Kinder, die in Haushalten leben, in denen Gewalt zwischen den Eltern vorkommt, werden bei Sorgerechts- und Besuchsrechtsentscheidungen zu selten angehört. Das zeigt eine aktuelle Studie.
Sie lief über 20 Monate und wurde von der Fachhochschule der italienischen Schweiz (SUPSI) und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) durchgeführt. Die Untersuchung umfasst 41 Fälle in den Kantonen St. Gallen, Tessin, Waadt und Zürich. Es ist die erste, die Entscheide über das Sorgerecht in Fällen häuslicher Gewalt vertieft analysiert.
Interview mit dem Präsidenten der Stiftung KidsToo:
Konkret geht aus der Studie hervor, dass häusliche Gewalt bei Verfahren, in denen es um das Sorge- oder das Besuchsrecht geht, häufig vernachlässigt wird. Die Erfahrungen der direkt betroffenen Kinder werden unzureichend berücksichtigt, und ihre Stimme wird zu selten gehört.
Gewalt besser erkennen
In Auftrag gegeben wurde die Studie von der Stiftung KidsToo. Gegenüber dem Westschweizer Radio und Fernsehen (RTS) sagt ihr Präsident, Pascal Bovay, dass «der Grundsatz, der besagt, dass es für ein Kind gut sei, Kontakt zu beiden Elternteilen zu haben, aufgegeben werden sollte, wenn ein Elternteil gewalttätig ist - das ist aber nicht der Fall».
Seiner Meinung nach sind Kinder «Opfer», allein durch den Umstand, dass sie in Familien mit häuslicher Gewalt leben – «auch wenn sie keine direkten Opfer sind», betont Bovay.
Er weist ausserdem darauf hin, dass die Besuchsrechte, das Sorgerecht für das Kind und die gemeinsame elterliche Sorge «es dem Täter ermöglichen, seine Gewalt gegenüber dem betroffenen Elternteil weiterhin auszuüben».
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Idealerweise müsste ihm zufolge «die Gewalt besser erkannt werden und die elterliche Sorge, die das Instrument ist, das der gewalttätige Elternteil gegen den anderen Elternteil und die Kinder einsetzt, vorübergehend ausgesetzt oder suspendiert werden kann».
Die Forschenden stellen in ihrer Untersuchung auch eine Tendenz fest, Gewalt mit einem einfachen Elternkonflikt gleichzusetzen, wodurch die Risiken für Minderjährige und die betroffenen Eltern verschleiert werden. Frühinterventionen, die für den Schutz der Kinder entscheidend wären, kommen nur in Ausnahmen vor.
Anhörung der Kinder verstärken
Der Bericht stellt eine Reihe prioritärer Massnahmen vor. Er empfiehlt insbesondere, Kinder verstärkt anzuhören, indem altersgerechte Instrumente zur Verfügung gestellt werden, und die Ausbildung für Fachleute aus den Bereichen Recht, Soziales und Gesundheit auszubauen.
Er plädiert ausserdem dafür, dass die Vorschriften des Bundes vereinfacht und die Zuständigkeiten geklärt werden. Ausserdem schlägt er vor, dass die kantonalen Praktiken harmonisiert werden, um eine gerechte Betreuung im ganzen Land zu gewährleisten.
Schliesslich brauche es laut dem Bericht die Sicherstellung einer angemessenen Finanzierung, um Verzögerungen und Unterbrechungen bei der Betreuung betroffener Kinder zu vermeiden.