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Ordnung halten – «Puls» räumt auf
Aus Puls vom 17.10.2022.
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Digitales Arbeiten Chaos adieu: Wann und wie das papierlose Büro Sinn macht

Wie viel Digitales ist gesund, wo braucht es Papier? Drei Expertinnen und Experten auf der Suche nach der richtigen Dosis Ordnung.

Kein Papierchaos, keine Dokumente, die verloren gehen, keine Notizen, die auf dem Schreibtisch verstauben – klingt herrlich.

Aber der Umstieg ins Digitale ist nicht so einfach wie gedacht. Und auch nicht immer die beste Lösung. Ein Minimalismus-Experte, ein Hirnforscher und eine Autorin geben Tipps.

Drei vom Fach – mit unterschiedlichen Standpunkten

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Legende: Selim Tolga, Henning Beck und Angela Crocker. ZVG / Montage SRF

Selim Tolga: Der Schweizer ist seit 20 Jahren Aufräumcoach und Minimalismus-Experte. Er berät Private und Firmen, wie sie ihr Leben und ihr Büro entschlacken und vereinfachen können. Er ist Autor des Buches «Minimalismus leben für Dummies». Er erklärt, wie der Umstieg zum papierlosen Büro gelingen kann – und warum es sich aus seiner Sicht lohnt.

Henning Beck: Der Deutsche Hirnforscher und Bestseller-Autor zeigt auf, warum es für unser Gehirn auch Nachteile haben kann, wenn wir uns nur noch mit Digitalem umgeben und auf das Dreidimensionale verzichten. Er empfiehlt, bloss teilweise auf Papierlos umzusteigen.

Angela Crocker: Die Kanadierin gilt als die digitale Marie Kondo. Sie schrieb mehrere Bücher zum digitalen Leben, unter anderem: «Declutter your Data» («Entrümple deine Daten») und «Digital Legacy» («Digitaler Nachlass»). Sie unterrichtet am British Columbia Institute of Technology. Sie sagt: Wenn wir nicht aufpassen, werden wir alle ungewollt zu digitalen Messies.

1. Die Balance halten

Wenn es um den kompletten Umstieg zum papierlosen Büro geht, sagt der deutsche Hirnforscher Henning Beck: «Unser Gehirn liebt Ordnung. Es versucht permanent Ordnung zu schaffen. Nicht eine objektive Ordnung, sondern ein persönliches Muster.» Das helfe uns dabei, unsere Gedanken selber zu strukturieren. Und das sei etwas Dreidimensionales.

Unser Gehirn liebt Ordnung.
Autor: Henning Beck Hirnforscher und Bestseller-Autor

Wenn wir uns an etwas erinnern, denken wir immer räumlich: «Wir denken in Form von mentalen Landkarten», erklärt der Hirnforscher. Noch vor unserer Sprache komme die Vorstellung von einer räumlichen Struktur, einem Bild oder Muster.

Das Gehirn braucht Papier

Wenn wir alles nur noch auf dem Bildschirm haben statt physisch, leide unser Gehirn darunter, so Beck. Grund sei die zweidimensionale Zeit, in der wir leben: «Das macht es dem Gehirn sehr schwer, eine räumliche Struktur der Umgebung tatsächlich zu erfassen oder auch im Wortsinn zu begreifen.»

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«Wir leben in einer Zeit, die sehr zweidimensional geworden ist»
Aus Puls vom 17.10.2022.
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Alles «komplett durchzudigitalisieren», davor warnt Beck: «Weil wir unsere Fähigkeit verlieren, Dinge kreativ und innovativ zu verknüpfen.» Es sei bewiesen, dass Menschen handschriftliche Notizen besser behalten, als am Computer getippte. Dass Menschen sich an gedruckte Bücher besser erinnern als an E-Books, bei denen man einfach über den Screen wische.

Wann macht Digitales Sinn – wann Papier?

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Grundsätzlich schlecht findet Hirnforscher Beck das Digitale nicht. Rechnungen oder alles, was man für später aufheben müsse, könne man gut digital machen, sagt er: «Aber alles, was aus meinem Kopf rauskommt, wo ich eine Idee aufschreibe, wenn sie noch nicht fertig ist, da ist es wahrscheinlich besser, es von Hand aufzuschreiben.» Später könne man das immer noch digitalisieren.

Am kreativen Chaos ist etwas dran

Henning Beck ist sein kleines Chaos im Büro heilig: «Das Schlimmste, was man für mich tun könnte, wäre, mir meinen Schreibtisch aufzuräumen.» Zu viel Ordnung und Struktur könne das Denken einschränken.

