In der Schweiz verschwinden täglich zwei bis drei Landwirtschaftsbetriebe. Dennoch entscheiden sich viele junge Menschen bewusst dafür, den Hof ihrer Eltern zu übernehmen oder selbst einen Betrieb zu starten.
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Bild 1 von 4. Umstellung des Betriebs nach der Übernahme: Die Häfligers aus Romoos/LU wollen künftig aufs Metzgen von Tieren verzichten. Bildquelle: SRF.
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Bild 2 von 4. Mario Hehlen macht derzeit die Ausbildung zum Landwirt. Bildquelle: SRF.
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Bild 3 von 4. Sophie und Reto Bührer sind seit kurzem Betriebsleiter des eigenen Hofes. Bildquelle: SRF.
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Bild 4 von 4. René Ritter hat den Hof der Eltern bereits als Betriebsgemeinschaft übernommen und führt diesen so weiter. Bildquelle: SRF.
«Seit ich denken kann, möchte ich Landwirt werden. Ich liebe die Arbeit mit den Tieren und die Weite der Natur», sagt der Zweitjahr-Lernende Mario Hehlen (18) aus dem Kandertal. Seine Familie hat einen Bergbauern-Betrieb, den er dereinst übernehmen wird. «Entscheidungen treffen zu können und am Ende zu sehen, was man geschaffen hat, das befriedigt mich», meint er.
Viel körperliche Arbeit am Stück, kaum Freizeit – für Mario gehört das zum Alltag. «Es ist viel Verantwortung, aber es ist meine Leidenschaft. Ohne sie würde ich diesen Beruf nie wählen.»
Sophie Bührer (25) übernahm vor drei Jahren den Hof ihres Vaters in Bibern, Kanton Schaffhausen. 50 Milchkühe, 18’000 Hühner, Ackerbau, Hofkäserei und Hofladen – die Verantwortung ist enorm. Rückschläge prägen seit Beginn der Hofübernahme ihren Alltag: Ein Drittel ihrer Kühe stirbt an der Blauzungenkrankheit und es klafft ein finanzielles Loch von über 100'000 Franken.
Lernen, mit Rückschlägen zu leben
Sie habe sich ein paar Mal überlegt, mit den Kühen aufzuhören, sagt die frisch verheiratete Junglandwirtin. Gemeinsam mit ihrem Partner erlitt sie zudem auch privat einen schweren Schicksalsschlag: Kurz vor der Geburt starb ihr erstes Kind. «Es war ein Jahr voller Rückschläge. Trotzdem liebe ich, was ich tue», sagt Sophie Bührer.
«Es war schrecklich und sehr viel aufs Mal. Doch ich habe auch viel daraus mitgenommen», sagt Sophie Bührer. Sie entschied sich, weiterzumachen: Im Frühling 2025 kam Sohn Jonah zur Welt und mit dem Zukauf von Milchkühen will sie ihre Herde wieder aufbauen. Bereits im Wochenbett ging sie wieder in den Stall, prüfte Kühlanlagen und kümmerte sich um die Tiere. «Ich kann nicht still sitzen», meint die Jungbäuerin.
Für viele Jungbauern ist die Kombination aus harter Arbeit und spürbarer Wirkung entscheidend. Wer auf einem Hof aufwächst, kennt den Rhythmus der Natur und das Leben draussen. Ein frisch gesätes Feld, ein gesund geborenes Kalb oder Direktvermarktung der eigenen Produkte – solch sichtbare Ergebnisse sind für viele ein zentraler Motivationsfaktor. Der Beruf fordert körperlich und mental, aber er hinterlässt auch direkte Spuren.
Innovation als Überlebensstrategie
Die Herausforderungen sind gross: niedrige Einkommen, hohe Investitionen, unsichere Märkte und strenge Auflagen. Umso wichtiger ist Innovation. René Ritter (43) aus dem Baselbiet experimentiert mit Linsen und Kichererbsen, um seinen Hof klimafreundlicher zu gestalten. Schädlinge, Wetterkapriolen und finanzielle Rückschläge gehören zum Alltag.
