Die Pharmaindustrie steht vor grossen Herausforderungen. Es geht um Preisdruck und Standortwettbewerb. Der Wettbewerb sei schon lange Realität, sagt Julian März. Er ist Arzt, Jurist und Bioethiker an der Universität Zürich. Ethisch problematisch werde es, wenn dieser die Patientensicherheit oder den Zugang zu Medikamenten gefährde.
SRF News: Die Pharmaindustrie steht seit Präsident Trump unter Druck. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Julian März: Ich sehe drei zentrale Aspekte, die es zu beleuchten gilt: Erstens, der massiv zunehmende Standortwettbewerb zwischen Ländern um pharmazeutische Industrie, Forschung und Produktion. Zweitens die komplexe Kostenfrage. Wie verteilen sich Forschungs- und Entwicklungskosten, und welche Preise sind für neuartige Arzneimittel gerechtfertigt?
Standortwettbewerb ist seit langem Realität. Doch unter Trump hat er eine neue Intensität erreicht.
Drittens die problematische Gesundheitspolitik in den USA, die unter Donald Trump zu massiven Einschnitten geführt hat. Wir sprechen hier von Millionen Menschen, die ihre Krankenversicherung verlieren, und laut Schätzungen von bis zu 14 Millionen Todesfällen weltweit bis 2030 aufgrund von Kürzungen in der Entwicklungszusammenarbeit.
Wo verläuft die Linie zwischen legitimem Standortwettbewerb und Solidarität im Gesundheitswesen?
Standortwettbewerb ist seit langem Realität, da die Pharmaindustrie viele Arbeitsplätze und hohe Steuereinnahmen generiert. Doch unter Trump hat dies eine neue Intensität erreicht.
Solidarität und ethisches Handeln sind nicht nur Komponenten des Wohlstands, sondern auch dessen Bedingung.
Ethisch problematisch wird es, wenn dieser Wettbewerb zulasten der Patientensicherheit oder des Zugangs zu Medikamenten geht. Wenn Standards so weit herabgesetzt werden, dass Patienten gefährdet sind, oder wenn der Zugang zu innovativen Arzneimitteln für grosse Bevölkerungsgruppen erschwert wird, ist das unethisch. Auch, wenn der Standortwettbewerb globale Ungleichheiten in der Gesundheitsversorgung verstärkt, ist das ethisch problematisch.
Haben Sie eine Patentlösung für die komplexen Herausforderungen?
Nein, aber man muss auch sehen, dass steigende Gesundheitsausgaben nicht nur ein Problem sind, sondern auch positive Entwicklungen widerspiegeln: steigende Lebenserwartung, besserer Zugang zu medizinischer Versorgung und immer effektivere Therapiemöglichkeiten. Krankheiten, die vor zehn Jahren noch ein Todesurteil waren, können heute behandelt werden. Die Herausforderung ist, diese positiven Trends in einem gesellschaftlich vertretbaren Rahmen zu ermöglichen.
In der Schweiz scheint sich die Diskussion um höhere Medikamentenpreise oft auf einen Gegensatz von Moral und Wohlstand zu reduzieren.
Ich sehe das nicht als Gegensatz. Langfristig fliessen Moral und Wohlstand zusammen. Wohlstand ohne Moral ist langfristig nicht tragfähig. Die Länder mit hohem Wohlstand, niedriger Kriminalität und hoher Lebensqualität sind jene mit solidaritätsfinanzierten Systemen, starken Sozialstaaten und gut funktionierenden Bildungssystemen – wie die Schweiz, die nordischen Länder oder Australien. Solidarität und ethisches Handeln sind nicht nur Komponenten des Wohlstands, sondern auch dessen Bedingung.
Das Gespräch führte Lucia Theiler.