Donald Trump, Kanye West und Elizabeth Holmes sind prominente Beispiele für Menschen, die ständige Bewunderung verlangen, andere Menschen benutzen, ihre Wichtigkeit überschätzen und manipulativ und empathielos sein sollen. Sind sie Narzissten?
Was das mit Freundschaften oder Paarbeziehungen anrichten kann, wurde in den vergangenen Jahren immer wieder diskutiert. Was aber ist mit den Kindern narzisstischer Elternteile? Wie wirkt sich die Verhaltensweise der Eltern auf ihre Kinder aus?
Kinder- und Jugendtherapeutin Andrea Kramer über die Risiken und Folgen einer solchen Kindheit.
SRF: Frau Kramer, was ist typisch für narzisstische Eltern?
Andrea Kramer: Sie benutzen ihre Kinder, um die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Selbstwert zu pushen.
Grundsätzlich fällt es Menschen mit einer narzisstischen Erkrankung schwer, eine ausgeglichene und liebevolle Beziehung aufzubauen – egal, ob das zu einem Kind oder einem anderen Menschen ist. Kinder brauchen aber vor allem am Anfang konstante Beziehungen und bedingungslose Liebe. Diese werden sie von solchen Eltern nur sehr schwer bekommen.
Wie sieht das Ausnutzen der Kinder konkret aus?
Sagen wir, der Traum der Mutter war es einst, eine erfolgreiche Eiskunstläuferin zu werden. Dann wird sie ihr Kind wahrscheinlich auch aufs Eis schicken, weil sie sich davon verspricht, ihren eigenen Selbstwert durch die Leistungen des Kindes zu erhöhen. Solange das Kind erfolgreich ist, wird die Mama wahnsinnig stolz und engagiert sein. Sobald das Kind nicht mehr performt, ändert sich das allerdings schlagartig.
Was dann?
Wenn das Kind die Erwartungen nicht mehr erfüllt, verletzt das den Stolz der Mutter. Sie wird wahrscheinlich sehr emotional reagieren und dem Kind sagen, wie enttäuscht sie von ihm sei. Vielleicht straft sie es auch mit Ignoranz – selbst wenn es wegen eines Beinbruchs ausfällt und Unterstützung benötigte. Kinder narzisstischer Eltern werden zu wenig wahrgenommen in ihren Bedürfnissen, weil Mama und Papa vor allem mit sich selbst beschäftigt sind.
Was richtet das bei den Kindern an?
Solche Erfahrungen können traumatisieren und erschüttern das kindliche Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die Umgebung. Die Kinder haben oft Schuldgefühle, weil sie versuchen, die hohen Erwartungen zu erfüllen – das aber nicht schaffen. Häufig glauben sie, nicht zu genügen. Und sehr oft, je nachdem wie schwer die Erkrankung des Elternteils ist, entwickeln sie ein gestörtes Bindungsverhalten, das sich bis ins Erwachsenenalter zieht.
Untersuchungen zeigen ausserdem, dass Kinder von Eltern, die psychische Erkrankungen haben, ein sehr hohes Risiko haben, selbst psychische Auffälligkeiten zu entwickeln. Bei Persönlichkeitsstörungen, zu denen auch der Narzissmus zählt, ist das Risiko viermal höher.
Welche Rolle spielt der nicht-narzisstische Teil der Eltern?
Eine enorm wichtige! Kinder sind diesen verstrickten und ambivalenten Verhaltensweisen ausgeliefert, weil sie abhängig von Mama und Papa sind. Sie wollen sie stolz machen. Der gesunde Elternteil muss also viel Schutz bieten und versuchen, dem Kind ausreichend Selbstvertrauen zu vermitteln. Das können übrigens auch Verwandte oder Freunde der Familie machen.
Wie erklärt man einem Kind das verletzende Verhalten von Papa oder Mama?
Es gibt Bilderbücher, die psychische Erkrankungen thematisieren. Mit denen könnte man beispielsweise arbeiten.
Was kann man sonst noch tun?
Sich in Situationen, in denen Abwertungen passieren, ganz plastisch als Schutzschild vor die Kinder stellen. So bekommt die erwachsene Person die verletzenden Worte ab, nicht das Kind. Man sollte die Kinder auch unbedingt in den Dingen unterstützen, in denen sie gut sind. Und: Dem Kind eine Therapiemöglichkeit verschaffen. Am besten noch vor der Adoleszenz-Zeit …
Warum ist dieser Zeitpunkt so wichtig?
Weil das für Kinder mit narzisstischen Eltern oft die allerschwierigste Phase ist. Sie fangen an, sich autonom zu entwickeln und eigene Ideen und Vorstellungen zu haben. Nehmen also ihre eigenen Bedürfnisse mehr und mehr wahr und verletzen die Erwartungen der Eltern.
Diese gesunde Entwicklung wird von den Eltern immer als Kränkung aufgefasst werden. Kommen Kinder nicht aus dieser Abhängigkeit heraus, werden sie häufig depressiv, verletzen sich selbst oder hauen ab. Ohne Hilfe von Aussen schaffen sie es nicht, sich aus der toxischen Beziehung zu ihren Eltern zu lösen.
Werden Kinder von Narzissten selbst irgendwann narzisstisch?
Grundsätzlich geht man bei Narzissmus davon aus, dass es genetische Faktoren gibt, ja. Aber ich würde sagen, es ist eine Mischung aus genetischer Prädisposition und dem Verhalten, das die Kinder sich abschauen. Entweder sie übernehmen die narzisstischen Züge. Oder sie brechen den Kontakt ab, um sich zu schützen.