Das Schweizer Jodeln gehört neu zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit. Für Jodelprofessorin Nadja Räss ist das mehr als nur ein Stempel. Es ist eine Chance, mit alten Klischees aufzuräumen.
SRF News: Was ist das Besondere am Schweizer Jodeln, das jetzt von der Unesco ausgezeichnet wurde?
Nadja Räss: Speziell ist, dass wir den Wechsel zwischen Brust- und Kopfstimme sehr zelebrieren. Das ist sehr typisch. Während man in Österreich oder Bayern auf vielen verschiedenen Silben jodelt, konzentrieren wir uns auf wenige und den klaren Registerwechsel. Man kann aber durchaus vom Jodeln im gesamten Alpenraum sprechen, die Traditionen sind verwandt.
Die Tradition lebt, weil sie sich verändert, so wie sich auch die Gesellschaft verändert.
Die Unesco-Anerkennung verpflichtet zur «Bewahrung». Besteht nicht die Gefahr, dass die Tradition nun erstarrt?
Nein, ganz sicher nicht. Bewahren heisst in diesem Sinn nicht, Asche aufzubewahren, sondern das Feuer weiterzugeben. Die Massnahmen sind genau so ausgelegt, dass es weitergehen soll und darf. Wir müssen nicht alles neu erfinden, aber das Jodeln hat sich schon immer weiterentwickelt.
Wie hat sich das Jodeln denn verändert?
So wie heute klang es vor 100 Jahren nicht. In den 1920er-Jahren hatte man eine viel klassischere Klangfarbe, andere Silben und auch andere Begleitinstrumente wie Klavier oder Zither. Die Tradition lebt, weil sie sich verändert, so wie sich auch die Gesellschaft verändert. Wichtig ist, dass man die Wurzeln kennt und ihnen Sorge trägt.
Ich finde nicht, dass Sexismus das Problem per se ist.
Experten sagen, das Jodeln landete irgendwann in der «nationalkonservativen Ecke». Wehren Sie sich gegen dieses verstaubte Bild?
Ja, ganz klar. Dieses Image entstand zur Zeit des Zweiten Weltkriegs, als das Jodeln Teil der geistigen Landesverteidigung wurde und eine heile Welt besang. Diese Lieder haben ihre Berechtigung, wenn man den Kontext sieht. Aber man darf nicht dort stecken bleiben. Ich kenne sehr viele Jodler, die überhaupt nicht verstaubt sind.
Heute gibt es feministische Jodelchöre, die sexistische Texte umschreiben. Hat das Jodeln ein Problem mit der Darstellung der Frau?
Ich finde nicht, dass Sexismus das Problem per se ist. Aber es stimmt, die Frau kommt in alten Liedern nicht immer gut weg. Oft geht es nur ums liebe «Schätzeli». Die Frau wird zum «Fraueli», einem passiven Objekt der Zuneigung. Diese Rollenverteilung ist längst nicht mehr zeitgemäss. Es ist wichtig, solche Texte im Kontext ihrer Entstehungszeit zu sehen, aber es ist genauso zentral, dass es neue Entwicklungen gibt, die das hinterfragen und zum Nachdenken anregen.
Hilft die Unesco-Auszeichnung, solche verankerten Werte zu verändern?
Das Jodeln braucht keine Entwicklungshilfe. Aber es ist wichtig, dass wir darüber reden und nachdenken. Genau das passiert jetzt. Der Austausch und die Kommunikation sollen stattfinden. Es tut gut, wenn man sich mit diesen Themen auseinandersetzt.
Das Gespräch führte David Karasek.