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Teuerung: Zahl der Working Poor in der Schweiz steigt
Aus Rendez-vous vom 03.08.2022. Bild: Keystone
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Inflation in der Schweiz Null Reserve, steigende Preise: Die Inflation trifft die Ärmsten

Sparen, wo es irgendwie geht: Wegen der Inflation geraten immer mehr Menschen in finanzielle Nöte.

Wir spüren es seit Monaten im Portemonnaie: Fast alles wird teurer. Das zeigt sich auch am Konsumentenindex. Im Vergleich zum Juli letzten Jahres sind die Preise um 3,4 Prozent gestiegen. Wenn die Preise für Lebensmittel oder Benzin steigen, müssen diese Menschen woanders sparen. Für sie ist das aber kaum mehr möglich. Die Teuerung bedroht sie in ihrer Existenz.

Neue Berechnungen der Berner Fachhochschule zeigen, dass mit der aktuellen Teuerung der Anteil der Menschen in der Bevölkerung, die trotz Einkommen als «arm» gelten, von 8.5 auf 9.3 Prozent steigt. Das heisst: Zusätzlich droht über 78'000 Menschen in der Schweiz die finanzielle Armut.

Gleicher Lohn, höhere Ausgaben

Betroffen ist zum Beispiel die Familie Park. Sie leidet unter den steigenden Preisen. Vor allem das teure Benzin falle ins Gewicht. «Ich bin gelernter Käser und muss zur Arbeit anrücken. Man merkt, dass das Benzin viel teurer geworden ist. Und ich kann nicht einfach weniger fahren, die Distanz bleibt immer gleich.» Auf das Auto könne er nicht verzichten. Ohne Auto keine Arbeit.

Zehntausende fallen neu in die Einkommensarmut

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Im Jahr 2020 – und das sind die neusten verfügbaren Zahlen – galten in der Schweiz 8.5 Prozent der Bevölkerung als einkommensarm. Sie verdienen zu wenig, um fürs Nötigste aufzukommen. Ein Paar mit zwei Kindern gilt als arm, wenn die Familie insgesamt weniger als 4000 Franken pro Monat zur Verfügung hat. Wenn die Preise steigen, ist mehr Geld nötig, um dasselbe einzukaufen.

Bei einer vierköpfigen Familie braucht es bei einer Inflation von 3.4 Prozent neu 4136 Franken, um dasselbe zu kaufen. Das heisst, dass auch eine Familie mit diesem leicht höheren Einkommen neu als arm gilt. Aufgrund der Inflation sind zusätzlich 78'000 Menschen von Einkommensarmut betroffen. Insgesamt sind in der Schweiz damit 800'000 Menschen von Armut betroffen.

Die aktuelle Situation bereitet ihm grosse Sorgen. Es sei unmöglich, noch mehr zu sparen. Auch wegen seiner Kinder. Mit netto rund 4000 Franken pro Monat liegt die Familie genau auf der statistischen Armutsgrenze. Mit den höheren Preisen steigen aber die Ausgaben und darum gilt die Familie statistisch gesehen nun als arm.

Gespart wird, wo es irgendwo noch geht. Man verzichtet etwa auf Arztbesuche, den Gang zum Zahnarzt.
Autor: Oliver Hümbelin Co-Autor der Studie der Berner Fachhochschule

Wie der Familie Park geht es vielen Familien in der Schweiz, wie eine neue Studie der Berner Fachhochschule zeigt: Sechs Prozent gelten als finanziell arm und haben damit Anspruch auf Sozialhilfe. 14 Prozent leben knapp oberhalb der Armutsgrenze und haben damit kein Anrecht auf Unterstützung. Bei Alleinerziehenden sind es noch mehr.

«Working Poor»: Armut trotz Arbeit

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Aktuell sind vor allem sogenannte «Working Poor» – also Erwerbstätige und ihre Familien, die trotz Arbeit über sehr wenig Geld verfügen – betroffen. Das zeigt sich auch vor dem Caritas-Laden in Bern.

Abdul Hassan Mohammed Munas und seine Frau mussten schon immer aufs Geld schauen, aber im Moment sei es besonders schwierig. Denn alles sei teurer geworden, erklärt Munas: «Das Familienleben kostet mehr: Das Benzin, Einkaufen in Geschäften – das halbe Kilo Brot kostete früher 90 Rappen, jetzt 1.20 Franken.»

Beide arbeiten in der Reinigungsbranche und brauchen ein Auto, um von einem Arbeitsort zum nächsten zu fahren. Und Benzin ist teuer.

Zusammen verdienen sie rund 4200 Franken. Damit gelten die beiden nicht als arm, aber das Budget ist trotzdem eng. Nachdem Miete und Krankenkassen bezahlt sind, bleiben den beiden noch 2000 Franken. Da fallen höhere Energie- und Lebensmittelpreise ins Gewicht.

«Es ist derzeit schwierig, zu leben», klagt Munas. «Der Lohn ist gleich geblieben, aber alles wird teurer.» Er könne und müsse irgendwie leben, aber es sei knapp. In seinem Herkunftsland Sri Lanka sei er schon seit fünf Jahren nicht mehr gewesen. Finanzielle Reserven habe er keine.

Höhere Preise treffen vor allem Haushalte mit kleinem Budget. Weil sie ohnehin knapp kalkulieren, sind für sie die höheren Preise kaum zu verkraften. «Das bedeutet, dass das knappe Geld, das man hat, für noch weniger reicht», sagt Oliver Hümbelin, Co-Autor der Studie.

Frau mit Kind beim Einkauf, Symbolbild
Legende: Sparen an allen Ecken und Enden – und oft auch bei der eigenen Gesundheit. Die steigenden Preise sind vor allem für Haushalte mit knappem Budget schwer zu verkraften. Keystone/Christof Schürpf

Der Professor für Soziale Arbeit beobachtet, dass die Inflation bei Menschen mit knappen Budgets den Druck im Alltag vergrössert: Essen, Wohnen, Krankenkassenprämien – all das müsse man zahlen, sagt Hümbelin.

Jeder Tag eine neue Herausforderung

«Gespart wird, wo es irgendwo noch geht. Man verzichtet etwa auf Arztbesuche, den Gang zum Zahnarzt», so der Forscher. Verzichtet werde auch auf einen Kaffee oder private Treffen, also das bisschen Erholung, das einem noch bleibt. «Mittelfristig birgt all dies auch die Gefahr, dass die Gesundheit darunter leidet.»

Unerwartete Ausgaben liegen nicht drin. Das erklärt auch der Familienvater. «Ich habe Null Reserven. Ich muss immer auf den Tag warten, an dem der Lohn kommt und das Geld dann auf den ganzen Monat verteilen.» Für diese Menschen ist die Inflation in der Schweiz bereits jetzt eine echte Herausforderung.

Rendez-vous, 03.08.2022, 12:30 Uhr

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