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CINEMAsuisse - Special «Nicht zynisch werden»: Christian Frei über den Anfang als Filmer

Wenn Christian Frei von einem Thema gepackt wird, bleibt er dran, bis daraus ein ausserordentlicher Film geworden ist. Mit «Die Stellvertreterin» (1981) machte Frei das Spannungsfeld Schule zum Thema. Seitdem ist er zu einem international bekannten Dokumentarfilmer geworden.

Christian Frei (*1959) wurde früh vom Filmvirus angesteckt. Schon während seiner Ausbildung zum Primarlehrer besuchte er Filmkurse bei Stefan Portmann (1933–2003), einer Galionsfigur des Schweizer Films und Gründer der Solothurner Filmtage. «Portmann war eine 68er-Persönlichkeit. Ich habe sehr viel von ihm profitiert, musste mich aber auch wieder von ihm lösen», sagt Christian Frei.

Christian Frei, Sie haben ihren ersten Film «Die Stellvertreterin» 1981 gedreht. Können Sie sich überhaupt noch daran erinnern?

Es sind 32 Jahre her, aber ich erinnere mich gut daran. Schon vor diesem Film war ich im Rahmen der Filmgruppe Lehrerseminar an drei Filmen beteiligt. Einer davon beleuchtete das Leben im Kapuzinerkloster Solothurn. Er hatte eine gute Resonanz und wurde im Fernsehen ausgestrahlt. «Die Stellvertreterin» war dann mein erstes eigenes Projekt.

Film «Die Stellvertreterin»

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Der Film stellt einen konservativen Lehrer mit seinen autoritären Unterrichtsmethoden einer jungen Stellvertreterin gegenüber, die eine andere Haltung in die Klasse bringt. Es ist auch ein Dokument einer Zeit, als der traditionelle Schulalltag mit neuen pädagogischen Positionen konfrontiert wurde.

Was war der Anlass, sich mit dem Lehrersein in einer kleinen Solothurner Gemeinde zu beschäftigen?

Ich habe den Film unmittelbar nach meinem Lehrerdiplom gemacht. Das Spannungsfeld Schule war mir vertraut. Ich erlebte die hitzigen Diskussionen, die das Schulsystem hinterfragten. Diese unterschiedlichen Haltungen wollte ich thematisieren.

Wie stehen Sie heute zu diesem Debüt?

Ich bin recht stolz darauf, dass ich als gut 20-Jähriger diesen Videofilm gemacht habe. Er scheint mir nicht schlecht gealtert zu sein. «Die Stellvertreterin» ist eine Art Studie, die mit einem sehr kleinen Budget realisiert wurde. Der Film ist damals wohlwollend aufgenommen worden und wurde sehr beachtet.

Es fällt auf, wie natürlich und normal die Protagonisten im Film wirken.

Wir hatten einen Dolly zur Verfügung, mit dem wir die Kamera quasi lautlos im Schulzimmer bewegen konnten. Das hat uns ermöglicht, ganz nah an die Protagonisten heranzukommen. Die Schüler haben sich sehr schnell an uns und das Filmen gewöhnt. So haben wir eine grosse Natürlichkeit erreicht.

Würden Sie diesen Film mit der inzwischen gewonnenen Erfahrung heute anders angehen?

Ich habe «Die Stellvertreterin» sorgfältig und recht aufwendig geplant. Technisch ist uns die Umsetzung gut gelungen. Trotzdem denke ich, dass der Film vielleicht ein bisschen zu parteiisch geworden ist.

Wie meinen Sie das?

Aus heutiger Sicht würde ich eine bessere Balance versuchen. Der traditionelle Lehrer kommt etwas unfair weg. Natürlich war ich mit dieser «schwarzen Pädagogik», wie wir damals das autoritäre System nannten, nicht einverstanden und wollte eine neue Haltung aufzeigen. Es war die Zeit, in der man etwas pamphletmässig gedreht hat.

Ich habe den Film sorgfältig und aufwendig geplant. Trotzdem denke ich, dass der Film vielleicht ein bisschen zu parteiisch geworden ist.

Wie gehen Sie heute mit den Personen in ihren Filmen um?

Ich werte die Personen nicht, auch wenn mir ihre Meinungen nicht gefallen. Ich gehe mit vorsichtiger Empathie an eine Person heran. Ich finde es langweilig, wenn man eine Haltung, die man nicht teilt, sofort spürbar denunziert. Der Film selber soll die Positionen deutlich machen.

Zur Person

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Legende: Christian Frei

Mit «War Photographer» schaffte Christian Frei 2001 den Sprung in die Weltliga der Dokumentarfilmer – der Film war für einen Oskar nominiert. Auch die folgenden Filme stiessen auf grosse Beachtung und gewannen Preise. Sein neuster Film über Liebe und Liebeskummer «Lovelorn in New York» kommt 2014.

Sie haben drei Jahre nach «Die Stellvertreterin» einen radikalen Schnitt gemacht und während gut zehn Jahren Auftragsfilme für die Industrie produziert. Wie werten Sie diese Zeit ausserhalb der künstlerischen Filmszene?

Es war ein nötiger Schritt, mit dem ich mich nicht zuletzt von meinem Übervater Stefan Portmann gelöst habe. Ich wollte meine eigenen Perspektiven entwickeln, und dafür brauchte ich Abstand. Es war eine extrem wichtige Zeit. Ich habe gegen hundert Filme realisiert und technisch und handwerklich enorm viel ausprobieren und profitieren können.

Trotzdem gingen Sie in die Szene zurück.

Es ging mir materiell gut, aber ich wollte nicht «vom Slogan leben – und vom Buch träumen», wie Hugo Lötscher das Dilemma der gutverdienenden Werber mal treffend formuliert hat. Ich wollte in dieser Welt nicht zynisch werden. Ich wollte Dokumentarfilme drehen, die eine künstlerische Sicht auf die Realität haben. Hemingway hat mal etwas Treffendes über den Unterscheid zwischen Journalismus und Literatur geschrieben: Der Künstler müsse seinen Gegenstand so wahrhaftig einfangen und überhöhen, dass damit etwas bestehen bleibt. Das ist auch der Anspruch in meinen Filmen.

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