Die Schweiz will mit einer nationalen Strategie gegen Rassismus und Antisemitismus Betroffene besser schützen. Die Soziologin Anja Nunyola Glover freut sich über den Entscheid des Bundesrats und erklärt, was wir gegen Rassismus tun können.
SRF News: Wo stossen Sie mit Ihrer Arbeit auf offene Ohren und wo vielleicht weniger?
Anja Glover: Das hat sich in den letzten paar Jahren ein bisschen verändert. Ich stosse viel öfter auf offene Ohren, vor allem, wenn es darum geht, institutionell zu arbeiten. Es hat sich einiges getan, auch bei ganz vielen Einzelpersonen. Das Interesse rund um Rassismus ist gewachsen – auch das Wissen darum, dass es eben ein Problem ist, das uns letzten Endes alle betrifft.
Wie reproduziert sich Rassismus?
Rassismus reproduziert sich auf ganz unterschiedliche Weise. Aber hauptsächlich ist Rassismus etwas, das historisch entstanden ist und das jetzt einfach so mitgetragen wird. Wenn es nicht aktiv verlernt wird, wenn wir nicht aktiv etwas dagegen tun, dann wird es auch weiterhin passieren.
Wenn man einmal begonnen hat, sich mit Rassismus auseinanderzusetzen, kann man nur schlecht darüber hinwegsehen.
Wie können wir denn Rassismus aktiv verlernen?
Der erste Schritt ist, zu verstehen, dass Rassismus omnipräsent ist und dass wir ihn alle weitertragen. Der zweite Schritt ist, über Rassismus zu lernen. Das heisst, zu lernen, was wir tun können, um Rassismus zu dekonstruieren.
Oftmals hat man das Gefühl, Rassismus sei etwas, das man einfach nicht tun sollte, und das ist ein Fehlgedanke. Rassismus ist eben etwas, das aktiv abtrainiert werden muss. Und das beginnt mit Wissen.
Was kann man als Einzelperson tun?
Ich würde sagen, mindestens einmal ein Buch zum Thema lesen. Das bewirkt schon enorm viel. Also sich wirklich mit dem Thema historisch auseinandersetzen, aber auch mit ganz alltäglichen Fragen. Dann auch Menschen zuhören, die Rassismus täglich und immer wieder erfahren, und probieren, nicht in eine Abwehrhaltung zu geraten. Weil das ist das, was häufig passiert – auch dazu gibt es viel Forschung.
Rassismus ist etwas, über das nicht gross gesprochen wird und das wirklich immer eher abgetan wird.
Und eben: Sich so viel wie möglich mit Rassismus auseinandersetzen. Das ist nicht einfach und auch nicht angenehm. Denn: Wenn man einmal begonnen hat, sich mit Rassismus auseinanderzusetzen, kann man nur schlecht darüber hinwegsehen.
Wie nehmen Sie Rassismus in der Schweiz wahr?
Rassismus ist etwas, über das nicht gross gesprochen wird und das wirklich immer eher abgetan wird. Es gibt auch den Begriff «Racelessness». Das heisst, dass eigentlich quasi so getan wird, als würde es nicht existieren oder als hätte die Schweiz eben auch keine koloniale Vergangenheit und damit auch keinen Bezug zu Rassismus. Das ist das Hauptproblem in der Schweiz.
Was wird bereits gegen Rassismus unternommen in der Schweiz?
Es wird eigentlich schon viel gemacht. Vielleicht nicht national, aber es gibt Beratungsstellen für Betroffene. Es gibt viele Organisationen, die grossartige Sensibilisierungsarbeit leisten. Es gibt vor allem auch Privatpersonen, die sich extrem stark gegen Rassismus engagieren. Es gibt Schulen, Verwaltungen oder Unternehmen, die an Diversity-Strategien oder sogar an Antirassismus-Strategien arbeiten. Und ich freue mich darüber, dass wir nun ganz neu eine nationale Strategie gegen Rassismus und Antisemitismus haben.
Das Gespräch führte Susanne Stöckl.