Weit über zwei Millionen Personen in der Schweiz leiden an einer chronischen Krankheit wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Problemen oder Depressionen. Für diese Menschen gehören Untersuchungs-Odysseen genauso zum Alltag wie die Einnahme von Medikamenten. Oder die Erkenntnis, dass Gesundheit keine Selbstverständlichkeit ist und der Körper keine Maschine, die einfach ab und an geölt werden muss.
Zu dieser Erkenntnis ist auch die deutsche Schriftstellerin Paula Fürstenberg gelangt. «Ich gehöre zu den Menschen, die gemeinhin als ‹kränklich› bezeichnet werden und immer alles Mögliche haben», sagt sie. Was sie am meisten beeinträchtigt: Seit dem Teenager-Alter leidet sie an Depressionen und einer Angststörung.
Ein Augenöffner für Gesunde
Paula Fürstenberg ist inzwischen 36 Jahre alt. Gerade hat sie ihre eigenen Krankheits-Erfahrungen zu einem Roman verarbeitet. «Weltalltage» heisst das Buch. Darin geht es um einen jungen Mann, der an einer Depression leidet, und dessen Freundin, die regelmässig Schwindelanfälle bekommt. Ursache: unbekannt.
In diese Handlung bettet Paula Fürstenberg zahlreiche allgemeine Überlegungen rund ums Thema «Kranksein» ein. Sie schaut auf die gesellschaftlichen und strukturellen Bedingungen, die dafür sorgen, dass wir gesund bleiben – oder eben krank werden. Das Buch ist voller Denkanstösse. Ein Augenöffner für Gesunde, eine Bestätigung für Kranke.
Leidige Trennung in Körper und Geist
Fürstenberg kritisiert beispielsweise die althergebrachte Trennung zwischen körperlichen und psychischen Krankheiten. «Alle psychischen Krankheiten bringen körperliche Symptome mit sich und umgekehrt», sagt Fürstenberg. Diese Unterscheidung sei deshalb nicht besonders dienlich.
Würden wir die strukturellen Gegebenheiten als Auslöser von Krankheiten betrachten, wäre das für alle beängstigend.
Ein weiterer wichtiger Aspekt für Paula Fürstenberg – in ihrem Roman wie im eigenen Leben und Erleben – ist das Thema «Schuld»: «Wir neigen dazu, Kranken die Schuld an ihrer Erkrankung zu geben». Bei einem Fall von Burn-out heisse es schnell, diejenige sei halt schlecht organisiert. Menschen mit Rückenleiden hätten zu wenig Yoga gemacht und Krebspatienten immer alles «in sich hineingefressen», anstatt ihre Gefühle kundzutun.
Gesunde sind künftige Kranke
Fürstenberg glaubt, dass derartige Denkweisen ein Verdrängungsmechanismus von Nichtbetroffenen seien: «Würden wir die strukturellen Gegebenheiten – also beispielsweise die Luftverschmutzung, unsere Lebensverhältnisse oder unsere Arbeitsbedingungen – als Auslöser von Krankheiten betrachten, wäre das für alle wahnsinnig beängstigend.»
Wir täten gut daran, an der Schuldfrage zu arbeiten.
Daher sei es einfacher, bei jedem Kranken nach einer individuellen Ursache zu suchen, «damit man sich einbilden kann, sich selbst davor schützen zu können», sagt Fürstenberg. Ein trügerischer Gedanke!
Die Autorin findet, wir sollten stets im Kopf behalten, dass alle Gesunden künftige Kranke sind. «Wir täten gesamtgesellschaftlich gut daran, an dieser Schuldfrage zu arbeiten und sie abzubauen», fordert Paula Fürstenberg. Ihr kluger Roman «Weltalltage» leistet einen grossen Beitrag dazu.
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