Pass-Probleme: Depardieu im Film
Er hat Römer verdroschen und gegen Nazis gekämpft. Er hat die Herzen vieler Frauen nebenan gebrochen, er ist die Verkörperung der noblen Poesie eines Cyrano und dampfender Grobschlächtigkeit zugleich, er ist das Vieh in Sonetten. Und immer haben ihn alle nur geliebt.
Und jetzt das? Was ist da los? Bei Lichte besehen zieht ein Schauspieler im Rentenalter, der sein Leben lang nach der Devise «Dezenz ist Schwäche» gelebt und gearbeitet hat, von Frankreich nach Russland. Und gibt vielleicht noch seine französische Staatsbürgerschaft ab. Das kann er nach dem Code Civil, dem französischen Zivilrecht, der Code geht übrigens auf Napoleon zurück, auch einer, der gen Russland wollte. Ob Depardieu es denn auch tatsächlich tut, dazu schweigen sich seine Mitarbeiter bislang aus.
Der berühmteste Steuerflüchtling
Die Vorgeschichte: Depardieu hatte nach angedrohter Steuererhöhung für Schwerstreiche angekündigt, dass er sich nach Belgien absetzen wolle. Dafür hat er sich die Bemerkung des Premierministers Jean-Marc Ayrault eingefangen, das sei «ziemlich erbärmlich». Das hat wohl das Fass zum Überlaufen gebracht. Depardieu winkte mit dem bretonischen Hinkelpfahl, Ernst zu machen mit dem, was er in «Green Card» schon mal durchexerziert hat, nämlich eine andere Staatsbürgerschaft anzunehmen.
Depardieus Transfer ins russische Lager ist heute auf allen Fronten der digitalen Ausgaben der grossen französischen Zeitungen vom «Observateur» über «Le Monde» bis zum «Figaro». Er hat damit geschafft, was ihm schon lange nicht mehr geglückt ist: Er ist eine «Breaking News». Und nicht nur bei denen, auch im deutschsprachigen Raum ist Depardieu eine Story. Die Reaktionen: Kopfschütteln ist untertrieben. Entrüstung trifft es eher.
Aber was ist es, das den Sturm der Entrüstung auslöst? Dass man meinte, nach 170 Filmen und ungezählten Statements irgendetwas Verlässliches über jemanden zu wissen, kann es nicht sein. Das allein würde den Sturm kaum erklären. Die Antwort findet sich wohl eher auf der Symbolebene. Zumindest sind die Reaktionen auf seinen kleinen Staatsangehörigkeitstransfer derart asymmetrisch, dass da wohl mehr sein muss.
Depardieu lässt sich nicht regieren
Vom russischen Staatsfernsehen wurde verbreitet, Putin und Depardieu seien Freunde. Vraiment? Depardieu ist das Symbol des Renegaten, des Non-Konformisten, des Zügellosen schlechthin. Einer wie er lässt sich nicht regieren. Im Grunde ist Depardieu dieser Phänotypus, den de Gaulle meinte, als er sinngemäss sagte: «Ein Land mit 300 Käsesorten kann man nicht regieren.» Depardieu ist dieser Käse schlechthin.
Er ist aber auch all das, was auf der Schattenseite von Stil, Contenance und Comédie Francaise ist: Als Star, Unternehmer, Bonvivant und Multimillionär gibt er sich proletenhaft, wenn er schon mal in den Gang eines Flugzeugs pinkelt, und zelebriert dies als Haltung: Für ihn gelten eigene Gesetze.
Und was repräsentiert Putin? Das lässt sich einhellig schwerlich sagen. Der «Nouvel Observateur» sieht in ihm einen «Halb-Diktator». In diese Hälfte gehöre alles, was gerade am Beispiel von Pussy Riot durchexerziert wurde, worin die andere Hälfte besteht, war im «Observateur» nicht zu erfahren.
Das Ende der grossen Ideen
Wie kann jemand, der so für die Idee der «Grande Nation» steht, ausgerechnet und freiwillig Putin-Russe werden wollen? Depardieu hat verlauten lassen, er liebe das Land, die Kultur und wolle Russisch lernen. Aber vielleicht liebt er die Idee eines Landes und einer Kultur, ein Mütterchen Russland mit einer Prise Glasnost, Perestroika, Dostojewski, Cechow und Gogol. Da gehört viel Eigenanbau zu, um sich Putins «L‘état c‘est moi»-Reich derart schön zu trinken.
Depardieu hat auch gesagt: «Russland ist eine grosse Demokratie.» Das bestürzt viele Landsleute wie etwa den Philosophen Andre Glucksmann. Er sagte in einem Interview mit dem SRF-Korrespondenten Ruedi Mäder, Depardieu solle keine Schande auf sich laden. Und der französische Komiker Bruno Guillon quittierte die ganze Geschichte mit der Bemerkung, Depardieu brauche keinen neuen Pass - sondern ein Geschichtsbuch.
Das Russland in Depardieus Kopf ist wohl eine Idee, die es in Wirklichkeit so wenig gibt wie die der «Grande Nation» als realexistierendes Moment. Und vielleicht ist es das, was diesen Sturm auslöst: der Zusammenbruch überholter nationaler Sinnbilder.