Zum Inhalt springen

Header

Audio
Kinostart «La chimera»
Aus Kultur-Aktualität vom 12.10.2023. Bild: Filmcoopi
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 7 Sekunden.
Inhalt

Neu im Kino Die Schweizer Koproduktion «La chimera» besticht mit Bildwitz

Die Schweizer Koproduktion «La chimera» von Alice Rohrwacher kommt ins Kino: Es ist eine fantasievolle Ballade um italienische Grabräuber mit Isabella Rossellini – und Prinz Charles.

Der heutige King Charles kommt nicht wirklich vor in «La chimera». Es ist Josh O'Connor, der britische Schauspieler, der Prince Charles in «The Crown» so anrührend verkörpert hat.

O'Connor spielt Arthur, den «Engländer», der mit einer wilden Gruppe von fröhlichen und verwegenen lokalen Männern etruskische Gräber plündert und die Fundstücke über den geheimnisvollen Hehler «Spartako» zu Geld macht. Arthur ist der Spürhund: Er hat die Gabe, mit einer Wünschelrute die uralten Gräber unter ihren Steinplatten im Boden aufzuspüren.

Fünf Frauen und Männer in festlicher Kleidung halten sich an den Händen und lachen.
Legende: Schauspieler Josh O'Connor mit Filmemacherin Alice Rohrwacher, Isabella Rossellini, Alba Rohrwacher und Vincenzo Nemolato (von links nach rechts) bei der Präsentation des Films in Cannes. Getty Images / Kristy Sparow

Diese «Tombaroli», wie sich die Grabräuber nennen, wirken wie eine zeitgenössische Ausgabe der verwegenen Bande, die im Film in einer Ballade besungen werden. Sie spielen mit den lokalen Carabinieri denn auch regelmässig fast schon slapstickartig inszeniert «Räuber und Poli».

Epische Erzählkunst

Alice Rohrwacher hat ein enormes Talent zum ebenso präzisen wie ausschweifenden Erzählen. Dabei kommen ihr die Motive entgegen, die sie schon in ihren früheren Filmen so wunderbar ins Bild gerückt hat: lokale Bräuche, Italianità, wilde Feste und Musik und Menschen, die zeitweise alle durcheinander reden.

Frau mit wild hochgesteckten, lockigen und braunen Haaren
Legende: Die italienische Regisseurin Alice Rohrwacher macht auch Kurzfilme (zum Beispiel «Le Pupille», 2022) und Dokumentarfilme (zum Beispiel «Futura», 2021). IMAGO /IMAGES ABACAPRESS

Im Hintergrund sitzt als Matriarchin Isabella Rossellini in einem Rollstuhl und spielt souverän die Königin in ihrem zerfallenden Anwesen und zugleich schwärmerische Schwiegermutter für Arthur. Dass dessen Geliebte Beniamina, ihre Tochter, gestorben ist, das traut sich niemand ihr zu sagen.

Es läuft wie am Schnürchen

Alice Rohrwacher spinnt in ihren Filmen stets mehrere Fäden zu einem kunstvollen Gewebe. In «La chimera» sogar ganz wörtlich. In einer Traumsequenz von Arthur am Anfang des Films verheddert sich der Wollfaden von Beniaminas gestricktem Rock am Boden und wickelt sich Masche um Masche ab, während sie weggeht. Sie bemerkt das und folgt dem Faden zurück auf ihrem Weg, bis er im Boden verschwindet.

Ein Dutzend Männer und Frauen feiern auf einem Strassenumzug. Sie lachen und prosten Passanten am Strassenrand zu.
Legende: Heiter bis ulkig geht es zu und her in Alice Rohrwachers «La chimera». Filmcoopi / Tempesta

Gegen Ende des Films wird der Faden ganz wörtlich wieder aufgenommen. So wie vieles, was mit Witz und Ernst symbolisch aufgeladen ins Bild fällt, sich schliesslich metaphorisch zu einer Art Utopie fügt.

Es sind die Männer, die die Gräber plündern, den Toten ihre Beigaben entwenden, jahrtausendealte Artefakte mutwillig zerschlagen, um die einzelnen Stücke besser verkaufen zu können.

Vier Männer buddeln mit Schaufeln eine Grube, zwei Kinder stehen im Hintergrund und beobachten sie.
Legende: Wer anderen eine Grube gräbt ... findet mit Sicherheit ein wenig Etruskergold. Szene aus «La chimera». Filmcoopi / Tempesta

Die Frauen hingegen arbeiten für die Gemeinschaft. Sie haben heimlich Kinder, moralische Empörung, aufflammende Liebe und Momente, in denen sie sich im Tanz und der Musik vergessen. Sie übernehmen einen stillgelegten Bahnhof – der als öffentliches Gebäude nicht niemandem gehört, sondern allen, und machen eine Art Frauen- und Kinderhaus daraus.

Filmisches Erbe von Fellini

Alice Rohrwacher ist mit diesem Film eine legitime Nachfolgerin von Fellini geworden, ohne dem Meister im geringsten nachzueifern. Sie spielt mit allen Ebenen des Kinos, sie nutzt Musik und Farbe, Mythologie und Sprachwitz, und sie beherrscht auch den Bildwitz. «La chimera» ist ein feines Fest von einem Film.

Kinostart: 12.10.2023

Die Kultur-Highlights der Woche im Newsletter

Box aufklappen Box zuklappen

Entdecken Sie Inspirationen, Geschichten und Trouvaillen aus der Welt der Kultur: jeden Sonntag, direkt in Ihr Postfach. Newsletter jetzt abonnieren.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 12.10.2023, 07:55 Uhr

Meistgelesene Artikel