Seit einem halben Jahr sitzt Delia Guggenheim im Rollstuhl. Die 23-Jährige wurde von einer Autolenkerin von hinten umgefahren, mit 80 Kilometern pro Stunde. Seither ist sie querschnittgelähmt. Nach einem Reha-Aufenthalt in der Universitätsklinik Balgrist lebt die junge Frau nun seit Kurzem in der ersten inklusiven Para-WG der Schweiz in Zürich. Zur WG gehören auch Salome, die ebenfalls querschnittgelähmt ist, sowie fünf Studierende der ETH Zürich.
Das Zusammenleben soll auch Inspiration liefern
Zweimal pro Woche wird zusammen eingekauft und gekocht. Delia wird begleitet von Amelie, die Gesundheitstechnologie studiert. Delia ist weitgehend selbstständig, aber beim Einkaufen froh, wenn Amelie ihr die Produkte, die etwas weiter oben im Regal stehen, herunterreichen kann.
«Wir sind uns in den ersten Wochen schon einiges näher gekommen, es haben sich schon erste Freundschaften entwickelt», erzählt Delia, die an der Uni Zürich Psychologie studiert.
Auch die Leiterin der Para-WG, Regula Eisenring, berichtet, dass die ersten Wochen gut angelaufen sind. Ziel sei, dass es normal sei, wenn Menschen im Rollstuhl und Fussgänger zusammenleben. Deshalb haben alle WG-Mitglieder auch dieselben Zimmer, das gleiche Bett, das gleiche höhenverstellbare Pult.
Die Idee dahinter: Die Studierenden sollen im Zusammenleben sehen, wo im Alltag die Hürden für Menschen mit Beeinträchtigungen liegen. Diese Inputs sollen dann in ihre künftigen Forschungsprojekte einfliessen. Denn bislang wurden viele Tools, gerade in der Gesundheitstechnologie, zu wenig in Absprache mit Betroffenen selbst entwickelt. Das führt dazu, dass sie zu wenig «usergerecht» sind.
Aus der Para-WG sollen nun «usergerechte» Tools und Forschungsprojekte entstehen, sei es nun in der Architektur, im Maschinenbau oder in der Gesundheitstechnologie.
Wie jede andere WG
Noch hat Amelie keine konkreten Ideen für Projekte. Aber zu sehen, welchen Hürden Menschen im Rollstuhl ausgesetzt sind, wie viel sie im Voraus organisieren müssen, wenn sie das Haus verlassen, hat ihr zu denken gegeben. «Ansonsten geht’s bei uns zu wie in jeder anderen WG auch. Manchmal essen wir zusammen, manchmal bereitet jeder für sich was zu, und ab und zu spielen wir gemeinsam, zum Beispiel «Tichu».»
Delia und Salome können in der WG weitgehend selbstständig leben. Die Türen lassen sich per Knopfdruck öffnen, die Waschbecken in Küche und Bad sind tief. Brauchen sie doch einmal Hilfe, ist den ganzen Tag über eine Pflegefachperson vor Ort.
Auch Salome schätzt das Leben in der inklusiven WG. Ihr ist vor allem wichtig zu betonen, dass allen Beteiligten bewusst wird, dass neben vielen Unterschieden zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und anderen auch viele Gemeinsamkeiten bestehen: «Schliesslich sind wir uns auch in vielem gleich, wir sind alle Menschen, mit Wünschen und Hoffnungen, egal, ob wir nun im Rollstuhl sitzen oder nicht.»
Noch ist die WG nicht vollständig. Insgesamt sollen hier sechs Menschen mit Querschnittlähmung leben und ebenso viele Studierende. Der Anfang jedenfalls ist vielversprechend.