1980 war ein bewegtes Jahr. Hinter dem Eisernen Vorhang fanden die Olympischen «Boykottspiele» von Moskau statt. Ronald Reagan wurde zum amerikanischen Präsidenten gewählt. Und die Welt trauerte um John Lennon, der bei einem Attentat ums Leben kam.
Auch in der Schweiz wurde mit der Eröffnung des Gotthard-Strassentunnels Geschichte geschrieben. Als historisch sollte sich auch erweisen, was sich im Bündner Calancatal zutrug. Allerdings erst im Rückblick.
Castaneda feiert
Denn 45 Jahre später wird dort der dienstälteste Gemeindepräsident der Schweiz gefeiert: Attilio Savioni.
Mit einem grossen Fest würdigen die rund 250 Einwohnerinnen und Einwohner Savionis Engagement – das alles andere als selbstverständlich ist. Denn in vielen Gemeinden schwindet die Bereitschaft, sich für ein öffentliches Amt zu engagieren.
Ich habe mich all die Jahre nie ausgelaugt gefühlt.
Im Wallis wehrte sich jüngst sogar ein Mann gegen seine Wahl in den Gemeinderat. Für Savioni ist Amtsmüdigkeit dagegen ein Fremdwort: «Ich habe mich all die Jahre nie ausgelaugt gefühlt.»
Schöne und weniger schöne Erinnerungen
Mit 35 wurde er erstmals zum Gemeindepräsidenten gewählt. Zu den wichtigsten Errungenschaften, die er mit initiiert hat, zählt die Tal-Schule. Anfang der 1980er Jahre wurde in Castaneda ein Schulkomplex für alle Dörfer des Calancatals gebaut. «Ich habe alle Arbeiten begleitet. 35 Jahre lang war ich auch Schulpräsident», erzählt Savioni.
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In fast einem halben Jahrhundert gab es auch schwierige Zeiten, erinnert sich der heute 80-Jährige. «1978 und 1981 gab es hier Überschwemmungen. Mein Radio war rund um die Uhr eingeschaltet, ich war ununterbrochen mit den Behörden in Kontakt.»
1987 breiteten sich im Tal Waldbrände aus. Die Menschen in der Region hätten zusammengestanden und konnten das Schlimmste verhindern, blickt Savioni zurück.
Der Dank an den Gemeindeschreiber
Und was braucht es, um 45 Jahre lang Gemeindepräsident zu sein? «Willen und Freude am Kontakt mit den Menschen», antwortet Savioni. Unabdingbar ist auch die Zustimmung der Bevölkerung. Meistens hatte der unabhängige Politiker keine Gegenkandidaten und wurde still gewählt.
Der pensionierte Unternehmer bedankt sich auch bei seiner Frau, seinen Kindern und seiner Schwiegermutter für ihre immense Geduld über all die Jahre.
Mehr Ausdauer in den Bergen?
Dass Savioni eine Ausnahmeerscheinung ist, bestätigt auch die Wissenschaft. «Normalerweise bleiben Gemeindepräsidenten in der Schweiz zwei bis drei Amtsperioden, maximal 16 Jahre», erklärt Ursin Fetz von der Fachhochschule Graubünden.
45 Jahre an der Spitze einer Gemeinde sind viel – aber kein Rekord. Diesen hält der ehemalige Gemeindepräsident von Bister im Wallis, der letztes Jahr nach 48 Jahren zurücktrat.
Den Allzeit-Rekord vor Augen
Finden sich die langlebigsten Gemeindepräsidenten also in den Bergen? «Es gibt keine wissenschaftlichen Belege dafür», erläutert Fetz. «Die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch ist zum Beispiel seit 16 Jahren im Amt.»
Nächstes Jahr endet Savionis Amtszeit. Macht er weiter? «Es kommt darauf an, wie es gesundheitlich aussieht und ob die Leute mich noch wollen.»
Sollte sich Savioni erneut zur Wahl stellen, könnte er seinen Walliser «Rivalen» vom Thron stossen. Und Castaneda hätte erneut Grund zum Feiern.