Innovation ist nicht nur notwendig, um wirtschaftlich zu überleben.
Parallel teilt er den Hofalltag auf Social Media, erreicht 25’000 Follower und zeigt, wie moderne Landwirtschaft funktioniert. «Innovation ist nicht nur notwendig, um wirtschaftlich zu überleben, sondern auch, um Menschen für Landwirtschaft zu begeistern», sagt er.
Digitale Hilfsmittel erleichtern den Alltag vieler Jungbauern: Melkroboter, Herdenmanager, Wetter- und Bodenmessungen oder digitale Buchhaltungssysteme gehören mittlerweile dazu. Sie ersetzen nicht das Gespür für Tiere und Pflanzen, schaffen aber Freiräume und erhöhen die Effizienz. Viele Betriebsleitende verbinden so Tradition mit modernen Methoden, um wirtschaftlich überleben und zugleich neue Ideen umsetzen zu können.
Neue Wege auf kleinen Bergbauernhöfen
Nicht alle jungen Landwirtinnen und Landwirte setzen auf klassische Tierhaltung. Michèle (38) und Daniel Häfliger (39) aus Romoos, im Kanton Luzern haben entschieden, keine Tiere mehr zu schlachten. Unterstützung erhalten sie vom Verein «Hof Narr», welcher sich auf die Umstellung zu sogenannten Lebenshöfen spezialisiert hat.
Landwirtschaft kann Werte, Nachhaltigkeit und neue Lebensentwürfe verbinden.
Auf 1200 Meter über Meer, ohne Traktor und mit viel Handarbeit, planen Häfligers neue Betriebszweige: Pilze, ein Café und andere Angebote sollen ihren Hof zukunftsfähig machen. «Wir möchten zeigen, dass Landwirtschaft Werte, Nachhaltigkeit und neue Lebensentwürfe verbinden kann», sagt Michèle Häfliger.
Die Idee, Landwirtschaft anders zu gestalten, ist für viele junge Menschen attraktiv. Diversifizierung wird immer wichtiger: Direktvermarktung, Agrotourismus, neue Kulturen oder Begegnungsorte wie Lebenshöfe verbinden ökonomische Ziele mit gesellschaftlicher Relevanz. Social Media eröffnet Möglichkeiten, Kunden zu erreichen, Transparenz zu schaffen und Produkte direkt zu verkaufen. Gleichzeitig tragen solche Initiativen dazu bei, das Bild der Landwirtschaft in der Öffentlichkeit zu verändern.
Die Gründe, warum junge Menschen Höfe übernehmen, ähneln sich: Tiefe Verbundenheit mit Tieren und Natur, ein Gefühl von Sinn und die Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen. Ein Hof ist selten nur ein Unternehmen. Er ist Lebenswerk, Familiengeschichte und Zukunftsaufgabe zugleich. Viele junge Betriebsleitende sehen in der Hofübernahme eine Chance, das bereits Bestehende weiterzuentwickeln und gleichzeitig eigene Ideen umzusetzen.
Landwirtschaft als Beruf und Berufung
Der Einstieg in die Landwirtschaft bleibt anspruchsvoll. Hohe finanzielle Hürden, steigender administrativer Aufwand und klimabedingte Risiken gehören zur Realität. Doch genau darin sehen viele junge Menschen eine Aufgabe: Lösungen finden, wo andere vor Grenzen stehen. Sie wollen zeigen, dass Landwirtschaft modern, nachhaltig und zukunftsfähig sein kann, als lebendiger Teil dieser Gesellschaft.
Im Sommer 2025 schloss der 18-jährige Mario Hehlen sein zweites Lehrjahr auf dem Bergbauernbetrieb im Berner Oberland ab. In einem Jahr wird er ausgebildeter Landwirt sein. «Ich freue mich sehr, den Hof daheim zu übernehmen. Dann weisst du, für wen du ‹chrampfen› tust». Noch-Lehrling Hehlen meint: Ein anderes Leben, als das in den Bergen und auf dem Land, könne er sich nicht vorstellen. «Leben in der Stadt dünkt mich komisch.»