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«Je räumlicher es um uns herum wird, desto leichter wird es, auf kreative Ideen zu kommen»
Aus Puls vom 17.10.2022.
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«Menschen sind häufig dann kreativ, wenn sie ein bisschen Abwechslung, ein bisschen Unordnung um sich herum haben», sagt Beck. Die Kunst sei es, die Mitte zwischen Ordnung und Chaos zu finden, damit zu viel Unordnung einen nicht ablenke. «Genau diese Balance zu finden, ist das, was kreative Ideen ausmacht.»

Fazit des Hirnforschers: Digitalisieren ja, aber nicht zu früh, wenn es um kreative Prozesse geht.

2. Die Umstellung richtig angehen

Ins Büro gehen, Ordner durchblättern, Mäppchen durchforsten und nach Dokumenten suchen – das gibt es im papierlosen Büro nicht mehr. «Man ist viel schneller mit suchen – und finden», sagt Selim Tolga. Seit 20 Jahren ist der Minimalismus-Experte Aufräumcoach. Für ihn überwiegen die Vorteile des Digitalen klar: «Man hat immer alle Dokumente bei sich, egal, wo man ist.»

Dazu kommt der ästhetische Aspekt. Statt eines vollgestopften Gestells habe man im papierlosen Büro Platz für Schöneres als Hängeregister. Wie schafft man es von einem Haufen Papier auf dem Pult zum digitalen Büro? «Ein verregnetes Wochenende genügt», sagt Tolga.

Regeln gibt es nicht

Für Tolga ist klar: Wenn man aufs papierlose Büro umsteigen will, dann ganz. «Ich rate dringend von Mischformen ab», so Tolga. Denn es gehe auch um eine Umstellung im Denken und Handeln. Wenn man Papier weiterhin toleriere, sei die Umstellung nicht verinnerlicht.

Klar gibt es Ausnahmen. Aktive Verträge etwa, rät selbst der Minimalismus-Experte, in Papierform zu behalten. Eine Postkarte von einem lieben Freund aber solle man eine Woche aufstellen, sich darüber freuen – und dann entsorgen. Wer will, könne sie vorher digitalisieren.

Immerhin: Nicht alle unzähligen Papiere der Vergangenheit braucht man als digitales Dokument. Man soll das digitalisieren, was man stets griffbereit haben möchte, rät Tolga. Alles andere: möglichst entsorgen oder als analoges Archiv in den Keller. Viel wichtiger sei es, ab einem Stichtag diszipliniert papierlos zu sein – und nicht weiter Papier zu stapeln.

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Motivationsschub, um Ordnung zu schaffen
aus Ratgeber vom 17.10.2022. Bild: colourbox
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Mit Sinn und Smartphone zum Umstieg

Wichtig für das papierlose Büro ist vor allem die richtige Einstellung, weil man bei jedem Dokument schnell entscheiden muss, wie man damit umgehen möchte.

Für die Digitalisierung der Papiere reicht eine Scan-App auf dem Handy. Gute Apps lesen die Worte beim Einscannen aus, so Tolga. Das macht zum Beispiel später den Namen eines Arztes in einer Rechnung auffindbar – wie bei einer Suchmaschine. Das funktioniert selbst dann, wenn das gesuchte Wort nicht im Titel steht.

Welche Dokumente braucht man eigentlich?

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Aufräumcoach Selim Tolga erklärt, wie man fürs papierlose Büro mit Dokumenten umgeht:

  • Leben nach dem «Sofort-Prinzip»: Sobald ein Papier ins Haus flattert, gilt es zu entscheiden: Brauche ich das? Falls nicht, Dokument sofort entsorgen.
  • «Dynamische Dokumente»: Das sind Papiere, bei denen man aktiv werden muss (z.B. Rechnungen zahlen, Einladungen zusagen). Tipp: am besten sofort erledigen.
  • «Statische Dokumente»: Der klassische Fall für die Ablage, weil man damit nichts mehr tun muss (z.B. Postkarten, Notizen). Wer diese Dokumente trotzdem behalten möchte, kann sie digitalisieren und das Papier wegwerfen.

Als Speicherort für die Papiere im digitalen Büro empfiehlt der Aufräumcoach eine Cloud zu nutzen, also einen Online-Speicher, wo Dokumente passwortgeschützt abgelegt sind. Zudem rät Tolga zu einer einfachen digitalen Struktur: «Das menschliche Gehirn kann maximal sieben Bereiche im Kopf verwalten.» Deswegen soll man maximal sieben verschiedene Ordner für die Dateien anlegen – mit je maximal sieben Unterordnern.

