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CO2-Diät für eine Woche
Aus Wissen Webvideos vom 20.02.2022.
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Herausforderung Foodprint Bohnen statt Bananen: Ein kulinarischer Selbstversuch fürs Klima

Lebensmittel verursachen mehr Treibhausgase als der Verkehr. Aber wie essen wir klimafreundlicher und gesund? Unsere Autorin wagt die 7-Tage-Challenge.

Ich sag’s, wie es ist: Ich liebe Tomaten auch im Winter. Ohne Parmesan, keine Pasta. Ich koche am liebsten spontan, worauf ich gerade Lust habe.

Doch was ich lese, als ich zum Einfluss von Essen aufs Klima recherchiere, erschreckt mich: Ein Drittel der weltweiten Treibhausgase verursachen unsere Lebensmittel. Ein gewaltiger CO₂-Fussabdruck also – kurzum ein «Foodprint».

Junge Frau mit dunklen Haaren und Einkaufskorb in der Hand öffnet die Wohnungstür.
Legende: Für den 7-Tage-Foodprint-Versuch heisst es vor allem eines: Richtig planen. SRF / Oscar Alessio

Die gute Nachricht: Wenn wir die Ernährung anpassen, könnte das die Umweltbelastung in der Schweiz um 45 Prozent reduzieren, das zeigen Daten von Agroscope. Also wage ich den Versuch. Eine Woche lang klimaschonend essen, begleitet von Expertinnen und Experten.

Tag 1: Die Angst vor dem Scheitern

Das Frühstück lasse ich ausfallen, die Challenge liegt mir schon schwer im Magen. Am Mittag gibt es Müsli, laut Packungsangabe produziert in der Schweiz. Zum Abendessen Eintopf aus Schweizer Kartoffeln und Rüebli.

Ein Gericht aus der Kindheit, beide Zutaten stehen auf meiner klimafreundlichen Liste. Unbekanntes wie Sojabohnen verschiebe ich auf später. Für eine Woche heisst es jetzt: Essen nach Masterplan.

Ein Algorithmus für einfache Antworten

Damit ich weiss, was ich essen kann mit geringem CO₂-Ausstoss und trotzdem gesundem Nährwert, hilft mir Christie Walker. Sie hat für ihre Promotion in Umweltwissenschaften an der ETH Zürich ein Tool entwickelt.

«Ich hatte so viele Fragen», sagt Walker. «Sind Bohnen aus der Dose besser oder die getrockneten? Mandel- oder eine andere Milch?» Also hat sie Daten gewälzt und ein Programm gegen die Informationsflut gebaut: Darin kombiniert ein Algorithmus die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation für eine nährstoffreiche Ernährung mit Transportdaten und Saisonalität von Lebensmitteln in der Schweiz.

Grosse, weisse Karte mit vielen kleinen Ess-Symbolen darauf, mit farbigen Zirkeln hinterlegt. Eine Frau hält den Plan.
Legende: Gute Hilfe für die Menüplanung: Die Karte von «Eaternity». Je weiter aussen die Produkte, desto grösser ihre Auswirkung aufs Klima. SRF / Oscar Alessio

Ich tippe Grösse und Gewicht ein, wähle ein paar Dinge, auf die ich nicht verzichten will (Käse, Avocado, Grapefruit) und lerne: Ich kann einen Foodprint von 11.5 Kilogramm CO₂e (CO₂-Äquivalente) pro Woche erreichen – der Durchschnitt liegt fast viermal höher.

CO₂-Äquivalente (CO₂e)

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Als Masseinheit sollen CO₂-Äquivalente (CO₂e) vereinheitlichen, wie klimaschädlich verschiedene Treibhausgase sind.

Kohlendioxid (CO₂) entweicht beispielsweise beim Heizen von Gewächshäusern, bei der Lagerung von Lebensmitteln oder im Transport. Methan (CH₄) produzieren Kühe beim Verdauen, es ist 28 Mal klimatreibender als CO₂. Lachgas (N2O) entsteht beim Düngen in der Landwirtschaft. Es ist 300 Mal klimaschädlicher als CO₂. Der CO₂-Abdruck von Essen heisst auch Foodprint.

Ich zweifle an meinem Erfolg bei dieser Challenge. Weil unsere Welt so globalisiert ist, scheint es mir unmöglich, mit Essen CO₂ einzusparen. Auch für die Schoggi aus der Schweiz muss der Kakao übers Meer.

Drei Kilogramm für die Klimaziele

Auf meinem Wochenplan stehen neben Rüebli, Kartoffeln und einem knappen Pfund Sojabohnen unter anderem drei Liter Milch, ein Kilogramm Rhabarber und 700 Gramm Makrele.

