Es ist ein ungewöhnlicher Moment, um so gross anzurichten, wie es der Bundesrat tat. Mit zehn Kaderleuten aus den verschiedensten Bereichen ist Aussenminister Ignazio Cassis heute Freitag vor die Medien getreten, um zu verkünden, wie die Stellungnahmen zum neuen Vertragspaket zwischen der Schweiz und der EU ausgefallen sind. Und wie er darauf zu reagieren gedenkt. Ein so grosser Auftritt zu diesem Zeitpunkt ist selten, eher würde man ihn bei der Präsentation der Botschaft erwarten, wenn die letzten Details stehen. Doch Cassis machte klar: Dem Bundesrat sei Transparenz in diesem heiklen Dossier besonders wichtig.
Es ist eine Charmeoffensive: Alle sollen sich gesehen und gehört fühlen. Das Parlament, die Kantone und regionale Interessenverbände sollen besser einbezogen werden, die Sorgen der Bevölkerung detaillierter erfasst. So sollen neu bei der Frage, ob der Bundesrat mittels einer Schutzklausel bei der Zuwanderung die Notbremse ziehen soll, auch Staustunden, Anzahl freie Wohnungen und Lohnentwicklung eine Rolle spielen.
Die auffälligste Avance ging aber Richtung Bergkantone. Der Bundesrat versucht, ihren Ängsten entgegenzutreten, die EU werde bei der Wasserkraft hineinreden – zum Beispiel bei der Frage, wer die Werke betreiben darf, mit welchen Wasserzinsen. Da geht es um sehr viel Geld. Der Bundesrat liess sich von der EU nochmals versichern, dass solche Fragen auch in ihrem Verständnis nicht erfasst sind vom geplanten Stromabkommen. Und gab dann noch einen drauf: Er kündigte an, falls die EU eines Tages dann da doch noch mitreden wolle, würde er sich wehren, auch wenn das Ausgleichsmassnahmen nach sich zöge.
Streitpunkt dynamische Rechtsübernahme
Charme gegen innen – Muskelspiel gegen aussen: Darauf setzte der Bundesrat bisher nur bei der Zuwanderung, als er beteuerte, er würde die Schutzklausel auch gegen den Willen der EU einsetzen. Seine ärgsten Kritiker, vor allem aus der SVP, kann der Bundesrat so sowieso nicht überzeugen. Was sie am meisten stört – die dynamische Rechtsübernahme und die vorgesehene Streitschlichtung – ist mit der EU fertig verhandelt und kann nicht mehr verändert werden.
Die Korrekturen an der innenpolitischen Umsetzung sind darum vor allem eine Charmeoffensive gegenüber Unentschlossenen. Aus diesem Lager sind aber zurzeit noch keine lauten Jubelschreie zu hören. Die Mitte zum Beispiel, die sich im Gegensatz zu den Befürworterinnen SP und FDP noch nicht festgelegt hat, bleibt trotz des Grosseinsatzes des Bundesrates zurückhaltend und will es noch detaillierter wissen.
Will der Bundesrat eine Mehrheit fürs neue Vertragspaket gewinnen, bleibt noch viel zu tun.