Dieses Jahr wurden in der Schweiz bereits 25 Frauen und Mädchen getötet – mehr als im gesamten Vorjahr. Am Dienstag hat der Bund erstmals Daten zu den Hintergründen von Tötungsdelikten veröffentlicht und gleichzeitig eine nationale Präventionskampagne lanciert. Die Kriminologin Nora Markwalder war zu Gast im Tagesgespräch.
SRF News: Nehmen Tötungen von Frauen zu?
Nein, sie sind in den letzten Jahren stabil geblieben. Das Problematische an dieser stabilen Tendenz: Alle anderen Tötungsdelikte, insbesondere Tötungen von Männern an Männern, sind in den letzten 30 Jahren stark zurückgegangen. Die Tötungen von Männern an Frauen in Partnerschaften hingegen nicht. Da stellt sich schon die Frage, warum das so ist.
Will sich die Frau von ihrem Partner trennen, ist das Risiko am grössten.
Was sind die grössten Risikofaktoren für eine Frau, Opfer einer solchen Tat zu werden?
Ein grosser Risikofaktor ist vorausgehende Gewalt – mehrfache, langjährige und immer schwerer werdende Gewalt. Will sich die Frau von ihrem Partner trennen, ist das Risiko am grössten.
Der Moment der Trennung ist also besonders heikel?
Ja, das ist ein ganz heikler Moment. Unsere Zahlen zeigen, dass rund ein Drittel der Tötungen während oder kurz nach einer Trennung passiert. In diesen Momenten sind strafrechtliche Schutzmassnahmen wie Kontakt- und Rayonverbote besonders wichtig, und es braucht sichere Orte wie Frauenhäuser.
Was weiss man über die Täter?
Die häuslichen Gewalttäter haben vorher oft schon selbst Gewalt erfahren, auch sind sie häufig vorbestraft. Wir sehen, dass der Migrationshintergrund eine Rolle spielt, ausländische Beschuldigte sind übervertreten, wobei man noch nicht sagen kann, warum das so ist. Auch Alkoholkonsum, Suchtverhalten oder psychische Auffälligkeiten können dazu führen, dass Männer gewalttätig werden.
Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider hat eine nationale Präventionskampagne lanciert. Wie sinnvoll ist das aus Sicht der Forschung?
Sehr sinnvoll. Strafrechtliche Massnahmen kommen oft zu spät. Es handelt sich um ein gesellschaftliches Problem. Eine Kampagne ist wichtig, um alle zu sensibilisieren, hinzuschauen und einzugreifen, bevor es zu einer Tötung kommt. Man darf nicht das Gefühl haben, häusliche Gewalt sei etwas Privates, das einen nichts angeht. Auch Männer können Opfer von häuslicher Gewalt werden.
Was kann man als Aussenstehender tun, wenn man einen Verdacht hat?
Man sollte nicht wegschauen. Man kann versuchen, die betroffene Person im Treppenhaus anzusprechen. Wenn man einen schweren Streit hört und das Gefühl hat, jemand sei in Bedrängnis, sollte man die Polizei anrufen. Es gibt auch kantonale Bedrohungsmanagementstellen, an die man sich wenden kann, um sich beraten zu lassen.
Die Umsetzung von Schutzmassnahmen für Frauen und Mädchen variiert je nach Kanton. Bedeutet das, dass der Schutz für Opfer vom Wohnort abhängt?
Es gibt tatsächlich Unterschiede, insbesondere bei der Anzahl von Plätzen in Frauenhäusern. Es gibt noch viel zu tun, damit man diese Unterscheide ausgleichen kann.
Wir müssen versuchen, mit Prävention Gewalt zu verhindern. Dazu muss man früh ansetzen, auch bei der Erziehung der Kinder.
Wo würden Sie in der Bekämpfung von häuslicher Gewalt ansetzen?
Wir müssen versuchen, mit Prävention Gewalt zu verhindern. Dazu muss man früh ansetzen, auch bei der Erziehung der Kinder. Gewalt darf keine Lösung in der Bewältigung von Konflikten sein. Auch die Gleichstellung muss den Kindern vermittelt werden, dass Buben nicht das Gefühl haben, mehr wert zu sein als Mädchen. Solche Massnahmen erachte ich als sehr wichtig, damit es gar nicht erst zu Gewalt kommt.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.