Sollte ich mich an Walkers Tabelle halten, käme ich auf 1.6 Kilogramm Treibhausgase am Tag. Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, müsste jede und jeder den Foodprint auf täglich drei Kilogramm Treibhausgase reduzieren. Aktuell liegt der Durchschnitt in der Schweiz doppelt so hoch.

Heimlich rechne ich aus, wie viel Raum mir für Süssigkeiten bleibt. Zucker empfiehlt die WHO nicht – also kommen auch in Walkers Tabelle keine Snacks vor. Nicht nur klimafreundlicher, auch gesünder wird meine Ernährung diese Woche sein.

Tag 2: Die besten Zutaten sind verbraucht

Schon am zweiten Tag nagt der Verzicht an mir. Aus dem Nachmittagstief holt mich mein Glas Leitungswasser nicht. Mir fehlen Cappuccino und Schokolade. Beides nicht auf der Liste.

Weil gemeinsam essen schöner ist, als allein in der Küche Zutaten abzuwiegen und den Klimaimpact auszurechnen, lade ich mir zum Znacht Besuch ein. Es gibt Tortilla-Wraps, gefüllt mit schwarzen und weissen Bohnen, Süsskartoffeln, Rüebli, Guacamole, Crème fraîche, Tofu und Salat. Die Bilanz: 1.8 Kilogramm für den ganzen Tag. Sogar ein Bier (143g CO₂e) liegt drin.

Die Gäste loben die klimagerechte Küche, ich denke an meine Tabelle: Mit nur einem Znacht habe ich alle feinen Zutaten verbraucht. Mit Blick auf die verbleibenden fünf Tage ahne ich Böses.

Was ist gesund und schont die Umwelt?

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  • Hülsenfrüchte, z.B. Bohnen, Linsen oder Kichererbsen
  • Saisonales Obst und Gemüse
  • Samen oder Nüsse, z.B. Sonnenblumen oder Kürbiskerne
  • Fleisch deutlich reduzieren, v.a. rotes Fleisch wie Kalb oder Rind
  • Eine Übersicht gibt das Poster von «Eaternity», hier zum Download.

Tag 3: Sardinen bringen mich an die Grenze

Das Frühstück läuft mittlerweile routiniert (Grüntee, Müsli und Rhabarberkompott). Aber beim Mittagessen merke ich, wie viel Planung die Challenge bedeutet. Spontan geht nichts.

Ich improvisiere: Vollkornbrot, Rüebli und Sardinen. Allein der Geruch der eingelegten Fische dreht mir fast den Magen um. Nach einem Drittel Dose gebe ich auf. Christie Walkers Computerprogramm hat keine Ahnung von Cuisine.

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Nachhaltig essen: Das Experiment geht weiter
Aus Einstein vom 17.02.2022.
Bild: SRF abspielen. Laufzeit 37 Minuten 13 Sekunden.

Dazu kommt, dass ich die Zutaten auf meiner Liste oft nicht im Laden finde. Mein Rhabarber kommt nicht frisch aus Italien, sondern aus dem Gefrierfach. Dafür aber aus der Schweiz. Ist das nun besser oder schlechter fürs Klima?

Der Transport wird überschätzt

Antworten darauf hat Manuel Klarmann. Der Geschäftsführer von «Eaternity» beschäftigt sich seit zehn Jahren mit den Klimafolgen von Lebensmitteln und berät Restaurants zu ihrer Umweltbilanz.

Eine junge Frau nimmt eine Tüte gefrorenen Rhabarber aus dem Gefrierfach.
Legende: Tiefkühlkost aus der Schweiz ist eine gute Alternative, wenn Obst und Gemüse in der Schweiz keine Saison haben. Noch besser, bei genug Platz im Gefrierfach: Im Sommer z.B. frische Erdbeeren für den Winter einfrieren. SRF / Oscar Alessio

«Der Transport wird häufig überschätzt», sagt Klarmann. Nur etwa fünf Prozent der CO₂-Bilanz mache es aus, «was an Lebensmitteln über den Globus schippert.» Und der CO₂-Ausstoss beim Kühlen? Tiefkühlprodukte werden reif geerntet und gefrostet. Klarmann rechnet und sagt: «Macht wenig aus. Mit dem Schweizer Tiefkühl-Rhabarber bist du minimal schlechter dran als mit dem, der per LKW aus Italien kommt.»

