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Übergewichtige Jugendliche eines Diätcamps hängen an einer Reckstange, davor der betreuende Arzt.
Legende: Mild nur im Vergleich mit den ersten beiden Teilen der Trilogie: Seidls Blick auf ein Diät-Camp für Jugendliche. Praesens Film

Film & Serien «Paradies: Hoffnung» – ein unerwartet gnadenvoller Seidl

Nach dem Sextourismus in «Paradies: Liebe» und den religiösen Exzessen in «Paradies: Glaube» geht es nun an den Speck: Schauplatz von Ulrich Seidls «Paradies: Hoffnung» ist ein Diät-Camp. Überrraschend dabei: Seidls letzter Teil seiner Trilogie geht weniger an die Schmerzgrenzen des Publikums.

«Paradies: Liebe» erfüllte die Erwartungen an Seidls gnadenlosen Blick. Und «Paradies: Glaube» löste die zu erwartenden Proteste aus religiösen Kreisen aus. Aber mit der Geschichte der übergewichtigen 13-Jährigen, die er im dritten Teil erzählt, wäre Seidl in Teufels Küche geraten, hätte er sie mit der gleichen ungefilterten Direktheit gefilmt – schliesslich geht es auch hier wieder potentiell um Sex. Zwischen einem abgehalfterten Arzt und einer Minderjährigen.

Seidl für einmal ungewohnt gnädig

Dabei möchte man Seidl nicht unterstellen, er habe sich davor gefürchtet. Viel wahrscheinlicher geht die (relative) Milde des Blicks einerseits auf das Konzept und den Titel zurück, andererseits auf das ursprüngliche Konzept. Schliesslich war «Paradies» einst als ein einziger episodischer Frauenfilm geplant. Und darin wäre die (einmal mehr: relative) Zurückhaltung nicht weiter aufgefallen.

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Die Geschichte der Sextouristin in «Paradies: Liebe» schockierte am Filmfestival in Cannes im Mai 2012 mit ihrer dokumentarischen Direktheit. Jene der Jesusliebenden in «Paradies: Glaube» löste mit einer sexuell konnotierten Kruzifix-Szene gar kirchliche Proteste aus in Venedig im August 2012.

Beim im letzten Februar an der Berlinale uraufgeführten dritten Teil aber, dieser Geschichte einer übergewichtigen 13-Jährigen im Diät-Lager, bleibt Seidls Blick ungewohnt gnädig. Hätte er seine 80 Stunden Material wie ursprünglich geplant zu einem einzigen Film geschnitten, hätten sich der gnadenlose und der hoffnungsvolle Blick wohl abgewechselt.

Es tut immer noch alles weh

Melanie und der Arzt ((Joseph Lorenz) stehen sich im Behandlungszimmer gegenüber, er mit entblösstem Oberkörper.
Legende: Seidl holt auch aus potentiell übergriffigen Szenen einen Schuss Zärtlichkeit heraus, der überrascht. Praesens Film

Mit seinen Dokumentarfilmen provozierte Seidl immer mal wieder den Vorwurf, er stelle Menschen bloss. Und bei den Spielfilmen arbeitet er mit Laien und Schauspielern ganz ähnlich. Sein Markenzeichen ist die Kamera, die gerade dann nicht wegblickt, wenn es peinlich oder schmerzvoll wird.

In «Paradies: Hoffnung» gibt es mehr als genug peinliche Momente, und auch schmerzliche. Schliesslich sind Teenager grundsätzlich schmerzaffin, und die Peinlichkeit gehört sozusagen zu ihrer Existenzialität. Wenn das Mädchen dann auch noch übergewichtig, dreizehnjährig und verliebt in den abgehalfterten Diätarzt des Sommercamps gegen das Gefühl ankämpft, von Mutter und Tante (den Protagonistinnen der ersten beiden Filmteile) abgeschoben worden zu sein, dann tut das alles schon ganz grundsätzlich weh.

Ein filmischer Coup mit Überraschungen

Aber Seidl hat etliche Überraschungen in petto. Zum einen gibt es unter den Jugendlichen in diesem Camp keine nennenswerten Rivalitäten oder gar Zickenkriege. Sie gehen sogar unerwartet liebevoll miteinander um. Und zum anderen holt Seidl aus jeder Begegnung des Mädchens mit dem Cabriolet-fahrenden, Jeans und Jacket tragenden, langhaarig-drahtigen Ex-Sonny-Boy-Doktor einen Schuss Zärtlichkeit heraus, der überrascht. Jeder potentielle Missbrauch endet in einer meist auch den Arzt selbst überraschenden Geste des Trostes. Zwei dieser Szenen im Wald haben gar den Charakter einer magischen Heilung.

Die Publikumsreaktionen auf den Film nach den Vorführungen sind ein Hinweis darauf, dass Ulrich Seidl ein Coup gelungen ist. Wer sich in «Paradies: Hoffnung» zuweilen einem Hauch von Langeweile oder einem gedanklichen «naja» ausgesetzt sieht, kann nicht anders, als sich selber und seine Konditionierung zu hinterfragen. Denn damit, dass Seidl für einmal nicht völlig an die Schmerzgrenze geht, unterläuft er die Erwartungen seines Publikums – und entlarvt sie.

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