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Berner Kantonspolizei greift bei unbewilligter Demonstration durch
Aus Tagesschau vom 15.10.2021.
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Corona-Demo in Bern Darf die Polizei Demonstrierende zur Kasse bitten?

Nach einer weiteren Kundgebung gegen die Corona-Massnahmen will die Stadt Bern die Kosten des Polizei-Einsatzes erstmals auf die Teilnehmenden der Demonstration überwälzen. Ist das juristisch haltbar und verhältnismässig? Polizeirechts-Experte Patrice Zumsteg schätzt ein.

Patrice Zumsteg

Patrice Zumsteg

Experte für Polizeirecht

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Patrice Zumsteg ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent für Staats- und Verwaltungsrecht an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Winterthur. Zudem ist er in Zürich als Anwalt tätig.

SRF News: Ist die Kostenüberwälzung juristisch haltbar?

Patrice Zumsteg: Ein solches Vorgehen ist grundsätzlich möglich. Die allermeisten Polizeigesetze der Kantone sehen so etwas vor. Der Kanton Luzern hat bezüglich Kostenüberwälzung vor einigen Jahren den Massstab gesetzt. Damals beschloss der Luzerner Kantonsrat ein neues Polizeigesetz, wogegen linke Parteien und Verbände Beschwerde beim Bundesgericht erhoben. Das Bundesgericht urteilte im Januar 2017, dass Kostenüberwälzungen bei Kundgebungen mit Gewaltausübung im Grundsatz möglich sind. Daraufhin haben die meisten Kantone – auch Bern – diese Regelung in ihrem Polizeigesetz so übernommen.

Heisst das, die Stadt Bern kann die Teilnehmenden an der Corona-Demonstration nun zur Kasse beten?

So einfach ist das nicht. Das Bundesgericht hat auch in einer Beschwerde gegen das Berner Polizeigesetz die Kostenregelung für Veranstalter und an Gewalttaten beteiligte Personen gestützt. Sie liesse sich verhältnismässig anwenden und sei mit der Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit vereinbar, urteilte das Bundesgericht.

Nur weil Kostenüberwälzungen im Rahmen des Zulässigen sind, heisst das noch nicht, dass sie grundrechtlich geboten sind.

Doch wenn das Bundesgericht im Grundsatz die Möglichkeit einräumt, steht der Gesetzgeber unter Druck, diese Möglichkeiten auszuschöpfen. Oder anders gesagt: Nur weil Kostenüberwälzungen gemäss der Rechtsprechung bis zu gewissen Grenzen möglich sind, müssen diese Grenzen nicht von allen Kantonen ausgereizt werden. Sie könnten auch Grundrechts-freundlichere Gesetze erlassen.

Die Regelung ist also grundsätzlich juristisch möglich, aber nicht unumstritten?

Behörden haben immer Ermessensspielraum, ob sie eine Regelung umsetzen wollen oder nicht. So hat beispielsweise auch der Kanton Zürich eine Regelung zur Kostenüberwälzung im Polizeigesetz. Dennoch toleriert die Stadt regelmässig unbewilligte Kundgebungen, ohne dass es zu Kostenüberwälzungen kommt.

Aus grundrechtlicher Sicht wäre in der Stadt Bern wohl optimal gewesen, wenn man die Änderung der Verfahrenspraxis im Voraus allgemein angekündigt hätte – mit einem Stichtag, ab dem Kostenüberwälzungen vollzogen werden. Dann wüssten alle Demonstrationsteilnehmenden, worauf sie sich einlassen.

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Polizei weist Demonstrantinnen und Demonstranten in Bern weg
Aus News-Clip vom 15.10.2021.
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Schränkt die Stadt Bern mit den Kostenüberwälzungen das Recht aufs Demonstrieren ein?

Jeder hat das Recht, sich friedlich zu versammeln und seine Meinung zu äussern. Das muss gemäss Bundesgericht auch spontan zulässig sein. Das Problem ist aber die Gewalttätigkeit. Denn wer an einer gewalttätigen unbewilligten Kundgebung teilnimmt, verlässt laut Rechtssprechung den Schutz der Versammlungs- und Meinungsfreiheit.

Laut Polizeigesetz können die Behörden Kundgebungsteilnehmern 10'000 Franken in Rechnung stellen, in schweren Fällen sogar 30'000 Franken. Was heisst das?

Dass eine Einzelperson die ganzen Kosten tragen muss, ist kaum vorstellbar und nicht verhältnismässig. Die Behörden stehen vor dem Problem, dass sie das individuelle Verschulden einer Person X abschätzen müssen. Von einem schweren Fall, der eine Kostenüberwälzung von 30'000 Franken rechtfertigen würde, kann man meiner Ansicht nach erst bei grossen Sach- und Personenschäden sprechen. Diesbezüglich fehlen jedoch noch Leitentscheide vor Bundesgericht.

Das Gespräch führte Laura Sibold.

Tagesschau, 15.10.2021, 12:45 Uhr;

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