- Der Berlinale-Wettbewerbsfilm «Testről és Lélekről» (On Body and Soul) von Ildikó Eneydi erzählt eine leise Liebesgeschichte.
- Darin verlieben sich der Direktor und die Angestellte eines Schlachthofs , weil sie den gleichen Traum träumen.
- Der Film überzeugt durch hintersinnigen Humor und ästhetische Bilder .
Die ungarische Regisseurin Ildikó Eneydi hat schon vor fast 30 Jahren in Cannes ihren ersten Preis bekommen, die «Caméra d’Or» für den besten Nachwuchsfilm «Mein 20. Jahrhundert». Nur in grossen Zeitabständen dreht die inzwischen 61-jährige Ildikó Eneydi einen Film. Dieser nun, «Testről és Lélekről» (On Body and Soul), ist erst ihr fünfter Langspielfilm. Er läuft im Wettbewerb der Berlinale.
Schlachtvieh und ein Hirschpaar
Von Körper und Seele erzählt der Film, so sagt es der Titel. Diese Körper und Seelen sind in dieser seltsamen, leisen Liebesgeschichte alle irgendwie beschädigt, geschunden, kaputt und trotzdem wunderschön.
Es ist nur logisch, dass dieser Film in einem Schlachthof spielt, wo täglich Kühe hinein getrieben werden, wo sie getötet werden, ihnen das Blut abgelassen wird und ihre Körper zu anonymen Fleischbrocken verarbeitet werden.
Als Kontrast dazu sieht man immer wieder das Bild eines Hirsches und einer Hirschkuh im schneebedeckten Wald, an einem kleinen Teich. Wie Kapiteltrenner wirken diese Bilder des Hirschpaares, das zu zweit durch den Wald streift, nach Futter sucht, im Bach trinkt, sich voneinander entfernt und wieder annähert.
Verkrümmte Figuren
Daneben sind die Szenen im Schlachthof zuweilen schockierend, dokumentarisch real und nicht angenehm anzusehen. Dieser Schauplatz bildet eine merkwürdig stimmige Kulisse für die zarte Liebesgeschichte, die sich zwischen dem Direktor Endre und der neuen Qualitätskontrolleurin Mária entwickelt.
Bei beiden ist etwas verkümmert: Beim ruhigen gelassenen Endre ist es ein Arm, der gelähmt ist. Bei Mária die Psyche, die einen Knacks hat. Die junge Frau ist zwangsneurotisch und hat wohl so etwas wie das Asperger-Syndrom: in sozialen Situationen fast nicht fähig, normal Kontakt aufzunehmen, aber mit einem phänomenalen Gedächtnis ausgestattet.
Ein geteilter Traum
Die Liebesgeschichte käme wohl nie zustande, wenn nicht wegen eines Diebstahls eine Psychologin in den Schlachthof käme. Alle, inklusive Direktor, werden befragt und müssen ihre Träume erzählen. Und da wird auf einmal klar, was die Hirschszenen bedeuten.
Mária und Endre träumen den gleichen Traum, jede Nacht: Endre ist der Hirsch, Mária die Hirschkuh. Ob dieses komischen und für die beiden auch etwas verstörenden Umstandes kommen sie sich näher, wollen auch tagsüber diese beruhigende Zweisamkeit erleben, die sie in ihren Träumen teilen.
Regeln statt Intuition
Aber in der Wirklichkeit sind Körper und Seelen fragil, verletzt, ist der Umgang schwierig, weniger tierisch intuitiv und gängigen Formeln und Verhaltensmuster unterworfen.
Sich da, in der Wirklichkeit, mit dem neuen Umstand der wachsenden Verliebtheit zurechtzufinden, fällt vor allem der jungen Frau, die immer noch ihren Kinderpsychologen besucht, sehr schwer. Lieber versucht sie erst einmal, zusammen mit Endre zu träumen: Vielleicht geht das ja, wenn beide im gleichen Zimmer (aber ja nicht im gleichen Bett) schlafen?
Feiner Humor, stimmige Bilder
Mit einem ganz feinen, hintergründigen Humor erzählt Ildikó Eneydi diese Geschichte – und mit unglaublich schönen Bildern. Ganz langsam fängt der Film an, zeigt erst die Hirsche im Wald, dann den Morgen im Schlachthof. Wer keine Beschreibung vorab gelesen hat, wähnt sich in einem Dokumentarfilm.
Nach und nach entwickelt sich diese seltsame Geschichte, die sowohl Tiefe als auch Witz hat, nimmt Fahrt auf und scheut durchaus auch dramatisch überhöhte Momente nicht. «Testről és lélekről», der als zweiter Film im Wettbewerb von Berlin läuft, ist ein erstes Meisterwerk – und findet hoffentlich den Weg in die Schweizer Kinos.