Jede zweite Woche stirbt eine Frau in der Schweiz, weil sie eine Frau ist. Auch um Femizide zu verhindern, hat Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider nun eine nationale Präventionskampagne gegen häusliche, sexualisierte und geschlechtsbezogene Gewalt lanciert. Im «Club» spricht sie über persönliche Erfahrungen und politische Massnahmen.
SRF News: Sie waren 10 Jahre lang Sozialarbeiterin im Jura und hatten mit Frauen zu tun, die häusliche Gewalt erfahren hatten. Welchen Fall werden Sie niemals vergessen?
Elisabeth Baume-Schneider: Da gibt es leider mehrere Fälle. Darum müssen wir jetzt das Schweigen brechen. Ich erinnere mich an eine Frau mit zwei Kindern, der Vater hat keine physische Gewalt ausgeübt, aber psychische. Er hat alles kontrolliert. Die Frau hatte konstant Angst, einen Fehler zu machen. Sie arbeitete nicht, hatte kein eigenes Geld und war abhängig von ihrem Mann. Ich fand das schrecklich.
Ich hoffe, dass den betroffenen Frauen bewusst wird, dass sie nicht die Einzigen sind, die das erleben.
Als junge Sozialarbeiterin dachte ich, das kann doch nicht unsere Gesellschaft sein. Frauen, die schweigen müssen und zu Hause weggesperrt werden. Sie hat dann angefangen, Alkohol zu konsumieren und war nicht mehr die Frau, die ich einst kannte. Als Sozialarbeiterin habe ich versucht, den Frauen einen Weg aufzuzeigen, damit sie den Mut finden, etwa eine Anzeige zu machen. Das braucht viel Zeit und eine gute Begleitung.
Auf den Plakaten der aktuellen Kampagne steht etwa «Er weiss, wo du bist, immer.» Was soll die Kampagne bewirken?
Ich hoffe, dass den betroffenen Frauen bewusst wird, dass sie nicht die Einzigen sind, die das erleben. Hoffentlich schöpfen sie dadurch Vertrauen zu den Behörden, ihrem Arzt oder einer anderen Vertrauensperson und erkennen, dass sie Hilfe brauchen. Es gibt ein Auffangnetz, das ihnen hilft, eine Distanz in der Beziehung zu schaffen, wie etwa Frauenhäuser. Wir möchten den Frauen zeigen, dass sie nicht allein sind. Dass wir in einer Demokratie leben, in der Menschen geholfen wird.
Der Bund will sensibilisieren, aber die konkreten Massnahmen müssen die Kantone umsetzen. Was sind da ihre Erwartungen?
Der Dialog zwischen Bund und Kantonen ist schon sehr positiv. Es gibt auch Fortschritte, etwa die landesweite Notrufnummer für Opfer, die im nächsten Frühling aufgeschaltet wird.
Man kann nicht mehr einfach sagen, es ist das Problem der Frauen und es mit Eigenverantwortung abtun.
Aber es braucht noch mehr Sensibilisierung, etwa bei der Polizei, auch bei der Pflege und beim Schutz von Opfern gibt es noch Handlungsbedarf. Da müssen die Kantone mehr Geld investieren.
Nicht alle Kantone haben ein Frauenhaus. Und nicht alle Frauenhäuser erhalten einen Sockelbeitrag durch die öffentliche Hand. Wird zu wenig in die Opferhilfe investiert?
Es mag noch zu wenig Geld geben und zu langsam gehen. Aber weil das Thema nun breiter in der Gesellschaft diskutiert wird, sind auch Mehrheiten für solche Anliegen möglich. Man kann nicht mehr einfach sagen, es ist das Problem der Frauen und es mit Eigenverantwortung abtun. Wir brauchen jetzt konkrete Investitionen.
Die Statistik zeigt: Bei häuslicher Gewalt sind die Täter zu über 50 Prozent Ausländer. Wird zu oft tabuisiert, dass auch kulturelle Komponenten eine Rolle spielen, etwa in Ihrer Partei, der SP?
Absolut nicht. Problematische Machtbeziehungen sind in manchen Kulturen verbreiteter. Unsere Kampagne ist in neun Sprachen übersetzt, um die ganze Bevölkerung zu erreichen. Aber auch andere Faktoren spielen eine wichtige Rolle. Zum Beispiel Suchtproblematiken oder die Arbeit zu verlieren. Häusliche Gewalt ist nicht nur ein Migrationsproblem.
Das Gespräch führte Barbara Lüthi.