Vier Bewohnerinnen und Bewohner der kleinen Insel Pari in Indonesien gewinnen vor dem Zuger Kantonsgericht gegen den grossen Zementkonzern Holcim. Zum ersten Mal überhaupt lässt ein Schweizer Gericht eine Klimaklage gegen einen Konzern zu. Die konkrete Schuld von Holcim ist damit noch nicht bewiesen. Holcim hat bereits angekündigt, Berufung einzulegen. Trotzdem wird das Urteil Folgen haben und weitherum Beachtung finden.
An den Hauptverhandlungen im September versuchten die Verteidiger von Holcim gar nicht erst, die Mitschuld des Konzerns am Klimawandel abzustreiten. Holcim gehört zu den 180 sogenannten Carbon Majors, zu denjenigen Unternehmen also, die rund die Hälfte aller menschengemachten CO₂-Emissionen verantworten. Allein Holcim hat historisch rund doppelt so viel CO₂ ausgestossen wie die ganze Schweiz in der gleichen Zeit.
Gericht weist Argumente von Holcim zurück
Trotzdem verlangten die Anwälte von Holcim, die Klage sei für ungültig zu erklären, weil Gerichte der falsche Ort seien, um den Kampf gegen den Klimawandel voranzutreiben. Die Politik müsse festlegen, wer wie viel CO₂ ausstossen dürfe, ansonsten würde das Prinzip der Gewaltenteilung verletzt. Des Weiteren seien die klagenden Inselbewohnerinnen und -bewohner aus Indonesien Teil einer Kampagne von Nichtregierungsorganisationen. Sowohl die Klägerschaft als auch das beklagte Unternehmen seien willkürlich ausgewählt worden. Das Gericht dürfe diesem Aktivismus nicht stattgeben, betonte die Verteidigung wortreich, sonst könnte bald jeder gegen jeden klagen, da wir alle Klimaschäden verursachten.
Das Gericht geht auf diese Argumente explizit ein und weist sie zurück. Es handle sich hier sehr wohl um einen zivilrechtlichen Fall, da die Inselbewohnerinnen und -bewohner von den Emissionen von Holcim in ihren Persönlichkeitsrechten beeinträchtigt werden könnten. Gerichtsentscheide würden im übrigen politische Entscheide nicht ersetzen, sondern sie ergänzen. Entsprechend werde das Prinzip der Gewaltenteilung auch nicht unterwandert. Das Gericht weist also den impliziten Vorwurf des Klima-Aktivismus entschieden zurück, was umso überzeugender wirkt, da sich das dreiköpfige Gremium aus zwei Vertreterinnen der SVP und einem der FDP zusammensetzt.
Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig, die Klage gegen Holcim nicht zugelassen. Es ist davon auszugehen, dass Holcim alle Möglichkeiten ausschöpft, um die Zulassung der Klage zu verhindern. Zu viel steht auf dem Spiel: Der Konzern würde womöglich mit unzähligen weiteren Klagen konfrontiert, sein Geschäft verteuert.
Klimawandel wird zur Sache der Gerichte
Von alledem hat sich das Zuger Kantonsgericht nicht beeinflussen lassen und ein Urteil verfasst, das über die Landesgrenzen hinaus Beachtung finden wird. Das Gericht bezieht sich ausführlich auf unterschiedliche Fälle in anderen Ländern und verweist auf Erkenntnisse des Weltklimarats. Entsprechend werden die Auslegungen dieses Gerichts wohl auch anderen für ihre Beweisführung dienen.
Abzuwarten bleibt, wie Politik und Wirtschaft auf das Urteil reagieren. Während die Klägerinnen und Kläger jubeln, haben grosse CO₂-Emittenten wie Holcim zwei Möglichkeiten, um künftige Klimaklagen zu verhindern: Entweder sie reduzieren ihre CO₂-Emissionen deutlich stärker als bisher, oder sie versuchen Druck zu machen auf die Regierungen, die Parlamente und in vielen Ländern möglicherweise auch auf die Gerichte direkt. Klar ist: Der Klimawandel ist definitiv zur Sache der Gerichte geworden – auch in der Schweiz.