Das Fazit des Aufräumcoachs: Damit der Umstieg aufs papierlose Büro gelingt, braucht es drei Dinge – die richtige Einstellung, eine gute Scan-App und eine einfache Ordnerstruktur.

3. Die Ordnung auch im digitalen Büro halten

Chaos kann es aber auch im papierlosen Büro geben, wenn man nicht hinter seinen Dokumenten aufräumt. Die kanadische Autorin Angela Crocker liebt Technologie. Sie sagt jedoch: Wer seine Daten nicht pflege, werde zwangsläufig zum «digitalen Messie». Man müsse seine Daten regelmässig ausmisten.

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«Digital hoarding» erklärt in 100 Sekunden
aus 100 Sekunden Wissen vom 22.10.2019. Bild: SRF / Sebastien Thibault
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Das helfe einem dabei, nur das Wesentliche zu behalten. Und reduziere auch Stress. Denn der digitale «Clutter», also alles, was sich an Daten ansammelt, kann auch zu ungesundem Stress führen. Das hat Crocker bei ihren Recherchen festgestellt. «Eine durchschnittliche Familie verfügt laut einer britischen Studie über 41 Terabyte Daten!» Zum Vergleich: Das entspricht etwa 10'250 Filmen, die eine Familie stattdessen abgespeichert haben könnte.

Fotos löschen gegen Datenberge

Weil die Datenberge immer grösser würden, fühle man sich nicht imstande, Ordnung zu schaffen, so Crocker. Damit das nicht passiert, empfiehlt die Autorin, das Verhalten zu ändern: Zum Beispiel jeden Abend bewusst unnötige Fotos vom Handy löschen.

Man solle es sich auch zur Routine machen, seine Dokumente zu ordnen, täglich oder einmal pro Woche. «Ich rate, Dokumente abends ‹ins Bett› zu tun, sprich: Sie im richtigen Ordner zu versorgen.»

Tipps für den gesunden Umgang mit E-Mails

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20’000 ungelesene Nachrichten im Posteingang? 10’000 Fotos auf dem Handy? Das trifft Angela Crocker oft an. Ihr Rat:

  • Ohne Stress ans Postfach: Die Mails nur dann öffnen, wenn man auch Zeit hat zu antworten oder zu löschen.
  • Kontakte priorisieren: Wichtige Personen als VIP (very important person) markieren, dann kann man diese E-Mails zuerst lesen.
  • Der digitale E-Mail-Bankrott: Wenn einem alles über den Kopf wächst, alles löschen und neu beginnen. «Dazu rate ich, wenn die Anzahl E-Mails in der Inbox schlicht zu gross ist, dass man es anpacken könnte.»

Eine Alternative sei der jährliche Daten-Frühlingsputz. Crocker rät, Kategorie um Kategorie auszumisten: Dokumente, Fotos, Videos ... Gleich wie beim Papier solle man sich auch bei digitalen Daten stets fragen: Brauche ich das wirklich noch? Und wie lege ich es ab, dass ich es wiederfinde?

Achtung vor Konzentrationskillern

Zudem müsse man lernen, sich vor ständig eintreffenden Daten zu schützen, sagt Crocker: «Wenn wir Technologien nutzen, gehen wir das Risiko ein, ständig unterbrochen zu werden.»

Beispielsweise, weil wir von E-Mails oder Social-Media-Plattformen Push-Nachrichten bekommen. «So verlieren wir unsere Fähigkeit, uns vertiefend mit etwas zu beschäftigen, zum Beispiel uns auf einen kreativen Prozess einzulassen.»

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«Nach jeder Unterbrechung brauchen wir fünf bis 15 Minuten, bis wir wieder vertieft sind»
Aus Puls vom 17.10.2022.
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Wir müssen dringend lernen, uns von all diesen Unterbrechungen abzuschirmen. Denn: «Nach jeder Unterbrechung brauchen wir in der Regel fünf bis 15 Minuten, bis wir wieder vertieft sind. So verlieren wir viel Effizienz. Wir haben vielleicht acht Stunden gearbeitet, waren aber nur drei Stunden produktiv.»

Angela Crocker ist überzeugt davon: Wer weiss, wie man mit digitalen Daten umgeht, arbeitet nicht nur effizienter, sondern lebt vor allem entspannter.

Radio SRF 1, Ratgeber, 17.10.2022, 11:10 Uhr

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