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Jodeln als Kulturerbe Jodelprofessorin: «Wir brauchen keine Entwicklungshilfe»

Das Schweizer Jodeln gehört neu zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit. Für Jodelprofessorin Nadja Räss ist das mehr als nur ein Stempel. Es ist eine Chance, mit alten Klischees aufzuräumen.

Nadja Räss

Jodlerin und Professorin an der Hochschule Musik in Luzern

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Das Singen wurde Nadja Räss buchstäblich in die Wiege gelegt. In ihrer frühsten Kindheit kam sie durch ihre Verwandtschaft in Kontakt mit Appenzeller Naturjodel und im Elternhaus war der Jodelgesang ebenfalls omnipräsent. Für Nadja Räss stand früh fest: «Wenn ich gross bin, werde ich Jodlerin.»

Nach der Matura an der Stiftsschule Einsiedeln studierte sie an der Zürcher Hochschule der Künste Gesang und schloss dieses Studium 2005 mit dem Master in Pädagogik erfolgreich ab. Nadja Räss ist leidenschaftliche Lehrerin und gibt ihr Wissen innerhalb von Kursen, Einzelunterricht und seit Herbst 2018 als Professorin für «Jodel» an der Hochschule Luzern weiter. Genauso leidenschaftlich bringt sie zusammen mit Musikerinnen und Musikern wie Rita Gabriel Schaub, Markus Flückiger, Willi Valotti oder mit der Formation Alderbuebe immer wieder neue, aber auch traditionelle Formen des schweizerischen Jodelns auf die Bühne.

In Projekten mit Sängerinnen und Sängern aus anderen Kulturkreisen bereichert sie ihr künstlerisches Schaffen und erweitert ihre Stimme mit klanglichen Facetten. So im Trio mit Outi Pulkkinen und Mariana Sadovska. Auch ist Nadja Räss als Solistin in diversen Projekten anzutreffen, unter anderem in der Kantate «Dorothea». Seit 2015 leitet sie den Jodlerklub Waldstatt-Echo Einsiedeln.

SRF News: Was ist das Besondere am Schweizer Jodeln, das jetzt von der Unesco ausgezeichnet wurde?

Nadja Räss: Speziell ist, dass wir den Wechsel zwischen Brust- und Kopfstimme sehr zelebrieren. Das ist sehr typisch. Während man in Österreich oder Bayern auf vielen verschiedenen Silben jodelt, konzentrieren wir uns auf wenige und den klaren Registerwechsel. Man kann aber durchaus vom Jodeln im gesamten Alpenraum sprechen, die Traditionen sind verwandt.

Die Tradition lebt, weil sie sich verändert, so wie sich auch die Gesellschaft verändert.

Die Unesco-Anerkennung verpflichtet zur «Bewahrung». Besteht nicht die Gefahr, dass die Tradition nun erstarrt?

Nein, ganz sicher nicht. Bewahren heisst in diesem Sinn nicht, Asche aufzubewahren, sondern das Feuer weiterzugeben. Die Massnahmen sind genau so ausgelegt, dass es weitergehen soll und darf. Wir müssen nicht alles neu erfinden, aber das Jodeln hat sich schon immer weiterentwickelt.

Links eine Frau mit einer Haube, wie zum Kamm aufgestellt, dirigiert, rechts eine Gruppe Jodler, in der Kirche.
Legende: Jodeln kommt auch bei der Vereidigung der Schweizer Gardisten zum Einsatz: Im Bild die Urner Jodler der Jodlerklubs Tälläbüabä Attinghausen und Seerose Flüelen während des Festgottesdienstes im Petersdom im Vatikan. (4. Oktober 2025) KEYSTONE / Urs Flueeler

Wie hat sich das Jodeln denn verändert?

So wie heute klang es vor 100 Jahren nicht. In den 1920er-Jahren hatte man eine viel klassischere Klangfarbe, andere Silben und auch andere Begleitinstrumente wie Klavier oder Zither. Die Tradition lebt, weil sie sich verändert, so wie sich auch die Gesellschaft verändert. Wichtig ist, dass man die Wurzeln kennt und ihnen Sorge trägt.

Ich finde nicht, dass Sexismus das Problem per se ist.

Experten sagen, das Jodeln landete irgendwann in der «nationalkonservativen Ecke». Wehren Sie sich gegen dieses verstaubte Bild?

Ja, ganz klar. Dieses Image entstand zur Zeit des Zweiten Weltkriegs, als das Jodeln Teil der geistigen Landesverteidigung wurde und eine heile Welt besang. Diese Lieder haben ihre Berechtigung, wenn man den Kontext sieht. Aber man darf nicht dort stecken bleiben. Ich kenne sehr viele Jodler, die überhaupt nicht verstaubt sind.

Heute gibt es feministische Jodelchöre, die sexistische Texte umschreiben. Hat das Jodeln ein Problem mit der Darstellung der Frau?

Ich finde nicht, dass Sexismus das Problem per se ist. Aber es stimmt, die Frau kommt in alten Liedern nicht immer gut weg. Oft geht es nur ums liebe «Schätzeli». Die Frau wird zum «Fraueli», einem passiven Objekt der Zuneigung. Diese Rollenverteilung ist längst nicht mehr zeitgemäss. Es ist wichtig, solche Texte im Kontext ihrer Entstehungszeit zu sehen, aber es ist genauso zentral, dass es neue Entwicklungen gibt, die das hinterfragen und zum Nachdenken anregen.

Hilft die Unesco-Auszeichnung, solche verankerten Werte zu verändern?

Das Jodeln braucht keine Entwicklungshilfe. Aber es ist wichtig, dass wir darüber reden und nachdenken. Genau das passiert jetzt. Der Austausch und die Kommunikation sollen stattfinden. Es tut gut, wenn man sich mit diesen Themen auseinandersetzt.

Das Gespräch führte David Karasek.

Tagesgespräch, 11.12.2025, 13 Uhr ; 

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