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CINEMAsuisse - Special Filmen statt Schreien: Andrea Staka über den Anfang als Filmerin

Die Beschäftigung mit Identität und Herkunft auf dem Hintergrund verschiedener Kulturen ist ein wichtiges Thema von Andrea Štaka. Die Schweizer Filmemacherin wurde mit «Das Fräulein» bekannt – im Interview spricht sie über ihr Langfilmdebüt «Yugodivas».

Nach ihrem Master of Fine Arts an der Hochschule für Künste Zürich, den sie mit dem Abschlussfilm «Hotel Belgrad» absolvierte, ging Andrea Štaka nach New York. Die Filmemacherin wählte die Stadt, weil der Melting Pot von ganz verschiedenen Menschen und Kulturen sie interessierte. «New York ist eine Stadt, wo viele heimatlos sind und trotzdem ihre Heimat finden. Zudem bin ich selber von verschiedenen Kulturen geprägt.» In New York entstand schliesslich ihr erster langer Dokumentarfilm «Yugodivas», der international sehr gute Kritiken erhielt.

Der Film «Yugodivas»

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Legende: zvg

Andrea Štaka porträtiert fünf junge Serbinnen, die in den 90er-Jahren Jugoslawien verlassen haben, um in New York einen Neuanfang zu wagen. Der Film gibt Einblicke in ihre Alltagsleben als Künstlerinnen. Schwer tun sie sich mit den Gedanken über ihre Kindheit und Heimat, was am Ende in einer bewegenden Szene auch die Regisseurin herausfordert.

Andrea Štaka, was hat Sie zu ihrem Film «Yugodivas» motiviert?

Ich wollte einen Film machen, der Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien anders darstellt, als man das damals in den Nachrichten täglich zu hören bekam. Ähnlich wie ich das bereits im Kurzfilm «Hotel Belgrad» tat. Also nicht nur Männer, Kalaschnikows, Krieg. Zudem erzähle ich als Filmemacherin gerne über Frauen. Beides habe ich in «Yugodivas» realisieren können. Es ist ein Film über fünf spannende Frauen, die kurz vor dem Zusammenbruch des ehemaligen Jugoslawien alleine nach New York gezogen sind und einen Neuanfang wagten.

Wie wählten Sie die Frauen aus?

Zuerst lernte ich über eine Freundin die Schauspielerin Mirjana Jokovic kennen. Sie war die Hauptdarstellerin in Kusturicas Film «Underground». In New York musste sie neu anfangen, weil man als Schauspielerin meist nur eine Muttersprache hat. So konnte sie nicht mehr von ihrer Bekanntheit in Europa profitieren. Ich suchte dann weitere Künstlerinnen, die in New York tätig waren. Ich entschied mich bewusst für Protagonistinnen mit einer urbanen Herkunft, die alle aus Belgrad stammten.

Es sind unabhängige und starke Frauen, die alle auch Künstlerinnen sind. Wieweit haben Sie den Film mit beeinflusst?

Filmisch hatte ich ein klares Konzept: es sollte die Kunst der Frauen sinnlich und präzise visualisieren. Ich filmte die Protagonistinnen über ihre Arbeit an der Kunst. Dazu machte ich Interviews. Hier haben mir die Frauen mit ihrem Widerstand gegen Fragen zur Kindheit, zu intimen Gefühlen, aber auch zum Krieg und ihrer alten Heimat einen Strich durch die Rechnung gezogen. In der eigenen Seele herumzuwühlen, haben die meisten Leute nicht so gerne. Aber nachher waren sie alle froh, darüber gesprochen und reflektiert zu haben.

Empfinden sie als Filmemacherin einen grossen Unterschied zwischen einem Dokumentarfilm und einem Spielfilm?

Nein. Auch im Dokumentarfilm inszeniert man. In einem Dokumentarfilm kannst du organischer arbeiten – auch spontaner, weil die Crew kleiner ist, die «Akteure» Laien sind und oft einfach ihr Ding machen, während du in einem Spielfilm alles im Voraus genau kreieren musst. Ich möchte weiterhin gerne in beiden Genres arbeiten.

Was denken Sie heute über ihren Erstlingsfilm? Ist er Ihnen noch nah?

Alle meine Filme sind ein Teil von mir. Aber wenn sie mal fertig sind, dann lasse ich auch los. Sie widerspiegeln einen Lebensabschnitt. Sie erinnern mich an die Protagonistinnen, die gemeinsam entwickelten Ideen und an die eigene Vision, die ich hatte. Deswegen sind mir alle Filme, die ich gemacht habe, nahe. Sie sind wie Kinder.

Zur Person

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Andrea Štaka (*1973) ist in der Schweiz geboren, ihr Vater ist aus Dubrovnik, die Mutter aus Sarajevo. Nach dem Abschluss in Zürich lebte und arbeitete sie in New York. Ihr erster Spielfilm «Das Fräulein» (2006) wurde vielfach ausgezeichnet. Mit ihrem Partner Thomas Imbach gründete sie die Firma Okofilm Productions in Zürich.

Würden Sie in «Yugodivas» heute etwas anders machen? Denken Sie manchmal, dieses und jenes hätten Sie vermeiden oder auch noch reinnehmen sollen?

Während der Produktionsphase ist es ein Prozess des Suchens, Ausprobierens und immer wieder Zweifelns. Aber wenn der Film fertig ist, würde ich ihn nicht mehr anders machen. Ich kann ihn nicht aus der Distanz anschauen wie ein Produkt, das man hier oder dort noch hätte verbessern können. Er ist wie abgeschlossen und steht für eine bestimmte Phase meines Lebens.

Das Thema «Jugoslawien» hat Sie auch in den weiteren Filmen beschäftigt. Wie kommt das?

Es hat sicher damit zu tun, dass meine emotionale Welt stark von der Kindheit mit meinen Eltern und der Grossmutter geprägt worden ist, deren Herkunft Sarajevo und Dubrovnik sind. Meine erste Sprache war serbo-kroatisch, das Essen war dalmatinisch und «österreich-ungarisch». Die zwischenmenschlichen Kontakte und die ganze emotionale Welt hat mit dieser Gegend Europas zu tun.

War auch der Krieg ein Auslöser?

Sicher. Wenn ich Filme mache, schöpfe ich meist aus meiner eigenen Erfahrung. Denn das kann ich erzählen, etwas das ich selbst gefühlt, um das ich gebangt, mich gefreut oder geweint habe. Der Krieg in Jugoslawien war insofern ein Auslöser, darüber zu erzählen, weil Krieg extrem ist. Am meisten für die, die ihn an der eigenen Haut erleben, aber auch für die, die aus der Ferne mitsehen und hören müssen, wie ihre Familie und Freunde in Gefahr schweben. Das stellt Fragen, man spürt Ohnmacht, Wut, Trauer. Ich hatte den Drang all das kreativ umzusetzen, also statt laut zu schreien, Filme zu machen.

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