An Take-Away-Ständen von Weihnachtsmärkten wird bei Kartenzahlung die Option Trinkgeld forciert, in den Augen vieler auch regelrecht aufgezwungen. So mancher fühlt sich unter dem prüfenden Blick des Verkaufspersonals schon fast verpflichtet, den Betrag aufzupeppen.
So auch im Zürcher Weihnachtsdorf auf dem Sechseläutenplatz: Wer dort an der Bar oder Imbissbude bezahlt, wird aufgefordert, über Trinkgeld nachzudenken. Fünf, zehn oder 15 Prozent Trinkgeld kann man auf dem Zahlterminal auswählen. Daran scheiden sich die Geister.
Von schrecklich bis verständnisvoll
Es sei wirklich schrecklich, sagt eine Frau am Zürcher Weihnachtsmarkt gegenüber 10 vor 10. Eigentlich gebe sie ihr eigenes Geld gerne, wenn sie denn wolle. «Aber hier fühle ich mich unter Druck gesetzt.» Eine andere zeigt sich verständnisvoller. Es sei wichtig, dass man das Personal unterstütze. Schliesslich sei es bei so vielen Leuten ja nicht immer einfach – und man verdiene am Trinkgeld.
Trinkgeld am Tresen ist für den Zürcher Gastrounternehmer Michel Péclard in seinen Selbstbedienungs-Lokalen keine Option.
Dann müsste jede Person an der Migros- oder Coop-Kasse ja auch nach Trinkgeld fragen können.
Trinkgeld sei für die Arbeit da, für den Kellner, so Péclard. Trinkgeld an einem Take-Away-Stand sei für ihn nicht okay. «Dann müsste jede Person an der Migros- oder Coop-Kasse auch nach Trinkgeld fragen können», so Péclard. Das sei dann ja das Gleiche.
Trinkgeld werde unter den Mitarbeitenden verteilt
Trinkgeld elektronisch einzunehmen, erleichtere die Abrechnung, sagt Katja Weber, Co-Initiatorin des Zürcher Weihnachtsdorfs. Das Trinkgeld werde unter den 400 Mitarbeitenden verteilt. Trinkgeld am Tresen ist für sie gerechtfertigte Wertschätzung fürs Personal.
Uns ist wichtig, dass die Mitarbeitenden [Trinkgeld] nicht forcieren – und das machen sie auch nicht.
Mit Trinkgeld könne man bewusst zeigen, dass man eine besonders schöne Erfahrung gemacht habe, so Weber, oder eben, dass es keine so gute Erfahrung war. Man habe die Wahl, Trinkgeld zu geben oder nicht. «Uns ist wichtig, dass die Mitarbeitenden es nicht forcieren – und das machen sie auch nicht», sagt Weber.
Zu hohe Vorschläge
Trinkgeld-Vorschläge von 15 Prozent oder 20 Prozent seien für die meisten Schweizer zu hoch, sagt hingegen Marcel Stadelmann, Verhaltensökonom der ZHAW. Mit Trinkgeldvorschlägen könne man die Kundschaft ein Stück weit steuern. «Aber je aggressiver sie werden, desto eher kippt die Stimmung und Gäste sind verärgert», so Stadelmann.
Die Kundschaft gebe anfangs wohl noch eher Trinkgeld, aber je mehr Menschen die Situation reflektieren würden, desto weniger würden sie sich am Tresen austricksen lassen.