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Interview mit Politologe Hat die Schweiz ein Problem mit starken Politfiguren?

Karin Keller-Sutter, Alain Berset und Christoph Blocher – sie alle haben etwas gemeinsam: Sie galten als starke Figuren im Bundesrat, bis sie tief gefallen sind, stark kritisiert wurden und Letzterer sogar abgewählt wurde. Hat die Schweiz ein Problem mit Persönlichkeiten, die aus dem eidgenössischen Mittelmass herausragen? Das weiss Politologe Adrian Vatter. Er forscht an der Universität Bern zum Bundesrat.

Adrian Vatter

Professor für Politikwissenschaft, Universität Bern

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Adrian Vatter unterrichtet an der Universität Bern. Er ist seit August 2009 Direktor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern und Inhaber der Professur für Schweizer Politik.

SRF News: Gehört Misstrauen gegenüber starken Persönlichkeiten zu den Eigenschaften der Schweizer Politik?

Adrian Vatter: Ich würde es nicht so ausdrücken. Wir haben keine generelle Abneigung gegen führungsstarke Persönlichkeiten, sondern vor allem gegen stark polarisierende und machtorientierte Figuren. Das Persönlichkeitsprofil, das unser System am stärksten mag, ist möglichst gewissenhafte, verträgliche Bundesräte, die auch nicht übertrieben extrovertiert sind.

Unser System bevorzugt Persönlichkeiten, die nicht so weit weg vom Durchschnittsschweizer sind.

Sie schreiben, dass vor allem mittelmässige Politiker gute Chancen haben, in den Bundesrat gewählt zu werden. Warum ist das so?

Das ist richtig. Unser System bevorzugt Persönlichkeiten, die nicht so weit weg vom Durchschnittsschweizer oder von der Durchschnittsschweizerin sind. Das hat verschiedene Gründe. Ein wichtiger Grund ist die direkte Demokratie. Das heisst, ein Regierungsmitglied, das nahe beim Volk ist, kann auch die wichtigen Sachvorlagen der Bevölkerung besser erklären. Ein anderer Grund ist, dass wir eine Konkordanzregierung mit Kollegialorgan haben. Das heisst, es müssen Persönlichkeiten sein, die auch miteinander gut umgehen können. Insofern passt eine sehr polarisierende Figur nicht in unser System.

Frau am Rednerpult mit Mikrofonen vor Wandgemälde.
Legende: Karin Keller-Sutter erhielt viel Lob als Bundesrätin, bis das Telefonat mit Donald Trump zu den US-Zöllen kam. Danach hagelte es Kritik. Keystone/ Anthony Anex

Liegt ein gewisses Misstrauen auch in einem hierzulande verbreiteten Charakterzug begründet? Man will nicht auffallen, gibt sich diskret.

Ja, das ist vielleicht eine Karikatur, aber durchaus mit einem wahren Kern. Unsere politische Kultur baut auf Zurückhaltung, auf Sachlichkeit und Kompromissorientierung, auf. Die wesentlichen Wesensmerkmale von Schweizerinnen und Schweizern auch im internationalen Vergleich sind Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Arbeitsethos.

Bundesratsmitglieder sind keine grauen Mäuse, sondern sie zeichnen sich etwa durch überdurchschnittliche Leistungsbereitschaft aus.

Ist es eine Panne, wenn starke Figuren wie Karin Keller-Sutter, Alain Berset oder Christoph Blocher in den Bundesrat gewählt werden?

Nein, es ist keine Panne. Es kommt immer wieder vor. Bundesratsmitglieder sind keine grauen Mäuse, sondern sie zeichnen sich etwa durch überdurchschnittliche Leistungsbereitschaft aus. Die Abwahl oder nicht Wiederwahl von Christoph Blocher zeigt aber die Grenzen unseres Systems auf. Wenn solche Persönlichkeiten in den Bundesrat gewählt werden, sind sie mit dem System zum Teil nicht kompatibel.

Insofern zahlen wir durchaus einen Preis?

Ja. Der hängt aber vor allem mit der Konstruktion unseres Regierungssystems zusammen. Wir haben oft eine sehr begrenzte strategische Führung. Die Regierung ist wunderbar für Stabilität und Sicherheit. Sie kommt aber an ihre Grenzen, wenn es um starke kurzfristige Veränderungen und Umbrüche geht.

Im Prinzip wäre es wünschenswert, dass der Bundesrat in Krisen rascher und geschlossener handeln könnte.

Nehmen wir diesen Preis in Kauf oder müsste die Politik etwas ändern?

Im Prinzip wäre es wünschenswert, dass der Bundesrat in Krisen rascher und geschlossener handeln könnte. Dafür kriegt er je nachdem auch die Kompetenzen, wie während der Corona-Pandemie. Dies war jedoch eine ausserordentliche Ausnahmesituation. Man müsste sich überlegen, ob man die strategische Führung des Bundesrates nicht stärken möchte, beispielsweise mit einer Stärkung des Bundespräsidiums.

Das Gespräch führte Christof Forster.

Echo der Zeit, 29.12.2025, 18 Uhr ; 

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