Was mich überrascht, ist die gute Klimabilanz von Schiffen trotz des Ölverbrauchs. «Containerschiffe sind das klimafreundlichste, das wir haben», sagt Klarmann. 134’500 Tonnen haben Platz auf einem kleineren Containerschiff – der Laderaum eines Flugzeugs ist viel begrenzter.

Daran erkennt man Flugware

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Die beste Bilanz haben saisonale, lokale Produkte. Für importierte Lebensmittel ist das Schiff der klimafreundlichste Weg, noch vor dem LKW. Ein Transport per Flugzeug ist wiederum doppelt so klimaschädlich wie der LKW. Woran man im Laden erkennt, was per Flugzeug in die Schweiz kommt, erklärt Manuel Klarmann:

  • Kurze Haltbarkeit: «Was sehr schnell kaputtgehen würde, wird eingeflogen. Mango zum Beispiel hält eine Woche. Ein Schiff ist aber zwei, drei Wochen unterwegs.»
  • Sonnengereiftes: «Wenn etwas «sonnengereift» ist und von weit herkommt. Z.B. Avocado oder Beeren aus Peru. Aus Spanien kommen sie mit dem LKW.»
  • Das Preis-Indiz: «Der Preis zeigts: Es ist wesentlich teurer, Lebensmittel mit dem Flugzeug zu transportieren, das sieht man zum Beispiel an den Spargel-Preisen, bevor bei uns die Saison beginnt.»

Tag 4: Die Suche nach Soja

Die halbe Woche ist geschafft, doch nach dem Morgensport sind meine Energiereserven aufgebraucht. Ans Aufgeben denke ich trotzdem nicht.

Je tiefer ich ins Thema eintauche, desto mehr wird mir die Dringlichkeit bewusst: Ohne die Umstellung zu mehr Hülsenfrüchten, weniger Fleisch und Milch, schaffen wir die Klimaziele nicht. Da sind sich die Forschenden einig.

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Dem Klima zu Liebe weniger Fleisch und Milchprodukte essen
aus A point vom 29.12.2021. Bild: Unsplash/Kyle Mackie
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Also nehme ich mir die fremden Sojabohnen auf der Liste vor. Ich google und finde ein Rezept für Risotto aus Sojabohnen. Aber woher bekomme ich die Bohnen? Ich durchkämme vier Supermärkte ohne Erfolg, auch der Bioladen hat keine.

Saurer Snack statt Süssigkeiten

Was ich stattdessen finde und von meiner Liste abhaken kann, sind Kumquats. Die gekauften Früchtchen kommen aus Spanien, 17.50 Franken pro Kilogramm. Auch mein Portemonnaie ist dem Programm von Walker egal.

Im Feinkostladen ergattere ich Augenbohnen, die weiche ich erst einmal ein. Zum Abendessen gibt es geräucherte Makrele mit Kartoffeln, Rüebli und Salat. Tagesbilanz: 1 Kilogramm CO₂e.

Weisser Teller, oben halbierte Kartoffeln, in der Mitte ein silberner Fisch , unten längliche Kartoffelstreifen.
Legende: Makrele, Kartoffeln und Rüebli: Wenn Fisch auf den Teller soll, sind Makrele, Felchen oder Zander die bessere Wahl als Lachs oder Garnelen. SRF / Ramona Drosner

Einschränken heisst nicht unbedingt Verzicht

Die sehr sauren Kumquats mildern die Lust auf Süsses nicht. Weil mir kleine Belohnungen im Alltag fehlen, frage ich Manuel Klarmann, wie er mit dem Verzicht umgeht: «Mich macht das glücklich. Sich einschränken, macht das Leben einfacher», findet er. «Es ist ja eine sinnvolle Entscheidung.»

Junge Frau mit dunklen Haaren und blauen Augen blickt in Kamera, beisst auf kleines, orangenes Früchtchen.
Legende: Die kleinen Kumquats können mit einem Stück Schokolade nicht mithalten, wären aber gesund und 14 Mal besser fürs Klima als eine Tafel Schokolade. SRF / Oscar Alessio

Was es in seiner WG aber oft gebe, seien getrocknete Mangos: «Wir sind nicht asketisch.» Weil Mangos dort getrocknet würden, wo sie geerntet wurden, liege das für ihn im Rahmen.

Tag 5: Die Challenge macht müde

Nicht nur mein Foodprint, auch meine Kraft hat sich gefühlt halbiert. Ich bin müde.

In meinen «Sojotto», als Konserve habe ich Sojabohnen schlussendlich doch noch gefunden, schummle ich Parmesan, obwohl ich weiss: Milchprodukte verbrauchen deutlich mehr Treibhausgase als pflanzliche Alternativen. Trotzdem machen die Sojabohnen aus der Dose meinen Risotto fünf Mal klimafreundlicher als das Original: 100 Gramm Risottoreis verbraucht 303 Gramm CO₂-Äquivalente. Mein «Sojotto» für die gleiche Menge nur 60 Gramm CO₂e.

