Zum Inhalt springen

Header

Inhalt

Literatur Wenn Weinberger über Trump schreibt, interessiert das nur Europa

Der Amerikaner Eliot Weinberger ist einer der bekanntesten Essayisten unserer Zeit. Zur US-Präsidentschaftswahl äussert er sich pointiert. Nur: In seiner Heimat interessiert das niemanden. Dort werden die Texte nicht veröffentlicht – er sei ja kein Journalist. Doch genau darin liegt seine Qualität.

Im deutschsprachigen Raum wurde Eliot Weinberger 2005 bekannt. Mit seinem Essay «Was ich hörte vom Irak».

Der Essay ist einer seiner wichtigsten Texte: Eine Collage zum Irak-Krieg, in die Weinberger Statements der amerikanischen Regierung einfliessen lässt und unter anderem die Subjektivität der Berichterstattung thematisiert.

«Who Won’t Be Voting for Trump»

Auch zur US-amerikanischen Präsidentschaftswahl 2016 äussert sich Eliot Weinberger. Im renommierten Magazin «London Review of Books», der auflagenstärksten Literaturzeitschrift Europas, hat er einen Artikel veröffentlicht unter dem Titel «Who Won’t Be Voting for Trump».

Ganz ohne offensichtlichen Kommentar listet Weinberger Äusserungen von Donald Trump auf und schreibt dazu, wen Trump damit vor den Kopf stösst. Eine gute Idee, geistreich, scharfsinnig. Nur: in den USA interessiert das niemanden.

Schriftsteller schreiben nicht über Politik

Viele von Weinbergers Essays sind in 30 Sprachen übersetzt worden – eben zum Beispiel sein Essay zum Irak-Krieg. Aber in den USA wurden seine Texte nie veröffentlicht. Weshalb nicht?

Im persönlichen Gespräch beantwortet Weinberger diese Frage ganz pragmatisch: «Es hatte keinen Platz für meine Texte.» Dahinter steht aber etwas anderes. Weinberger erzählt, dass man ihm die Berechtigung über Politik zu schreiben, nicht zugestehen wolle.

Die Poesie hat mir das Zeitunglesen beigebracht.

Ein gewöhnlicher Typ, der die Zeitung liest

Viele Leute hätten ihm geschrieben und ihn gefragt, woher er die Kompetenz nehme, über Politik zu schreiben, er sei ja weder Politiker noch Journalist. «Stimmt», sagt Weinberger, «ich bin ein ganz gewöhnlicher Typ, der die Zeitung liest.»

Gerade darin liegt aber Weinbergers Potenzial. Gerade dadurch hat er eine gewisse Distanz, muss kein Territorium verteidigen. Die Invasion im Irak, beispielsweise, habe er schon ganz am Anfang von Bushs Präsidentschaft vorausgesehen, sagt Weinberger.

Weinberger sieht, was zwischen den Zeilen steht

«Es schien offensichtlich, wenn man die Zeitung las.» Und er schiebt gleich nach: «Wenn man gewohnt ist, Gedichte zu lesen, kann man auch zwischen den Zeilen lesen und das erkennen, was nicht ausdrücklich gesagt wird. Die Poesie hat mir also das Zeitunglesen beigebracht.»

«Kontext» zur US-Wahl

Box aufklappen Box zuklappen

Wer wird der Nachfolger von Barack Obama? Kommt mit Hillary Clinton erstmals eine Frau? Oder hat der exzentrische Milliardär Donald Trump doch noch Chancen? Wie auch immer die Wahl am 8. November ausgeht, sie wird die Politik in den USA verändern. Über die Ausgangslage der US-Wahlen wird in «Kontext» am 4.11. debattiert.

Weshalb aber finden die Intellektuellen in den USA kein Gehör? «Weil es keine Intellektuellen gibt», sagt Weinberger. Das ist natürlich überspitzt formuliert und stimmt so nicht.

Aber die meisten Intellektuellen äussern sich in Magazinen, die in kleinen Auflagen erscheinen und fast ausschliesslich von Menschen gelesen werden, die sowieso schon gleich denken.

Kein Dramatiker hat eine Kolumne

Und welche Rolle spielen die Schriftsteller? Äussern sie sich politisch? In den Zeitungen nicht. Kein Schriftsteller, kein Dichter, kein Dramatiker hat eine Kolumne. Weshalb? Weinberger vermutet zwei Gründe.

Der eine ist der Erfolg der Creative-Writing-Schulen. Entweder sind die Schriftsteller erfolgreich und konzentrieren sich auf ihre eigenen Werke – oder sie unterrichten an einer Creative-Writing-Schule.

Austausch im Internet hat nicht die gleiche Wirkung

Und dann sind sie weit weg von der Idee, dass ein Schriftsteller auch ein Beobachter des öffentlichen Lebens sein kann. Und der zweite Grund ist laut Weinberger, dass es in den USA kein literarisches Zentrum mehr gäbe.

Der Austausch fände nur noch via Internet statt – und das habe nicht die gleiche Wirkung.

Wenn sich jemand also zum boulevardesken Wahlkampf in den USA intellektuell äussert, hört es in den USA niemand. Bleibt zu hoffen, dass Essayisten wie Weinberger sich nicht beirren lassen und trotzdem – oder gerade deswegen – weiterhin schreiben.

Meistgelesene Artikel