch auf Rückvergütungen seiner Kasse.

Der Arzt hätte seinem Patienten gar keine Rechnungen schicken dürfen. Die Krankenkasse schreibt, Stefan S. solle sein Geld vom Arzt zurückverlangen. Doch auch dort stösst Stefan S. auf taube Ohren.

Die Abtretungsvereinbarung sei «annulliert» worden, behauptet Martin Kammerer, Rüschlikon, der Psychiater von Stefan S. Stefan S. solle sich an die Assura wenden, seine Krankenkasse.

Seit nunmehr sieben Monaten wartet Stefan S. auf seine 6000 Franken. Er ist wütend. «Keiner hilft Dir. Man wird von einer Stelle zur anderen verwiesen, jeder behauptet etwas anderes».

«Verhalten des Psychiaters ist inakzeptabel»

Auf Anfrage schreibt die Assura, es liege keine Annullierung der Vereinbarung vor. Der Arzt habe während der Behandlung Rechnungen eingereicht. Diese seien jedoch von der Kasse beanstandet worden. Auf eine «verwertbare» Antwort warte man trotz mehrmaligem Nachhaken noch immer.

Christoph Zenger, Lehrbeauftragter für öffentliches Gesundheitsrecht und Dozent an der Universität Bern hat die «Espresso» vorliegenden Unterlagen studiert: «So wie es aussieht, ist zumindest der Arzt über diese Vorgänge nicht richtig im Bilde. Er verwendet ein völlig veraltetes Formular für die Abtretung und kann nicht erklären, warum und wie diese Vereinbarung annulliert worden sein soll».

Zahlen ohne Risiko

Box aufklappen Box zuklappen

Normalerweise stellt der Arzt seinem Patienten eine Rechnung, der schickt sie seiner Krankenkasse. Einzelne Praxen haben Vereinbarungen mit den Krankenkassen und rechnen direkt ab. Oder: Patienten treten ihre Forderungen gegenüber der Kasse dem Arzt ab. Mehr über die Risiken und Neben- wirkungen dieser Systeme

Dass der Arzt vor diesem Hintergrund auf seinem Geld sitze und den Patienten im Stiche lasse, ist für Zenger «inakzeptabel». Immerhin hat die Assura Stefan S. in der Zwischenzeit den unbestrittenen Teil der Rechnungen überwiesen. Offen sind aber noch immer fast 3000 Franken.

Ist wirklich die Krankenkasse Schuld?

Warum er gleichzeitig der Krankenkasse und seinem Patienten Rechnungen geschickt hat, mag der Psychiater Martin Kammerer nicht erklären. Auch nicht, weshalb er auf die Interventionen der Assura nicht antwortet.

Gegenüber «Espresso» verzichtet er mit Verweis auf das Arztgeheimnis auf eine Stellungnahme. Nach der Intervention von «Espresso» schickt er seinem Patienten jedoch ein Mail, in dem er der Krankenkasse übermässigen Formalismus vorwirft. Er wolle sich nun aber um die Angelegenheit kümmern.

Doch Stefan S. hat genug von solchen Vertröstungen. Wenn er sein Geld nicht sofort bekommt, will er rechtlich gegen den Arzt vorgehen. Zum Glück ist Stefan S. heute wieder gesund. Dass er seine wieder gewonnene Energie ausgerechnet in eine rechtliche Auseinandersetzung mit seinem ehemaligen Psychiater investieren muss, gibt ihm zu denken.

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