Bild eines weissen Tellers, darauf hellbraune Böhnchen, grünes Blattgemüse.
Legende: Fünfmal besser fürs Klima als Risotto: «Sojotto» aus Sojabohnen mit Federkohl und Zwiebeln. SRF / Ramona Drosner

Ich beende den Tag mit 2.3 Kilogramm CO₂e. Der höhere Wert liegt an zwei Longdrinks, der Abend endete mit meinen Gspänlis in einer Bar.

Eine kurze Genugtuung ist es, dass ich meinen Kolleginnen und Kollegen vorrechnen kann, wie viel mehr Treibhausgase ihr Kaffee verbraucht als mein Grüntee: Mit 175 Gramm CO₂e für einen Cappuccino ist es das Zehnfache.

Respekt vor der Natur

Kaffee gibt es auch im Restaurant von Rebecca Clopath nicht. Die Köchin aus dem Bündner Bergdorf Lohn ist dafür bekannt, allen Geschmack aus heimischen Lebensmitteln zu holen. Wer nach einer ihrer «Esswahrnehmungen» unbedingt den Espresso braucht, trinkt die Alternative aus Lupinen.

Umweltbewusstsein ist für Clopath eine Grundeinstellung. «Den Respekt vor der Natur haben wir verloren, weil wir nicht mehr müssen», sagt sie. «Wie viele Leute haben schon mal einer Kuh Milch aus der Zitze gedrückt? Wir sind so verwöhnt!»

Tag 6: Schlecht gelaunt ins Wochenende

Endspurt. Die Diät schlägt auf die Stimmung. Ich lasse mich überreden, meine Tabelle zu vergessen und starte mit einem grossen Frühstück in den Tag. Eine willkommene Abwechslung zu Rhabarberkompott.

Augenbohnen im Wasser eingeweicht.
Legende: Bohnen wie diese Augenbohnen sind besser verträglich, wenn man sie zwölf Stunden einweicht. SRF / Ramona Drosner

Dann fallen mir die eingeweichten Bohnen wieder ein. Ich schicke Rebecca Clopath eine Sprachnachricht und frage nach einem Rezept, Hülsenfrüchte habe ich satt. «Böhnli, immer fein», widerspricht mir die Köchin glatt. Im Hintergrund klappert ihr Kochgeschirr. Sie sagt: 20 Minuten köcheln lassen, erst dann salzen, etwas Rahm dran: «Und was mega bombig ist, Kardamom fein mörsern und damit würzen.»

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Das Bohnen-Rezept von Rebecca Clopath
01:05 min Bild: SRF / Oscar Alessio
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Gelingt und schmeckt. Tagesbilanz 2 Kilogramm CO₂e.

Die Challenge ist geschafft

Für den letzten Tag des Selbstversuchs bin ich zum Brunchen eingeladen. Ich bringe Rhabarber-Crumble (fein) und Brotaufstrich aus pürierten Rüebli mit (fad).

Entscheidungen am Buffet fallen mir nicht schwer: Ich weiss jetzt, was wie viel wiegt auf der CO₂-Waage. Weil ich seit einer Woche Lebensmittel auf die CO₂-Bilanz prüfe, rattert im Kopf permanent der Scanner.

Über die ganze Woche habe ich rund zehn Kilogramm CO₂-Äquivalent mit Essen und Trinken verbraucht. 11.5 CO₂e waren die Prognose. Ich habe Christie Walkers Tabelle geschlagen, auch ohne mich strikt daran zuhalten.

Hat es sich gelohnt?

Es ist möglich, seinen Foodprint zu reduzieren. Klar, eine Umstellung ist es, aber es tut auch gut, den eigenen Geschmack zu fordern.

Junge Frau mit dunklen Haaren schaut in die Kamera, hält Gabel mit Salat vor dem Mund.
Legende: In einer Woche habe ich nicht nur meinen Foodprint verkleinert, sondern auch einige kulinarische Abenteuer erlebt. SRF / Oscar Alessio

Für die Zukunft nehme ich mir vor, beim Einkauf nicht mehr skeptisch am Konserven-Regal vorbeizulaufen, sondern mehr Hülsenfrüchte in meine Menüs zu integrieren. Und ich weiss: Das nächste Stück Schokolade werde ich besonders geniessen.

SRF1, «Einstein», 17.02.2022, 21:05 Uhr

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