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Risiko Kreuzbandriss: Verletzung im Schneesport vorbeugen
Aus Puls vom 17.01.2022.
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Sicher Skifahren Skibindung der Zukunft soll Kreuzbandriss vermeiden

Digitalisierte Skibindungen sollen einst Knieverletzungen reduzieren – bis es so weit ist, können wir selbst etwas tun.

Eben noch auf den Ski, der Sturz, es knallt im Knie, das Kreuzband reisst. So enden jährlich rund 4000 Skiabfahrten in der Schweiz. Dies, obwohl die Skiausrüstungen immer besser werden. Beim alpinen Skisport ist besonders das Knie von Verletzungen betroffen – bei gut jedem dritten Skiunfall. Häufig wird dabei das vordere Kreuzband beschädigt.

Dass das Kreuzband nicht fürs Skifahren gemacht ist, weiss Aljoscha Hermann, Forscher für Sportgeräte und Sportmaterialien an der Technischen Universität München. Er und sein Team erforschen die Kräfte, welche beim Skifahren auf das vordere Kreuzband einwirken.

Kreuzbandriss vorbeugen wie die Profis

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Skirennfahrerinnen und -rennfahrer verletzen sich häufig. Eine Forschergruppe der Universitätsklinik Balgrist hat die Ursachen von Verletzungen genau untersucht und aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen ein effektives Präventionsprogramm abgeleitet. Die Erkenntnisse aus der ISPA «Injury Screening and Prevention – Alpine Skiing» reduziert das Risiko einer Verletzung um bis zu 30 Prozent. 

Das ISPA-Präventionsprogramm ist auf U16-Athletinnen und -Athleten zugeschnitten. Es fokussiert auf die verletzungsrelevanten athletischen Grundlagen im Nachwuchsbereich. Das Programm ist selbsterklärend und kann als 20-minütiges Heimprogramm durchgeführt werden. Die sechs Übungen trainieren gezielt die Hamstringskraft, die Stabilität der Beinachsen und des Rumpfes. Die Übungen sind aber für alle Skisportler geeignet, wissenschaftlich jedoch nur bei den jungen Skifahrenden untersucht.

Die Übungen sind hier zu finden.

Dafür haben sie ein europaweit einzigartiges Modellknie nachgebaut, inklusive Muskelsimulation. Jede Bewegung, jede Kraft kann damit genaustens erfasst und simuliert werden.

Unterschiedliche Haltung, unterschiedliche Krafteinwirkung

Das Modellknie zeigt: Allein ein gestrecktes Knie ohne weitere Einwirkungen belasten das Kreuzband. «Beim gestreckten Bein, haben wir schon 100 Newton Zuglast auf dem Band», sagt Aljoscha Hermann. Das entspricht einer Kraft, als würde man 10 Kilo am Kreuzband aufhängen. Wird der Fuss zusätzlich gedreht – als ob man aufrecht fahren würde und nach hinten schaut – dann steigt die einwirkende Kraft schnell an.

Anders verhält sich die Krafteinwirkung beim Anwinkeln: Beugt Aljoscha Hermann sein Kniemodell auf einen Winkel von 30 Grad, nimmt die Zuglast auf das Kreuzband auf knapp 50 Newton ab.

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Mit dem Modellknie simuliert Forscher Aljoscha Hermann die Kräfte, die auf das Kreuzband einwirken.
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Wird das Knie noch stärker gebeugt – auf 60 Grad – nimmt die Spannung vom Kreuzband komplett ab. «Jetzt ist die Belastung auf das Kreuzband praktisch null», sagt der Forscher. Beugungen über 90 Grad geben wieder mehr Belastung aufs Kreuzband.

Knie beugen heisst Kreuzband schützen

Die Erkenntnis der Forscher aus München: Wenn man mit gebeugten Knien fährt, entlastet man das Kreuzband. «Also immer konzentriert fahren, mit einem 30- bis 60-Grad-Winkel», rät Aljoscha Hermann. «Wenn man das beachtet, ist man schon relativ sicher.» Das bedingt jedoch, dass man für diese Kniestellung auch genug Muskeln hat und genug fit ist.

Wer hingegen aufrecht Ski fährt, langsam müde ist und die Muskeln nicht mehr anspannt, fährt riskant: Gibt es dann noch eine Drehung aufs Knie und erwischt ein unvorhergesehenes Schneeloch oder eine Bodenwelle, könnte das allein schon für ein Kreuzbandriss reichen.

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Forscher Aljoscha Hermann: «Wenn man auf einen Kniewinkel von 30 bis 60 Grad achtet, dann fährt man schon relativ sicher.»
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Auch auf die Skibindung kommt es an

Die herkömmlichen, rein mechanischen Skibindungen werden jedoch dem Knie nicht gerecht. Deshalb ist es für die Forschergruppe um Aljoscha Hermann in München klar: Es ist Zeit für eine mechatronische Skibindung.

Verletzungsgefahr bei herkömmliche Skibindungen

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Die aktuell auf dem Markt befindlichen Skibindungen haben sich in den letzten Jahren nicht mehr stark verändert und sind offensichtlich nicht in der Lage, das Bein ausreichend vor den Überlastungen zu schützen. Es handelt sich hierbei um eine rein mechanische Skibindung. Diese ist zwar schon besser als die ersten Modelle, die sich gar nicht vom Fuss lösten und für Beinbrüche verantwortlich waren.

Im Labor wie auch auf der Piste sammeln sie zurzeit Daten für die Grundlagenforschung, damit eine solche mechatronische Skibindung entwickelt werden kann. Denn es sollte nicht nur die Kraft gemessen werden, welche auf die Bindung drückt, wie das heute der Fall ist. In dem neuen Konzept werden die Messdaten unterschiedlicher Sensortypen fusioniert.

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«Die Skibindung der Zukunft müsste relativ viele Informationen über den Skifahrer sammeln und auch interpretieren können.»
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Die Sensoren messen kontinuierlich die Geschwindigkeit des Skifahrers, die Kniewinkel, die Kräfte, welche auf den Fuss des Fahrers wirken, sowie die Aktivität der wichtigsten Muskelgruppen des Beins. Anhand dieser Daten berechnet ein Algorithmus in Echtzeit die Verletzungswahrscheinlichkeit des Skifahrers. Die Bindung reagiert und passt die Auslöseschwelle an oder bei akuter Verletzungsgefahr löst sie aus und gibt den Fuss frei.

Bis das System marktreif und sicher ist, ist die beste Prävention vor einem Kreuzbandriss: Muskelaufbau, Einwärmen und vor allem: Knie anwinkeln.

Puls, 17.01.2022, 21:05 Uhr

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